Berliner Gesundheitsämter und Corona

Improvisieren gegen die Pandemie

10:05 Minuten
Torsten Kühne, Stadtrat Pankow (l.), Cornelia Krummacher, Kontaktpersonenermittlung und Amtsarzt Uwe Peters (r.).
Mit vereinten Kräften gegen das Virus: Stadtrat Torsten Kühne, Claudia Krummacher vom Gesundheitsamt Pankow und Amtsarzt Uwe Peters (v.l.) © Deutschlandradio / Benjamin Dierks
Von Benjamin Dierks |
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Simple Maßnahme, aber erfolgreich: Wenn sich eine Person mit Corona infiziert hat, ist die Ermittlung ihrer Kontakte wesentlich, um das Virus zu stoppen. In einigen Berliner Bezirken hilft dabei sogar die Bundeswehr - denn Personal ist Mangelware.
Das letzte Wochenende hat einiges an Arbeit gebracht für das Gesundheitsamt im Berliner Bezirk Pankow. Claudia Krummacher kommt gerade von der morgendlichen Lagebesprechung im großen Saal des Rathauses und geht nun schnellen Schrittes durch einen angrenzenden holzgetäfelten Raum mit vier Arbeitsplätzen, die durch Stellwände getrennt sind.
"Bei den Kontaktpersonen-Ermittlern hatten wir übers Wochenende in der Tat einiges zu tun." Krummacher bleibt am Schreibtisch einer jungen Frau stehen und schaut ihr mit etwas Abstand über die Schulter. "Was haben wir denn im Moment?"

"Aktuell kümmern wir uns darum, dass das Klinikum uns eine aktualisierte Liste zukommen lässt - von seinen Mitarbeitern, so dass wir die richtig einstufen können."

Studentin ermittelt Kontaktpersonen

Die Studentin ist eine der Ermittlerinnen im Team von Claudia Krummacher. Sobald im Bezirk neue Corona-Vorkommen gemeldet werden, macht die Chefin sich mit ihren Mitarbeitern daran herauszufinden, mit wem die Infizierten Kontakt hatten. Die neuesten Fälle wurden aus einem Krankenhaus gemeldet.
"Mehrere Patienten, bei denen es aber vorher nicht bekannt war, die eigentlich aus anderem Grund im Krankenhaus gewesen sind."

Das sind die Fälle, die Krummacher und ihre Leuten auf Trab halten. In einem Krankenhaus hatten die Infizierten im Zweifel viele Kontakte, erklärt sie, "also kann das eine einseitige oder zweiseitige Liste von Kontaktpersonen sein, die dann alle angerufen werden müssen."
Die Ermittler teilen die Menschen, mit denen die Corona-Infizierten zusammen trafen, nach den Vorgaben des Robert-Koch-Instituts in drei Kategorien ein, je nachdem, wie eng und lang der Kontakt war.
"Nur Personen, die mehr als 15 Minuten Face-to-Face-Kontakt, also unter anderthalb Meter Abstand, diesen Kontakt hatten, die sind Kategorie-1-Kontaktpersonen, und die müssen dann in Quarantäne."
Bund und Länder sprachen schon vor Wochen in großen Tönen von einem digitalen "Contact Tracing", am besten europaweit. Eine Warn-App fürs Handy hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn nun für kommende Woche angekündigt. Claudia Krummacher stehen bei der Suche nach Kontaktpersonen bislang aber eher herkömmliche Mittel zur Verfügung.

Software vom Helmholtz-Zentrum

"Das sind in aller Regel Anrufe, wenn wir die Telefonnummer haben", sagt Krummacher. "Manchmal werden wir ja auch angerufen. Und manchmal hat man keine Telefonnummer. Dann muss man vielleicht erst eine E-Mail schreiben oder einen Brief."
Zumindest für die Erfassung der Daten wird nun keine selbst gebastelte Excel-Tabelle mehr benutzt, sondern eine Software vom Braunschweiger Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung, die einst gegen Ebola in Westafrika eingesetzt wurde. Die zwölf Berliner Gesundheitsämter stehen an vorderster Front in der Corona-Bekämpfung. Und keines von ihnen war ausreichend vorbereitet auf die Pandemie.
Berlin hat vor Jahren schon errechnet, wie viele Beschäftigte ein mustergültiges Gesundheitsamt bräuchte. Pankow müsste demnach 40 Mitarbeiter mehr einstellen, sagt Bezirksstadtrat Torsten Kühne. Immerhin fünf Stellen dürfe er nun ausschreiben. Eigentlich müsse das Amt aber besser gewappnet sein.
"Wir haben gesehen, wie schnell so etwas passieren kann und wie viel Kreativität und Flexibilität wir brauchten am Anfang der Pandemie-Bekämpfung."

