Hören Sie hier das komplette Interview mit Pamela Schobeß:
Audio Player
Die Frage nach dem Morgen
07:27 Minuten
Hände-Desinfektionstationen, Masken- und Abstandsschilder statt Dreck und Biergestank: Mit Ideenreichtum haben Berliner Clubs Programme gegen die Coronafolgen entwickelt. Vor dem Winter kämpft die Clubszene in der Hauptstadt ums Überleben.
Diskokugeln schweben an der Decke wie ein funkelndes Sternensystem. Nur ein einzelnes Spotlight schimmert hindurch und erhellt schummrig den kleinen, schwarz abgehängten Raum. Zwei Frauen und ein Mann treten ein und finden in der Mitte eine bauchhohe Säule. Darauf thront ein großer roter Knopf wie aus einer Quizshow. Eine der Frauen schlägt mit der flachen Hand beherzt darauf und für einen kurzen Moment ist es wie früher in der "Wilden Renate", dem Techno-Club in einem einstigen Mietshaus am südlichen Rand des Ost-Berliner Szeneviertels Friedrichshain.
Ein Bass setzt ein, der so tief ist, dass es in der Magengrube wummert. Die Besuchergruppe fängt an zu tanzen. Verhaltene Jubelrufe. Endlich wieder tanzen, als gebe es keine Pandemie. Doch nach ein paar Takten ist der schöne Spuk wieder vorbei, verflogen wie das Clubleben, das einst hier tobte. Die kleine Diskokammer ist Teil eines Showprogramms, das das Berliner Künstlerkollektiv Bad Bruises entwickelt hat.
Ein Bass setzt ein, der so tief ist, dass es in der Magengrube wummert. Die Besuchergruppe fängt an zu tanzen. Verhaltene Jubelrufe. Endlich wieder tanzen, als gebe es keine Pandemie. Doch nach ein paar Takten ist der schöne Spuk wieder vorbei, verflogen wie das Clubleben, das einst hier tobte. Die kleine Diskokammer ist Teil eines Showprogramms, das das Berliner Künstlerkollektiv Bad Bruises entwickelt hat.
"Die Show heißt Overmorrow"
Die Gruppe, die sonst besonders ausschweifende und freizügige Partys in der "Renate" ausrichtet, hat in den Räumen und Fluren des Clubs viele kleine Bühnen und Installationen aufgebaut, in denen die beteiligten Künstler kurze Vorführungen geben. Auf die Minutendisko folgt ein menschlicher Roboter. Eine Burlesk-Tänzerin ist ebenso im Programm wie Schattentänzer oder eine Pantomime über Geschlechterrollen. Die Engländerin Billie Rae ist eine der Initiatorinnen.
"Es ist eine Theatererfahrung zum Durchlaufen und Eintauchen, die sich durch den gesamten Club Wilde Renate zieht. 24 Künstler treten jeden Tag auf. Sie machen Live-Musik, bildende Kunst, Performance, Poesie, all sowas. Es ist ein riesiges Projekt, ein Monster. Das Hauptziel war, Arbeit und Einkommen für die Künstler zu schaffen, einen Raum, in dem wir arbeiten können. Und das hat geklappt, das ist das Beste daran."
Freischaffende Künstler und andere Beschäftigte im Kulturbetrieb haben durch die Corona-Pandemie vielerorts vom einen auf den anderen Tag ihre Beschäftigung verloren. Die Bad-Bruises-Macher sind stolz, dass durch ihr Engagement 70 Leute zumindest ihre Miete zahlen können. Die Vorführungen sollten auch im Winter weiterlaufen, berichtet Billie Rae.
"Die Show heißt Overmorrow. Es ist der Tag, der nach morgen kommt. In unserer Vorstellung ist es der Tag, der niemals kommt. Wir haben nach einem Namen gesucht, der beschreibt, was gerade passiert. Denn wir wissen ja nicht, wann wir mit unserer eigentlichen Party zurückkommen."
Diese Frage nach dem ungewissen Morgen beschäftigt alle Berliner Clubs, auch den berühmtesten unter ihnen, das Berghain. "Morgen ist die Frage" steht in riesigen Lettern auf einem Transparent, das über die gesamte Fassade des ehemaligen Fernheizwerks gespannt wurde. Auch hier wurden die heiligen Technohallen in der Pandemie umgewidmet – in eine Übergangsgalerie.
Gemeinsam mit der Sammlung Boros zeigt das Berghain Exponate von rund 120 Künstlerinnen und Künstlern aus Berlin. Die Werke sind größtenteils während der Pandemie entstanden. Berlin hat die Ausstellung mit 250.000 Euro bezuschusst und Kultursenator Klaus Lederer hat viel Lob übrig für die Kreativität der Betreiber und Kreativen der Berliner Szene: "Ich wusste schon, wie vielfältig die Clubkultur ist, aber wie viele sich jetzt auch in Zusammenarbeit mit Kunstkollektiven sich Dinge ausgedacht haben, die aber durchaus zu den Profilen der Clubs passen, mit welchem Ideenreichtum, mit welcher Kreativität da jetzt Programme entwickelt werden, zum Teil auch Alternativprogramme zum regulären Betrieb, der ja nicht geht, das ist schon ziemlich beeindruckend. Und dass die Kulturschaffenden, die Menschen, die das alles machen, den Mut nicht verlieren, das ist extrem wichtig."
