Berlinale

Zocken, Handeln, Gerüchte streuen

Umschlagplatz für Filmrechte: 455 Unternehmen aus 58 Ländern präsentieren sich mit mehr als 800 Filmen auf dem "European Film Market".
Umschlagplatz für Filmrechte: 455 Unternehmen aus 58 Ländern präsentieren sich mit mehr als 800 Filmen auf dem "European Film Market". © picture alliance / dpa / Paul Zinken
Von Susanne Arlt |
Etwas abseits des Premierenrummels treffen sich auf der Berlinale Produzenten und Lizenzkäufer und handeln mit Filmrechten. Der "European Film Market" ist weltweit der zweitgrößte Umschlagplatz seiner Art.
Ein Küsschen links, ein Küsschen rechts. So viel Zeit muss sein. Dabei hat Peter Rommel eigentlich gar keine Zeit. Zumindest nicht, wenn Berlinale ist. Der Filmproduzent steht im Lichthof des Martin-Gropius-Baus. Acht Tage lang beherbergt das denkmalgeschützte Museumshaus den European Film Market. Der Filmmarkt ist das geschäftliche Zentrum der Berlinale, hier werden Filmlizenzen in alle Welt verkauft. Peter Rommel will wissen, wie sein neuer Film, den er auf der Berlinale zeigt, ankommt auf dem internationalen Markt.
Über dem kalten Steinfußboden liegt ein roter Teppich. Die Atmosphäre soll nicht kalt, sondern kuschelig sein. Links und rechts umgeben Galerien den mit Glas überdachten Lichthof. Und wie auf einem Marktplatz bieten dort die Verkäufer ihre Ware feil: Filmrechte.
Im Schnitt vier Stunden Schlaf
Peter Rommel: "Es geht um sehr viel Geld, es geht um die Möglichkeit, einen Film zu machen oder nicht zu machen. Hier ist ne Tauschbörse für neue Ideen, neue Produkte, neue Konstellationen, die ausgetestet werden. Meistens sind die Verabredungen und die Treffen vorab arrangiert, und in so einem Halben-Stunden-Takt werden die absolviert."
Im Moment schläft Peter Rommel im Schnitt vier Stunden. Trotzdem wirkt der 58-Jährige recht entspannt. Dem Bild des Produzenten mit der dicken Brieftasche entspricht der gebürtige Stuttgarter so gar nicht. Er steckt in einer ausgebeulten Jeans, über dem unscheinbaren Hemd liegt ein roter Samtschal. Eine wahre Lockenpracht und ein leicht ergrauter Bart umrahmen das Gesicht. Rommel ist kein Produzent, dem es um die schnelle Kohle geht. Natürlich muss er auch Geld verdienen, sagt er und fischt schon wieder sein Handy aus der Hosentasche.
"Muss ich wieder ans Telefon … Ja, Rommel …"
Wichtiger ist ihm, dass die Botschaft stimmt. Dass die Themen Relevanz haben.
"Das ist unsere Aufgabe, weil, das Medium Film ist dafür immer noch ein ganz gutes Transportmittel, um die Menschen zu erreichen und sie wirklich auch zu bewegen."
So wie bei seinem international geachteten Kinofilm "Wolke 9". In dem mehr als eine Million teuren Kammerspiel geht es um Alterssex und Alterswürde. Dieses Tabu wollte angeblich erst keiner sehen. Dann haben wir den Film in 30 Länder verkauft, sagt Peter Rommel stolz, läuft über den roten Teppich und steuert eine der vier Galerien an, in denen sich die Stände der Vertriebsleute befinden.
"Da gehen wir mal zu Match-Factory, das ist der Weltvertrieb meines Filmes, der hier im Wettbewerb läuft."
Aber so schnell, wie er gerne möchte, gelangt er nicht dorthin. Peter Rommel trifft einen befreundeten Produzenten, hält ein kurzes Schwätzchen mit einer Regisseurin, und hat ein paar gute Tipps parat für eine Kollegin von der Deutschen Filmakademie.