Gruppenreisen - Amtsarzt in Sorge

Mitarbeiter aus anderen Bereichen mussten in der Infektionsbekämpfung einspringen. Hilfskräfte wurden eilig rekrutiert. Nach den ersten hektischen Wochen und Monaten der Coronakrise ist die Lage mit sinkenden Fallzahlen etwas ruhiger geworden in Pankow. Allerdings befürchtet Amtsarzt Uwe Peters, dass die Lockerungen im öffentlichen Leben und vor allem die Urlaubszeit die Zahlen wieder steigen lassen könnten.
"Im Moment machen uns besonders die Fahrten in Massenquartiere im europäischen und außereuropäischen Ausland Sorgen, Abi-Fahrten, auch größere Zusammenkünfte, wo Menschen eben eng zusammen sind. Denn die Reisebeschränkungen werden ja im Moment gelockert."
Vieles von dem, was Gesundheitsämter sonst machen, fällt nach wie vor weg: Einschulungsuntersuchungen, Besuche von Neugeborenen oder zahnärztliche Untersuchungen an Schulen und Kitas. Der Sozialpsychiatrische Dienst wird nur aktiv, wenn es um Leben und Tod geht. Für alles andere fehlen nach wie vor die Kapazitäten.
Lukas Murajda, Amtsarzt von Berlin Mitte (l.) und Ephraim Gothe (r.), Bezirksstadtrat in Berlin Mitte.
Umschalten von Sprint auf Marathon: Lukas Murajda (l.), der Amtsarzt, und Ephraim Gothe, Bezirksstadtrat in Berlin Mitte.© Deutschlandradio / Benjamin Dierks
Denn weniger Corona-Fälle bedeuten nicht unbedingt weniger Arbeit. Das beobachtet Amtsarzt Lukas Murajda im Bezirk Mitte. Er hat sich mit seinem Bezirksstadtrat Ephraim Gothe zusammengesetzt. Die Fenster zur viel befahrenen Straße haben sie weit geöffnet – der Belüftung wegen.
"Die Komplexität der Situation ist gewachsen", sagt Murajda. "Wenn wir früher 100 Fälle hatten, die jeweils fünf Kontakte hatten in dem Lockdown, wo wir nicht so viele Kontakte hatten, haben wir jetzt nur fünf Fälle, also infizierte Personen, die aber jeweils aber 100 und mehr Kontaktpersonen haben."

Der erste infizierte Schüler

Rund 20 neue Fälle zählt Murajda momentan in einer Woche, bei 385.000 Einwohnern im Bezirk. Es müsse immer mit der nächsten größeren Infektion gerechnet werden, sagt Bezirksstadtrat Gothe: "Wir haben jetzt am Wochenende das erste Mal erlebt, dass ein Schüler und damit auch eine Schulklasse und eine Schule betroffen ist."
Es sei eine Frage des Zufalls, wann das nächste Mal plötzlich sehr viel Arbeit anfalle.
"Wir müssen jetzt lernen, wie wir über die nächsten Monate, viele Monate, mit dem Virus leben können, und mussten quasi von einem Sprint, wo alle wahnsinnig schnell losgerannt sind, umschalten und sagen, es ist doch kein Sprint, es ist ein Marathon."
Immerhin helfen seit der vergangenen Woche jeweils fünf Soldaten in Mitte und Pankow und acht weiteren Gesundheitsämtern bei der Ermittlung von Kontaktpersonen. Die Bezirksämter hatten gemeinsam ein Amtshilfe-Ersuchen an die Bundeswehr gerichtet.
Nur zwei Gesundheitsämter hatten die Hilfe abgelehnt, eines davon war das von Friedrichshain-Kreuzberg – zum Leidwesen von Raimund Pitzing, dem dortigen Amtsarzt. "Ich kann jederzeit gut Menschen hier einsetzen und gebrauchen, die uns bei der Arbeit unterstützen", sagt Pitzing. "Insofern hätte ich mich gefreut."

