Der Klotz über Witzleben
Es sollte einer der größten Betonklötze der Welt sein – das Internationale Congress Centrum Berlin, besser bekannt unter der Abkürzung ICC. Der Kalte Krieg stachelte die Westberliner Stadtplaner an und 1979 gebar die Gigantomanie das ICC. Zwar steht es nun leer, doch es gibt neue Pläne für das Haus am Rande des Stadtteils Witzleben.
Der graue Riese sieht müde aus, ein wenig aus der Zeit gefallen. Größer, höher, weiter wollte man in den 70ern bauen - und natürlich autogerecht. Herausgekommen ist ein 320 Meter langes, 88 Meter breites und 40 Meter hohes Betonungetüm zwischen Westberliner Funkturm, Messegelände und Stadtautobahn. Von außen macht das ICC einen vernachlässigten Eindruck – die glänzende Aluminiumfassade ist stumpf geworden, wurde jahrelang nicht gereinigt. Und das Innere?
"Na, dann schauen wir mal. Dann schauen wir mal, wie das ausgeht. Also."
Michael Hofer ist selber neugierig. Fast ein Jahr lang hat der Sprecher der Messe Berlin das ICC nicht betreten. Auf einer Anzeigetafel im Foyer ist zu lesen: "Auf Wiedersehen, mein liebstes ICC."
"Ja, jetzt ist alles leer."
Das Wasser ist abgestellt, nur eine Notbeleuchtung weist den Weg. Jetzt, so völlig menschenleer, wirkt die Eingangshalle noch gigantischer als sonst, erinnert mehr an ein Flughafenterminal als an ein Kongresszentrum. Michael Hofer dämpft die Stimme.
"Für mich war das immer wie ein, na wie ein Raumschiff aus Startrek. Ich fand das oder finde das immer noch faszinierend, diese Art, wie das gebaut ist. Das ist schon sehr spacig."
Die Baumaterialien: Beton, Aluminium, Edelstahl. Die Farben: Grau, weiß, silber. Kein Holz, keine anderen Naturmaterialien. Kaum Fenster, nur künstliches Licht.
"Na, dann gehen wir mal in Saal Eins. Ja. Schritte. Die Rolltreppen sind alle abgeschaltet, insofern laufen wir. Wir müssen hier aufpassen, hier hängt eines dieser.....was ist das? Was ist das?"
Kugeln in Menschengröße, aufgehängt an Stahlseilen, versperren den Weg. Es sind Lautsprecher. Als das ICC noch in Betrieb war, hingen sie auf halber Höhe im Saal, jetzt sind sie heruntergelassen. Alles hier ist im Wartemodus. Auch der Sprecher der Messe Berlin weiß nicht so recht, welche Zeitform er benutzen soll, wenn er über das Kongresszentrum redet. Michael Hofer springt hin und her zwischen Gegenwart und Vergangenheit. Ist das ICC noch oder war es?
"Für mich ist das auch ein schwieriges Unterfangen. Das Haus ist ja nicht am Netz, insofern IST es nicht. Es WAR am Netz. Und insofern wechsle ich von der Sichtbarkeit, die für mich real ist, in den Vergangenheitsmodus."
Seit knapp eineinhalb Jahren ruht der Betonriese. Von der Politik und der landeseigenen Messe vernachlässigt, wurden notwendige Sanierungsmaßnahmen jahrelang unterlassen. Für die Messe ist das ICC ein ungeliebtes Kind – jahrelang fuhr es Verluste ein. Das Gebäude ist nicht wirtschaftlich zu betreiben, das wusste man von Anfang an. Zuviel Fläche, die Geld kostet und mit der kein Umsatz erzielbar ist. Dem hochsubventionierten West-Berlin war das egal. Das Geld aus Bonn würde schon kommen. Doch mit der Wiedervereinigung war Schluss mit den Subventionen, außerdem stiegen die Energiepreise massiv an. Das Land Berlin als Eigentümer und die Messe als Betreiberin sahen den Koloss nur noch als Geldvernichtungsmaschine.
Es sollte groß werden, richtig groß
"Es schmerzt vor allem deswegen, weil es nicht nötig gewesen wäre."
Ursulina Schüler-Witte, 82 Jahre alt, Architektin des ICC: "Das Haus hat ja von Anfang an, vom ersten Tag an hat es ja gebrummt."
Zehn Jahre lang haben Ursulina Schüler-Witte und ihr mittlerweile verstorbener Mann Ralf Schüler das ICC geplant und gebaut – das Kongresszentrum ist ihr Hauptwerk. Nicht nur das Gebäude an sich, auch die gesamte Innenausstattung lag in den Händen des Architektenpaares. Hinter Ursulina Schüler-Witte hängt ein Kalender, der das ICC zeigt: "Es war ja auch unser erster großer Bau, es war also ziemlich mutig von uns. Wir haben es ja gemeinsam gemacht, aber insbesondere mein Mann hat das Haus bis in die letzte Schraube durchdetailliert, was heute nicht unbedingt das Anliegen der Architekten ist."
Am Tag der Eröffnung, dem 2. April 1979, war das ICC bereits auf zwei Jahre im Voraus ausgebucht. Das versöhnte die Berliner ein wenig mit den exorbitant gestiegenen Kosten – der BER lässt grüßen. Mit knapp 1 Milliarde Mark war das ICC der teuerste Bau Westberlins in der Nachkriegszeit. Der damalige Bundespräsident Walther Scheel zeigte sich in seiner Eröffnungsrede beeindruckt von Größe und technischer Ausstattung.
"800.000 Kubikmeter umbauter Raum. Rechnet man pro Mensch einen Drittel Kubikmeter, so könnte man hier – natürlich ganz theoretisch – die ganze Bevölkerung dieses Teils der Stadt hier verpacken."