Nur den Mut nicht verlieren
Den Mut nicht zu verlieren, ist für viele aber nicht so einfach. Ähnlich legendär wie das Berghain ist der Traditionsclub SO36 in Berlin-Kreuzberg, der seit der Gründung in den späten 70er-Jahren vor allem als Spielort etlicher Punkbands berühmt wurde. Nanette Fleig, die sich im SO, wie die Besucher es liebevoll nennen, unter anderem um Buchhaltung kümmert und als Sprecherin arbeitet, gehört seit zwölf Jahren zum Team. Und so wie dieser Tage hat sie den Club noch nie erlebt.
"Statt Siff und Dreck und Biergestank ist hier jetzt alles sehr clean. Wir sehen hier eine Hände-Desinfektionsstation, überall Schilder: "Willkommen, tragt eure Maske, haltet Abstand..." Und alle Flächen, wo sonst Flyer rumliegen und sonstiger Kruscht, sind jetzt glatt und sauber. Es ist schon noch das SO36, aber durch die lange Schließzeit riecht es auch nicht mehr nach Bier. Also die Patina, die so ein Laden entwickelt, ist halt jetzt auch so ein bisschen weg."
Verkauf von bedruckten T-Shirts und Jutebeuteln
Im Sommer hat sich der Kreuzberger Club mit dem Verkauf von bedruckten T-Shirts und Jutebeuteln beholfen*. Ein benachbarter Weinhändler legte ein Solidaritäts-Weinpaket auf, das dem SO36 zugutekam. Aber der Club war während der gesamten Pandemie geschlossen. Nun im Herbst und Winter will das Betreiberteam die große Konzerthalle wieder öffnen und in eine Kneipe verwandeln.
"Wir haben Biergarnituren mit einzelnen Plätzen. Daran dürfen bis zu sechs Personen sitzen. Wir haben Musik, erst mal aus der Konserve."
Aber die neuen Corona-Bestimmungen Berlins angesichts der steigenden Zahl an Neuinfektionen haben Nanette Fleig und ihren Kollegen die Aufbruchsstimmung gründlich vermiest.
"Sperrstunde um elf Uhr ist echt frustrierend. Wir haben die technischen Möglichkeiten, wir haben diese super Lüftung, die für ein paar hundert Leute ausgelegt ist und sämtliche Aerosole nach außen bläst. Also wir werden für etwas bestraft, was wir nicht verbrochen haben."
Nur ein Zehntel des Umsatzes im Sommer
Nun muss sich zeigen, ob auch der kurze Abend bis 23 Uhr ausreicht, damit sich die Trinkhalle im SO36 trägt. Während der alte Kreuzberger Club einen zaghaften Aufbruch wagt, macht ein anderer Winterschlaf. Vor gut einer Woche, als Berlin am sogenannten Tag der Clubkultur noch einmal seinen Tanztempeln huldigte, machte das About Blank in Friedrichshain zum vorerst letzten Mal auf.
Im Sommer hatte das linke Kollektiv, das den Club in einem alten Gewerbegebäude betreibt, zumindest draußen im Hinterhof einen Sektgarten betrieben. Aber schon damit wurde nur ein gutes Zehntel des Umsatzes gemacht, der normalerweise im Sommer zusammenkommt, berichtet Elisabeth Steffen, die seit fünf Jahren zum Team zählt. Im Winter sahen die Betreiber darin keinen Sinn.
"Natürlich kann man sagen, die Leute raven auch bei minus 27 Grad. Aber angesichts des Wetters – man sieht es ja auch heute, es ist kalt, es regnet – einen Sektgarten unter freiem Himmel zu machen, der sich auch nur annähernd wirtschaftlich tragen könnte, das haben wir nicht gesehen, deshalb haben wir uns jetzt hierfür entschieden."
In der hölzernen Tanzfläche im Garten klafft ein großes Loch. Sie wurde bei der letzten Party demonstrativ zerschlagen. Wo vor Kurzem noch Stühle und Tische standen, tropft nun der Regen in die größer werdenden Pfützen. Unter einer Zeltplane sitzen ein paar Mitglieder des Teams zusammen und blicken auf ihren verwaisten Club. Und sie sprechen sich Mut zu, dass es im nächsten Jahr ganz bestimmt irgendwie weitergeht.
*Redaktioneller Hinweis: Wir haben eine inhaltliche Korrektur vorgenommen. Im Beitrag war zunächst der Eindruck entstanden, das SO36 habe finanzielle Hilfe vom Bund und vom Land Berlin erhalten. Das trifft nicht zu.
"Sperrstunde ist kontraproduktiv"
Die Sperrstunde in Berlin betrachtet die Berliner Clubcommission als falsch. Die Vorstandsvorsitzende Pamela Schobeß gibt zu bedenken, dass es einen Unterschied zwischen privaten und organisierten Partys gebe. Öffentliche Veranstaltungen mit Hygienekonzepten stellten nicht die große Gefahr der Ansteckungen dar.
Sie glaubt, dass eine Sperrstunde dazu führen würde, dass sich immer mehr Menschen privat treffen würden und es bei privaten Feiern vermehrt zu Ansteckungen komme.