Grüne und Linke gegen Einsatz der Bundeswehr

Kurz bevor die Soldaten anfangen sollten, signalisierte die Bezirksverordnetenversammlung, dass es dort in den größten Fraktionen – denen der Grünen und der Linken – keine Mehrheit für den Einsatz von Soldaten im Gesundheitsamt gebe. Bezirksstadtrat Knut Mildner-Spindler – selbst Linken-Politiker – scheint überrascht, dass das Angebot der Bundeswehr nicht angenommen wurde.
"Das haben wir auch als Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg eigentlich ohne größeren Argwohn mitverfolgt."

Auch hier im Gesundheitsamt in Kreuzberg wird viel improvisiert. In der heißen Anfangsphase haben 70 Kollegen aus anderen Bereichen jeden Tag in der Corona-Bekämpfung ausgeholfen. Heute ist es noch rund die Hälfte. Aber noch immer liefen die Telefon-Hotlines heiß, wenn Coronafälle auftreten, erzählt Oliver Mehl, der normalerweise in der Beratung für Behinderte arbeitet.
"Letzte Woche waren es die Schulen und, ich glaube, ein Altenheim und dann ist natürlich ein großes Aufkommen."

Teambesprechung auf der Wiese

Der Platz reiche auch nicht mehr aus, seitdem viele Räume für die Ermittlung von Coronafällen genutzt werden, berichtet Sebastian Graupner, der im Amt für die Corona-Koordination zuständig ist.
"Wir haben hier eigentlich unseren Schulungsraum, das da sind Therapieräume, die haben wir alle umfunktioniert. Aber das ist natürlich keine Dauerlösung."
Bislang behelfen die Mitarbeiter sich mitunter ganz unkonventionell, wenn sie Platz brauchen. Auf der Wiese hinter dem Amtsgebäude haben einige von ihnen sich in einem Kreis aufgestellt.
"Bei diesem Wetter können wir Dienstbesprechungen machen, wir können Teambesprechungen machen – Corona-konform, ohne dass eine Ansteckungsgefahr besteht."
Die Gesundheitsämter fühlen sich mit einer ganzen Reihe von Problemen von der Berliner Senatsverwaltung allein gelassen. Als Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci die Corona-Ampel einführte, protestierten die Amtsärzte, weil sie sich nicht mit ihnen beraten hatte.

Verschiedene Teststrategien von Bezirk zu Bezirk

Nun hat der Senat mit der Charité eine neue Teststrategie in Angriff genommen, mit der auch ohne Verdacht auf Corona getestet werden soll, etwa Beschäftigte an Kitas und Schulen. Die irritierten Anfragen der Bürgerinnen und Bürger aber landeten beim Gesundheitsamt, sagt Amtsarzt Raimund Pitzing.
"Weil dann auch so Fragen an uns herangetragen werden: In dem einen Bezirk an der Kita fanden Testungen statt. Oder eine ganze Schule wurde getestet. Warum das denn in unserem Bezirk nicht so ist. Und und und. Man muss es erklären."
Gerade die Lage an Schulen und Kitas werfe bei Eltern und Kindern viele Fragen auf, pflichtet Patrick Larscheid bei, Amtsarzt im nördlichen Berliner Bezirk Reinickendorf, der sich gern querstellt, wenn ihm die Berliner Politik nicht passt.
"Jetzt in den Phasen der Lockerungen bestimmter Dinge merken wir sehr deutlich, dass viel Verunsicherung ist."

Keine größeren Ausbrüche in Kitas und Schulen

Dabei böten Schulen und Kitas eigentlich Anlass zur Hoffnung. Denn weder in den Notbetreuungen noch in den nun wieder geöffneten Einrichtungen sei es bislang zu größeren Ausbrüchen gekommen, sagt Larscheid.
"Mit unseren Maßnahmen, die sehr simpel sind – wir machen Kontakt-Nachverfolgung und sprechen eine Quarantäne aus – und natürlich mit dem Einhalten zweier Regeln, die die Bevölkerung selber umsetzt: kurze Kontaktzeit und Abstand, mit diesen Dingen schaffen wir es offensichtlich, ein solches Monster ganz gut in seiner Höhle zu halten."
Es reicht hinten und vorne nicht in Berlins Gesundheitsämtern, und die Arbeit ist zermürbend – aber ganz umsonst scheint sie nicht zu sein.
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