Wir haben dann auch jedes Jahr die Bestätigung bekommen: bestes Kongresszentrum der Welt, immer die Auszeichnungen. Es lief von Anfang an, es lief auch bis zum Jahr. 2014. Nur ist es ja so, dass nach 36 Jahren Laufzeit schon die Technik, wenn sie nicht regelmäßig angepasst wird, regelmäßig erneuert wird, was jedes Kongresszentrum eigentlich regelmäßig macht, was hier aber versäumt wurde, dann entsteht ein technischer Stau, hätte man aber bei laufendem Betrieb nebenbei machen können.
Hat man aber nicht – und so riefen Gutachter jetzt dreistellige Millionenbeträge auf, um das ICC zu sanieren. Einige Abgeordnete dachten deshalb laut darüber nach, den Betonkoloss abzureißen. Doch "too big to fail" – das Kongresszentrum ist so groß, dass ein Abriss erstens zu teuer und zweitens durch die Lage inmitten von Autobahnen technisch fast unmöglich ist.
Andere Abgeordnete schlugen eine Shoppingmall vor oder den Einzug der Landesbibliothek. Diese Debatte hat die Architektin verbittert. Es wird Zeit, dass das Gebäude unter Denkmalschutz gestellt wird, sagt die resolute alte Dame.
"Die Parallelbauten in anderen Ländern, wie z.B. das Centre Pompidou oder das Klinikum in Aachen oder Lloyds in London, die alle als High- Tech- Architekturen bezeichnet werden, in das man das ICC auch einsortiert, die sind alle unter Denkmalschutz, schon längst. Ich möchte mal wissen, wenn der französische Präsident sagen würde, na ja, das Centre Pompidou, das können wir ja auch vielleicht abreißen oder stilllegen, ich würde gerne mal wissen, was dann die Pariser sagen würden, aber die Berliner sind ja geduldig, die lassen sich so etwas erzählen und glauben es dann auch."
Nach vielem Hin und Her hat der Senat im Sommer beschlossen, einen Teil des ICCs zu sanieren, damit dort wieder Kongresse stattfinden können. 200 Millionen Euro nimmt das Land Berlin in die Hand. Mehr ist nicht drin, sagt Bausenator Geisel, SPD.
"Berlin hat jetzt mehrere Großprojekte zu stemmen. Wir müssen den BER fertigstellen, und das ist nicht billig. Wir müssen die Staatsoper fertigstellen, das ist auch nicht billig. Wir müssen uns im Tempelhof kümmern, ganz bestimmt teuer, wir haben Tegel zu entwickeln, wenn der BER fertig ist. Und wir haben nicht mal gerade eine halbe Milliarde Euro über, sondern 200 Millionen, was auch viel Geld ist. Damit werden wir unserer Verantwortung gerecht. Wir werden als Senat Kongressfläche herstellen."
Und die anderen Teile des riesigen Gebäudes? Das Land Berlin hofft auf private Investoren. So könne das Parkhaus möglicherweise zu einem Hotel umgebaut werden, ein paar Geschäfte würden auch nicht schaden, denkt der Bausenator laut nach.
Ein Denkmal ist es noch nicht, aber fast
"Dann ist uns das herzlich willkommen. Wir werden es aber so bauen, dass zunächst die Kongressfläche zur Verfügung gestellt wird, und der Senat wird mit Sicherheit keine Einkaufs-Shopping-Mall betreiben oder ein Hotel oder Ähnliches. Da sind wir dann auf Private angewiesen. Wir werden so bauen, dass wir auch damit leben können, wenn es ein paar Jahre stillgelegt wird, die Restfläche, und wir dann erst in der Zukunft Konzepte haben."
Andreas Geisel spricht sich dafür aus, das ICC auf die Landesdenkmalliste zu setzen. Allerdings nicht ohne Wenn und Aber. Der Denkmalschutz darf nicht so weit gehen, dass Investoren verschreckt werden, sagt der SPD-Politiker.
"Wir wollen mit dem Denkmalschutz kein Stoppschild für Investoren errichten. Das ist schon richtig. Aber klar ist: das ICC ist denkmalwürdig. Und deshalb wird man auch auf Investorenseite darauf Rücksicht zu nehmen haben."
Berlins Landesdenkmalrat setzt sich gemeinsam mit der Architektin Schüler-Witte schon länger dafür ein, das ICC komplett zum Denkmal zu erklären. Dass das Land als Eigentümer nur einen Teil selber sanieren will und den Rest Privaten überlässt, hält Kerstin Wittmann-Englert für falsch. Die Professorin für Architekturgeschichte an der TU Berlin und Vorsitzende des Landesdenkmalrats warnt vor einer Zerstückelung des ICC.
"Ich halte das für keine gute Idee. Das liegt für mich auch daran: Ich würde aus dem Haus herausdenken. Und das Haus ist als eine Einheit geplant. Und diese Einheit meint für mich, dass diese verschiedenen Aspekte, sprich, diese verschiedenen Säle, Foyers, Boulevards, zusammenwirken."
Denkmalschutz ja, nein oder vielleicht ein bisschen. N+eue Nutzungsideen, private Investoren. All diese Pläne und Debatten werden vermutlich erst einmal auf Eis gelegt, denn das ICC könnte im Dezember zur Flüchtlingsunterkunft werden. Also alles auf Anfang? Bundespräsident a.D. Walther Scheel jedenfalls erweist sich als Prophet. Bei der Eröffnung im April 1979 sagte er dem ICC ein langes Leben voraus.
"Beton ist extrem haltbar, und so hat dieses Kongresszentrum gute Chancen, hier noch zu stehen, wenn die Cheopspyramide möglicherweise schon verwittert ist."