Skrupellos, gemein und gierig
Die Figuren in dem Film "Zeit der Kannibalen" sind unsympathisch. Der Film hatte gestern Abend im Rahmen der "Perspektive Deutsches Kino" auf der Berlinale Premiere. Ausgedacht hat sich diese bitterböse Groteske Stefan Weigl. Der Film ist mit Devid Striesow, Sebastian Blomberg und Katharina Schüttler prominent besetzt.
Film-Ausschnitt "Zeit der Kannibalen":
"Ich kann einfach keinen tolerieren, der mit einer dreckigen Glasscherbe kleinen Mädchen die Schamlippen absäbelt."
"Dann tu was dagegen!"
"Ja, tu ich auch."
"Ja? Was denn?"
"Ich verbreite den Kapitalismus."
"Der Kapitalismus soll die Welt retten?"
"Nein, der Kapitalismus soll diese Welt zerstören!"
"Mensch Öllers, Du bist ja nen Romantiker."
Öllers, gespielt von Devid Striesow, ist Unternehmensberater. Er steigt in Luxushotels auf der ganzen Welt ab, trägt teure Anzüge, verdient einen Haufen Geld, ist aber nie bei seiner Familie. "Zeit der Kannibalen" ist ein Kammerspiel, die Dialoge machen den Reiz dieser tiefschwarzen Komödie aus. Drehbuchautor ist Stefan Weigl, und wenn es nach Regisseur Johannes Naber geht, war "Zeit der Kannibalen" nicht ihre letzte Zusammenarbeit.
"Stefan Weigl kommt ja vom Hörspiel und ist ein sehr anarchistischer Autor, würde ich mal sagen, ein sehr radikaler Autor. Seine Sachen machen mir wahnsinnig viel Spass. Ich habe die Dialoge gelesen und dachte mir: Okay, das ist so vielschichtig und so hinterfotzig, das habe ich selten gesehen, so was."
Als Student der Germanistik, Orientalistik und Organisationspsychologie in München gehörte Stefan Weigl einer marxistischen Gruppe an. Die Musik des Liedermachers Franz-Josef Degenhardt hört der 51-Jährige heute noch.
"Ich bin Idealist und ein Romantiker. Und eine der Figuren der Öllers ist auch ein Romantiker und das bin im Grunde ich."
Ein Romantiker und Sozialkritiker, der zehn Jahre lang als Werbetexter erfolgreich war, zuletzt als hoch bezahlter Kreativdirektor einer großen Agentur in Köln.
"Ich wusste zwar, dass ich schreiben möchte, also literarisch schreiben möchte, aber ich habe immer gesagt: Also bevor ich 30 bin, mache ich das nicht, da kommt nur Unsinn raus. Es kommt dazu, dass ich eben auch nicht aus – mein Vater ist Schlosser, meine Mutter ist Hausfrau – Verhältnissen komme, wo das normal ist, dass man sich für so einen Künstlerberuf entscheidet."
Nicht so ein Herrenwitz-Typ oder so ein Fips-Asmussen-Typ
Stefan Weigl hadert nicht mit seiner Zeit als Werbetexter für Banken und große Firmen. Er mochte den Ehrgeiz und die Dynamik der Branche, auch den Druck und den Wettstreit. Noch heute spielt er einmal in der Woche Schafkopf mit Wirtschaftsleuten, auch Unternehmensberater sind bei der trauten Runde dabei. Lebende Vorbilder für die grotesk überzeichneten Film-"Kannibalen".
"Im Nachhinein, muss ich sagen, ergibt sich da eine gewisse Logik. Denn von dem, was ich in der Werbung erfahren habe, profitiere und lebe ich eigentlich heute noch. Klar verachte ich den oder hasse den Kapitalismus, aber das, was da an Sprache hervorgebracht wird, das liebe ich total. Ich mag das einfach. Und es findet sich eigentlich in fast meinen ganzen Hörspielen auch."
1999 hat Stefan Weigl genug vom Werbetexten, er wirft hin, bewirbt sich bei der Filmschule in Köln, wird genommen und versucht sich an Drehbüchern. Er ringt um eine Form für sein Schreiben.
"Also ich war immer ein Mensch, der Leute unterhalten konnte, am Tisch – aber jetzt nicht so ein Herrenwitz-Typ oder so ein Fips-Asmussen-Typ, sondern aus so Situationen, daraus irgendwelche absurden Behauptungen aufstellen und daraus irgendwas machen. Ich habe nie kapiert, wie ich das auf Papier bringen soll."
Die New-Economy-Blase platzt, Fernsehserien werden eingestellt und Stefan Weigl zahlt einen hohen Preis für seinen Umstieg vom Kommerz auf die Kunst: Sein Konto leert sich, die Rücklagen sind schnell weg. Er muss in eine 18-Quadrameterbude umziehen und lebt zwei Jahre von Sozialhilfe.
"Ich musste für das Sozialamt meine Kontoauszüge zusammenstellen und daraus wurde ‚Stripped‘. Ich habe die geordnet, habe mir die angeguckt und habe festgestellt, dass ich einfach zunehmend weniger Kontakte mit der Außenwelt habe, in Form von Kaufakten jetzt mal. Im Jahr zuvor habe ich noch alle möglichen Käufe tätigen können und am Schluss war einfach nur noch Gas, Strom, Miete. Mehr war da nicht mehr drauf."
Aus der Pleite erwächst der Durchbruch: Für das Hörspiel "Stripped. Ein Leben in Kontoauszügen" bekommt Stefan Weigl 2004 den renommierten Hörspielpreis der Kriegsblinden. Seitdem läuft es mit den Hörspielen, er schreibt einen Fußball-Roman und nun das Drehbuch zu "Zeit der Kannibalen".
Thematisch hat Weigl immer den Finger am ökonomischen Puls der Zeit. Was alles in einem erfolgreichen Hörspiel vorkommen muss, das listet Stefan Weigl in seinem jüngsten Werk über Obdachlose auf:
"Dieses Übersteigerte, Absurde, Groteske ist natürlich auch ein Stilmittel, was ich gerne verwende, weil es so ein bisschen für mich Distanz schafft. Also ich kann ernste Themen damit einfach besser bewältigen, indem ich schwarzhumorig oder grundsätzlich humorig an bestimmte Sachen rangehe, das erleichtert mir das Schreiben. Ich glaube, anders könnte ich es gar nicht."