Und herzt schließlich eine gute Bekannte, die für einen Weltvertrieb in Paris arbeitet. Die Franzosen haben einen ganzen Pavillon gemietet. Frankreich – nach wie vor eine Filmmacht. Auch wenn die Chinesen und Russen immer stärker auf den Markt drängen. Dann zeigt Peter Rommel auf ein riesiges Plakat, das unter der Stuckdecke schwebt.
Gerüchte erhöhen den Verkaufspreis
"Der hier. Hier oben hängt der neue Film von Roy Anderson. Und wo spekuliert wird – das ist der Börsencharakter hier auf dieser Veranstaltung –, wo spekuliert wird, dass dieser Film in Cannes im Wettbewerb laufen wird. Und sie verkaufen jetzt quasi vorab, ohne dass irgendjemand den Film gesehen hat, verkaufen die die Rechte beziehungsweise sagen, du kannst den Film dann und dann sehen und dann musst du schnell handeln, weil das gibt auch noch zwei, vier, fünf, zehn andere, aus Frankreich, Italien, Deutschland, die diesen Film kaufen werden. Aber du kannst ziemlich sicher sein, dass er in Cannes läuft."
Gerüchte erwecken Begehrlichkeiten und erhöhen den Verkaufspreis. Kann aber auch sein, dass der Film nicht läuft, das Publikum ihn verschmäht. Dann machen die Zocker Miese.
"Felix grüß' dich, hey hallo …"
Peter Rommel drückt den Mann mit dem kahlen Kopf fest an sich. Er weiß, Felix Häuchler ist einer der begehrtesten Männer auf dem European Film Market. Der Schweizer ist ein sogenannter Buyer, ein Einkäufer, der für seinen Verleih die Filme in die Schweizer Kinos bringt. Natürlich wird er sich auch den neuen Film von Peter Rommel angucken, sagt er. Viel Zeit bleibt ihm dafür aber nicht. Seine Tage sind zurzeit im Halb- oder Viertelstunden-Rhythmus getaktet. Die Vorführungen schaut er sich selten komplett an. Manchmal reicht schon eine halbe Stunde, um zu wissen, ob sich ein Besuch am Stand des Vertriebs lohnt. Auf Rosen betten ihn die Verkäufer aber nicht, sagt Häuchler und lächelt süffisant.
Herzliche Umarmung für den Geschäftsführer
"Nein. Da geht es natürlich auch mit Druck und da geht's mit: Machst du mir das, dann mach ich dir das. Das gibt es auch. Oft wird das nicht ausgesprochen, aber man spürt es. Das läuft schon so.
"Ich habe einen Termin, ich muss gehen. Felix mach es gut, Ciao."
Nach einer halben Stunde gelangt Produzent Peter Rommel endlich an sein Ziel: an den Stand von Match-Factory. An den Wänden hängen Filmplakate, Broschüren stapeln sich auf den Tischen. Auf zwei Flachbildschirmen können Filmtrailer gezeigt werden. Auch für den Geschäftsführer gibt's eine herzliche Umarmung.
"Wie viele Filme hast du dieses Jahr auf dem Markt?"
"Vier im Wettbewerb, einen im Panorama und dann zeigen wir noch einmal fünf aus dem Katalog. Zehn."
Ein ziemlich guter Schnitt, sagt Michael Weber stolz. Das Kölner Unternehmen vertreibt fast alle Filme von Peter Rommel. Auch seinen neuesten. "La tercera orilla" , "Das dritte Ufer". Der argentinische Film läuft im Wettbewerb der Berlinale.
"Was der Film jetzt am Ende im Markt machen wird, weiß ich nicht. Ich habe nur gehört, dass jetzt schon eine Menge Leute drüber reden, was schön ist."
"Jaha, das höre ich auch. Und die ihn gesehen haben vorab, die sind sehr angetan von dem Film. "
Peter Rommel schaut zufrieden, ist in seinen Gedanken bestimmt bei seiner nächsten Verabredung und greift schon wieder nach der Hosentasche.
"Jetzt muss ich wieder ran. Ja, hallo?"
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