Berliner Humboldt Forum

Auf der Suche nach Herkunft und Zukunft

04:17 Minuten
Blick in den Schlüterhof zwischen barocker und zeitgenössischer Fassade mit Besuchern vor einem Cafe.
Am nachgebauten Schlüterhof erinnert nichts daran, dass das Schloss gebaut wurde, als Brandenburgs Kurfürsten die Kolonie Groß Friedrichsburg in Westafrika betrieben. © imago / Shotshop
Gedanken von Matt Aufderhorst |
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Im wiederaufgebauten Berliner Schloss wird Raubkunst ausgestellt. Der Journalist Matt Aufderhorst vermisst dabei die kritische Auseinandersetzung mit der deutschen Kolonialgeschichte, was sich auch in der imperialen Architektur spiegele.
Ich nähere mich dem Humboldt Forum probehalber. Als Flaneur, der zufällig vorbeikommt, ohne Eintrittskarte. In den Torbögen beginnt das hagiografische Einseifen: Ein PR-Film spricht von einer architektonischen "Meisterleistung", hofiert die Schlossfassaden-Spenderinnen und -Spender mit Aussagen à la "Was schön war, aber längst vergangen, darf in der Gegenwart neu erstrahlen".
"Ein Ort, der Unterschiede verbindet", verspricht daneben der Kurzclip des Forums. Zeigt als Beweis ein, zwei Bilder, die eine Auseinandersetzung mit dem kolonialen Erbe andeuten.
Ich trete ein in den Schlüterhof.
Die Architektur hebelt in ihrer imperialen Monumentalität das eben gegebene Versprechen eurozentrisch aus. Permanente Hinweise auf die Fragen der Kolonialität? Fehlanzeige.

Magnet des Vergessens

In den Innenhöfen erweist sich das wiederaufgebaute Schloss, von der Außenwirkung, die es auf Touristinnen und Touristen ausübt, als Magnet des Vergessens, als gebaute Demenz: Es wird geschlemmt, geschleckt, geschlendert.
Dass der teure Barockausbau des Schlosses Ende des 17. Jahrhunderts in die Zeit fällt, als Brandenburgs Kurfürsten die Kolonie Groß Friedrichsburg in Westafrika betrieben, von der bis zu 30.000 Menschen als Sklavinnen und Sklaven "mit Gewinn" nach Amerika verkauft wurden? Im nachgebauten Schlüterhof erinnert nichts daran.
Der Ausstellungsführer des Humboldt Forums – ich gehe in den Shop – vermeidet allen Ernstes das Wort "Sklavenhandel". Rassismus oder Raubkunst finden im 14-minütigen Film zur Geschichte des Ortes, den ich mir ansehe, als ein ultrakurz eingeblendetes Foto einer Anti-Schloss-Demo statt. Das DDR-Sandmännchen darf dagegen gefühlte Minuten über die Leinwand tanzen.
Die Herkunft des Baus wird so systematisch naiv neo-nationalisiert. Wird überhaupt an etwas halbwegs kritisch erinnert, so ist es der rüde Umgang des Westens mit dem Ost-Palast der Republik.

Das Leid und die Erbsenzählerei

Was wir nicht vergessen sollten: Herkunft ist ein rechter Kampfbegriff. Für Rechtspopulistinnen und Rechtspopulisten bestimmt er eine enge Schnittmenge des Du-gehörst-dazu, eine weit größere des Du-nicht. Die kulturelle Erbsenzählerei – meine Sprache, meine Grenze, mein Schloss – beruft sich lauthals und unheimlich auf die mehr oder minder offen rassistische Idee einer Leitkultur. Die, geht es um die deutsche Geschichte, mit "d" geschrieben werden sollte: Denn Leid hat Deutschland vielen Ländern gebracht.
Die Herkunft des rassistischen Leids wird ungern analysiert, Erinnerungskultur Made in Germany hin oder her. Noch weniger gerne wird das Kolonialleid, ist es mit nationalen Denkmälern verbunden, sichtbar gemacht. Gerade nicht an den Schnittpunkten der wiedervereinigten Nation. Wie dem Humboldt Forum. Und ich spreche von andauernd, nicht als Zwischendurch-Installation.

Die radikale Ehrlichkeit der Provenienz

Gewiss, blicken wir auf die Herkunftsgeschichte von Kunstgegenständen, hat die Dekolonialisierung die ethno-unlogischen Sammlungen des Humboldt Forums erreicht. Provenienzforschung wird nach unendlichen Zickzackmanövern endlich nicht nur ernst genommen, wenn es um jüdischen Kulturbesitz geht. Auch die koloniale Raubkunst wird kritisch abgeklopft. So ist allen Institutionen klar: Die Benin-Bronzen werden an Nigeria zurückgegeben. Wenigstens lautet derart die rhetorische Übereinkunft.
Was immer auf diesem zentralen Platz in der Hauptstadt passiere, sagt Hartmut Dorgerloh, Generalintendant der Stiftung Humboldt Forum, habe eine besondere symbolische, politische und historische Dimension – bis hin zu den Prozessen, die zum Beschluss der Fassadenrekonstruktion geführt hätten.
Nehmen wir Dorgerloh beim Wort. Verlangen wir die radikale Ehrlichkeit einer Provenienz imperialer Architektur. Fangen wir mit gut sichtbaren Schautafeln an, die an der falschen Fassade befestigt sind. Das eindimensionale Narrativ des Vergessens durchbrechen!

Matt Aufderhorst ist Radio- und Fernsehjournalist und Mitbegründer von "Authors for Peace". Er studierte Kunstgeschichte und Deutsche Literatur. Seine Essays über Architektur und Erinnerung sind unter anderem in "Lettre International" und "WOZ" erschienen.

© Ali Ghandtschi
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