Angst vor dem "Snackpoint Charlie"
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Eine Gruppe von Architekten, Stadtplaner und Denkmalpfleger kritisiert die Bebauungspläne für den Berliner Checkpoint Charlie. Bei einem Kolloquium prallten jetzt die unterschiedlichen Gestaltungsideen für den Erinnerungsort aufeinander.
Als sowjetische und US-amerikanische Panzer mit aufheulenden Motoren aufeinander zufuhren, drohte 1961 mitten im geteilten Berlin der Kalte in einen heißen Krieg umzuschlagen. Das Foto wurde zur Metapher, der Kontrollpunkt an der Berliner Mauer zum weltweit bekannten Symbol – und nach 1989 zum Besuchermagneten: Millionenfach lichten sich Touristen am Checkpoint Charlie neben Statisten in den Uniformen von damals ab.
Nicht nur wegen dieser immergleichen Souvenirs gilt der Erinnerungsort für eine Gruppe von Architekten, Stadtplanern und Denkmalpflegern als trauriges Musterbeispiel der "Touristifizierung" und "Kommerzialisierung". Bei einem Kolloquium in der Berliner Technischen Universität beklagten sie außerdem die Gefahr einer "Musealisierung" durch den aktuellen Bebauungsplan des Senats. Der will durch ein Museum die massiven Neubauten eines privaten Investors sozusagen abfedern.
Kein Ort der Gemütlichkeit
Dagegen gibt es Widerspruch, auch von jenem Künstler, dessen überlebensgroße Fotoporträts der letzten alliierten Soldaten als Installation am Checkpoint Charlie stehen. Frank Thiel schickte aus den USA eine Erklärung, die die Architektin Theresa Keilhacker zu Beginn der Tagung verlas und in der es unter anderem hieß: "So ein Ort darf nicht einladend sein und irgendeine Art von Gemütlichkeit vermitteln. Er muss unbehaglich, schroff und sperrig sein, sich wie eine Wunde im Stadtraum anfühlen."
Ginge es nach Thiel, so könnten sich jene Kleindarsteller, die in Fake-Uniformen unter den überdimensionalen Soldaten-Porträts des Fotokünstlers posieren, wohl kaum noch ihr Zubrot verdienen. In der Kritik steht aber vor allem ein Großverdiener, der hier am historischen Ort einen Freizeitkomplex errichten möchte.
Diesem Investor warf der ehemalige Kultursenator und Architekturhistoriker Thomas Flierl eine Art private Verwertung von Gemeineigentum - nämlich des kulturellen Erbes - vor: "Die semantische Abschöpfung des Standortes und seines Bedeutungsgehaltes für – in dem Fall – eine private Hotelnutzung."
Debatte über ein Museum
Nach kritischen Presseberichten und Protesten sind die Hotelpläne mittlerweile zwar vom Tisch. Aber die verbliebene Investorenarchitektur wird den Berlinern durch einen höheren Wohnungsanteil schmackhaft gemacht – und ein Museum.
Dessen Sinn und Zweck erläutert Susanne Muhle, Leiterin des Projekts Checkpoint Charlie, so: "Warum unbedingt ein Museumsbau? Ist der nicht viel zu groß? Wir sprechen von 4,5 Millionen Besucherinnen und Besuchern, die jährlich an den Ort kommen – und die brauchen Platz. Die Fläche, die erdacht worden ist in einem Raumprogramm, beruht natürlich auf Erfahrungswerten: Wie kann so eine Menschenmasse, die sich an diesen Ort bewegt, aufgefangen werden?"
Das hört sich ganz vernünftig an – gerät aber ob seiner Dimensionen für Flierl zum kulturhistorischen Treppenwitz: "Macht eigentlich keinen großen Sinn und wird den Ort erneut überbelasten. Und zwar wird es eine Logistik geradezu im Grenzübergangsformat erforderlich machen, um die Touristen durchzuschleusen."
