Starke und schwache Frauenrollen
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Während die moderne Version des mythischen Wassergeists "Undine" - erzählt von Christian Petzold - unsere Kritikerin überzeugen konnte, war der Film über Sklaverei in Brasilien letztlich eine Enttäuschung. Zu sehr verharren die Macher in Stereotypen.
Am vierten Tag der Berlinale lief der deutsche Wettbewerbsbeitrag "Undine" von Christian Petzold. Darin variiert er das Motiv des gleichnamigen mythischen, weiblichen Wassergeists. Erzähler und Erzählerinnen wie Oscar Wilde und Ingeborg Bachmann haben sich schon von dieser Figur inspirieren lassen, E. T. A. Hoffmann und Albert Lortzing haben aus dem Sujet sogar Opern komponiert.
Eine moderne Undine in Berlin
"Jetzt erzählt Petzold eine Liebesgeschichte", sagt die Filmkritikerin Katja Nicodemus nach der Premiere. Ort der Handlung ist Berlin, der Wassergeist ist eine Historikerin, die im Märkischen Museum Vorträge über Stadtgeschichte hält und sich in den Industrietaucher Christoph verliebt. Von ihr erfahren wir, dass Berlin ursprünglich "Ort am Sumpf" bedeutet. Und diese Undine, gespielt von Paula Beer, lässt sich nun von ihrem Taucher, gespielt von Franz Rogowski, in dessen Wasserwelt mitnehmen.
"Das sind dann im Grunde die mythischsten Bilder des Films, und für mich hätte dieser Film sogar noch mythischer oder noch überhöhter sein können", sagt Nicodemus. Beiläufig fließen politische Aspekte mit ein. So werden aktuelle Formen der Geschichtspolitik kritisiert. Der Wiederaufbau des Stadtschlosses anstelle des Palasts der Republik wird dabei "als Inbegriff eines Geschichtsbegriffs, in dem es keinen Fortschritt gibt", gewertet.
Ein starker Auftakt
Auch eine geschlechterpolitische Pointe hat dieser Film, wie Nicodemus berichtet: Der Legende nach bekommt Undine, dieser weibliche Wassergeist, erst eine Seele, wenn sie sich mit einem Menschen, also mit einem Mann zusammentut, sie ist eine ganz und gar männliche Projektion. Bei Petzold versucht die moderne Undine, sich gegen ihr Schicksal zu wehren, sie durchbricht die Mechanik des Mythos. Alles in allem ist dieser erste deutsche Beitrag zum Wettbewerb "ein starker Auftakt", urteilt Katja Nicodemus.
Nicodemus' Urteil über die zweite Premiere indes fällt weniger positiv aus. "Todos os mortos" ("All die Toten") heißt der brasilianische Wettbewerbsbeitrag. Regie führten Caetano Cortado und Marco Dutra. Die Toten sind die Opfer der Sklaverei in Brasilien. Der Film spielt um die Jahrhundertwende vom 19. ins 20. in einer großbürgerlichen Villa in São Paulo. In dieser lebt eine Witwe mit ihrer überspannten, unverheirateten Tochter. Die andere Tochter lebt als Nonne im Kloster.
Die Kaffeeplantagen der Familie Soares bringen nichts mehr ein, weil vor zehn Jahren die Sklaverei abgeschafft wurde und diese brutal ausgebeutete Arbeitskraft somit weggefallen ist. Ein Haushalt, eine Klasse im Niedergang also. Gezeigt werden drei Damen aus der Oberschicht, die permanent um sich selbst kreisen:
"Die eine spielt obsessiv Klavier, die andere flüchtet sich in den Katholizismus. Die Mutter ist der Inbegriff von Weltflucht, sie will am liebsten sterben. Und es ist dann die klavierspielende Tochter, die die Toten sieht, die Toten eben der Sklaverei, die hier als unsichtbare Prozession durch das Haus laufen", erklärt Nicodemus.
Provozierende Konstellationen - stereotype Bilder
Die ehemaligen Sklaven haben keinen Ort, keine Arbeit mehr und wenn, dann nur am untersten Rand der Gesellschaft. Sie irren durch São Paulo. "Letztlich sagt der Film: Ihm sind diese Sklaven tot willkommener als lebendig oder als gloriose Erinnerungen an die tollen Plantagenzeiten."
Doch Nicodemus hat der Film nicht überzeugt: Er findet für diese provozierenden, düsteren Konstellationen schlichtweg keine rechten Bilder. Sie sind "irgendwie auf leblose Weise statisch". Auch werden diese weiblichen Stereotype der alten Jungfer und der am Glauben zweifelnden Nonne nicht wirklich aufgebrochen - ganz im Gegenteil.