Die Stoffschafe wippen mit
Kleists berühmtes "Lustspiel nach Molière" ist am Berliner Ensemble ein temporeicher Stilmix, einschließlich Live-Kapelle, Brecht'scher V-Effekte und gefühlvoller Gesangseinlagen.
Ein weißer, halbhoher Brecht-Vorhang, davor nur der Sockel einer griechischen Säule – schon bevor das eigentliche Stück beginnt, zeigt die Bühne (Momme Röhrbein) Katharina Thalbachs Lesart des Amphitryon-Stoffes an. Halbhohe Säulen säumen ein schwarzes, halbhohes Podest in der Mitte der Bühne, dahinter ragt ein Miniatur-Olymp in die Höhe, auf dem Gott Jupiter wie die Figur aus einer Kindergeschichte erscheint.
Kleists berühmtes "Lustspiel nach Molière" ist bei Katharina Thalbach ein temporeicher Stilmix, einschließlich live-Kapelle, Brecht'scher V-Effekte und gefühlvoller Gesangseinlagen. Nicht nur der Text ist an diesem Abend eine bunte Mischung der verschiedenen dramatischen Interpretationen. Auch auf der Bühne geht es munter hin und her zwischen einer parodierten griechischen Antike und Revue-artigen Gesangseinlagen, zwischen halbernstgemeinten Liebesszenen und gekonnten Slapstick-Nummern.
Da zeigt sich Merkurs (Raphael Dwinger) göttliche Kraft daran, dass er auch aus einigen Metern Entfernung Ohrfeigen auszuteilen vermag, die so klingen, als kämen sie aus einem Comicstrip. Da ist Jupiter (Martin Seifert) ein kleiner, betagter Herr mit lichtem Haarkranz, den es nicht zuletzt deshalb in das Bett der feurigen Alkmene zieht, weil seine Gattin Hera zu Hause die Hosen an hat. Da werden griechische Volkslieder und Schlager gesungen und selbst die Stoffschafe wippen – wie in der Muppets-Show – dazu den Kopf im Takt. Fehlen Alkmene vor Lust und Liebesglück die rechten Worte, trällert sie mit Milva "Ich mag dich, weil du klug und zärtlich bist" und man wundert sich fast schon, dass das Publikum nicht anfängt mitzusummen.
Die Moderne hat hier nicht stattgefunden
Tatsächlich hat dieser "Amphitryon" eine durchaus unterhaltsame Dynamik: der Rhythmus stimmt und die Schauspieler (Anke Engelsmann, Laura Tratnik, Raphael Dwinger, Martin Schneider, Martin Seifert, Felix Tittel, Guntbert Warns) widerstehen meist der Versuchung, ihr komödiantisches Talent allzu dick auszustellen.
Was in diesem insgesamt etwas biederen Lustspiel jedoch völlig untergeht, ist die Tiefe, die in Heinrich von Kleists Text unter den komödiantischen Verwechslungen und Ich-Verdopplungen liegen. Während bei Kleist, schon die Brüchigkeit des Subjektbegriffs vorweggenommen ist und unter allem schon die Frage danach liegt, was Identität eigentlich ist, scheint die Moderne – was das betrifft – hier noch nicht stattgefunden zu haben.
Informationen des Berliner Ensembles zu "Amphitryon"