Zugang regeln, Schlange stehen
Den Zugang regeln, eventuell auch Schlange stehen – das ähnelt einem Kontrollpunkt, zumindest vom Prinzip her. Vor allem aber geht mit jedem Neubau ein Stück jener Schneisen verloren, die die Grenzmauer einst in den Stadtraum geschlagen hat.
Spuren werden verwischt. Und was derzeit auf der Friedrichstraße steht, ist mitnichten authentisch. Thiel fordert in seiner Erklärung weiter: "Den Nachbau des Kontrollhäuschens zusammen mit den falschen Sandsäcken sollte man entfernen. Genau dieser Kitsch und diese Kopien machen den Checkpoint Charlie zum Snackpoint Charlie. Die letzte originale Kontrollbaracke sollte man aus dem Alliiertenmuseum in Dahlem an ihren Ort zurückbringen."
Das hätte jeder, der den Checkpoint Charlie ernsthaft als authentischen Erinnerungsort bewahren und ausbauen will, längst getan. Tatsächlich aber reichte es nicht einmal für Grundlegendes. "Man denkt am Anfang, so ein berühmter Ort ist wahrscheinlich schon ausgeforscht bis ins Letzte", sagte Muhle: "Und man merkt: das ist gar nicht so. Wir wissen zwar um die großen Schlüsselmomente an diesem Ort, aber wie der Alltag an diesem Ort ausgesehen hat, wissen wir zum Beispiel überhaupt nicht."
Graben nach der Infrastruktur
Spektakuläre Momentaufnahmen, wie die Konfrontation der Panzer, womöglich nachgestellt als "reenactement"? Darüber gingen die Alltagsgeschichten verloren, wie sie etwa Stacheldrahtverhaue, die "Spanischen Reiter" verkörpern, von denen nicht einmal mehr die Betonfundamente zu sehen sind. Oder auch die Förderbänder, auf denen die Pässe der Kontrollierten in der Grenzerbaracke landeten.
"Die technische Infrastruktur des Checkpoint Charlie muss meines Erachtens ergraben werden", sagte die Denkmalpflegerin Gabi Dolff-Bonekämper. "Jede Leitung ist wichtig! Diese Idee, jeden einzelnen Vorgang kontrollieren zu wollen, hat eine ganz starke Infrastruktur ja erfordert."
So etwas möchte Dolff-Bonekämper an einem Erinnerungsort sehen und spricht sich für eine Museums-Alternative aus, die bereits vorhandene open-air-Präsentation: "Diese Bauzaunausstellung, die ist genial! Weil man nämlich vor dem Bild steht und sich in den Stadtraum dreht. Und damit ist eigentlich auch diese Idee, eine museale Installation allein in den Untergrund zu stellen, hochproblematisch: Weil nämlich genau diese Vergleichsmöglichkeit – die historischen Bilder und der jetzige Stadtraum – dann entfällt."
Ortsgedächtnis mit Besuchern teilen
Ein Museum platzsparend im Untergrund, das ist eine Idee der Senatsverwaltung – vor der auch Muhle warnt: "Tatsächlich im Außenraum die historischen Spuren zu nutzen und mit Fotografien Möglichkeiten zu schaffen, wirklich sich selbst zu verorten, da kommen tatsächlich Besucherinnen miteinander ins Gespräch und sagen: 'Mensch, ach guck mal, wir stehen jetzt hier – und hier stand das und das.' Wir brauchen eine Freifläche draußen, das lässt sich nicht immer alles nur auf ein mobiles Endgerät übertragen."
Zu genau diesem Ergebnis kommt auch Christoph Sommer, der über Tourismus und Stadtentwicklung forscht – und darauf setzt, dass die Berliner ihr topographisches, ihr Ortsgedächtnis mit den Besuchern teilen. Er sagte: "Der Checkpoint Charlie wäre ein idealer Ort, um zu zeigen, dass Berlin da einen anderen Weg gehen kann. Und dieses Mantra des nachhaltigen und stadtverträglichen Tourismus muss auch umgesetzt werden, also Checkpoint Charlie nicht weiter als 'tourist bubble' aufzublasen, sondern eben wieder stärker in das Stadtgeschehen zurückzuholen."