Berliner Kiezkultur

Rettet die Spätis!

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Ein Berliner Spätkauf bietet auf engem Raum oft das Wichtigste für Haushalt und Kühlschrank. © dpa/ picture-alliance/ Britta Pedersen
Von Jürgen Stratmann |
Ohne "Späti" geht in Berlin nichts. Anwohner und Touristen finden in den kleinen Läden bis spät in die Nacht und auch sonntags alles vom Bier bis zum Toilettenpapier. Lange wurden die Öffnungszeiten der Kiezläden geduldet - doch nun geht es den "Spätis" an den Kragen.
"Drei! Fünf! Ich kriege alles Geld aus der Mitte!"
Vor dem kleinen Späti im Berliner Touristen-Kiez Kreuz-Kölln stehen Klapptische und Bänke auf dem Bürgersteig, an einem wird unter freiem Himmel Monopoly gespielt ...
"Wasserwerk! Höhahaha - kauf ich! Asche! Asche! Asche - Asche!!!"
... an dem andern sitzt ein einsamer Zecher, der sich nur ab und zu bemerkbar macht:
"´Tschuldigung, haste ma ´ne Zigarrette?"
... die er anstandslos bekommt -
"Danke!"
Auch auf dem Zäunchen um ein üppig bepflanztes Mini-Beet vorm Laden hocken plauschende Flaschenbiertrinker, der Durchgang auf dem Gehweg ist eng, Nachtschwärmer zwängen sich im Gänsemarsch durch, aber niemand beschwert sich. Ist eben so, meinen Stammgäste:
"Im Späti findet alles auf der Straße statt, das ist hier so ein Hotspot für die Nachbarschaft, die sich austauschen, sich informieren - was früher der Friseur war, das ist heute auch der Spätkauf, gleichzeitig ist es auch ´ne Poststation, und man kann hier auch andere Sachen hinterlegen, die dann von anderen abgeholt werden."

"Für mich persönlich ist es auch mein Balkon, weil ich leider keinen habe und im Hinterhof wohne!"
Das letzte Refugium für Anwohner
Die Kneipen und Kaffees rundherum konzentrieren sich längst auf zahlungskräftiges Publikum aus aller Welt, die ehemaligen Eckkneipen haben jetzt Getränkekarten in Englisch, Spätis sind da tatsächlich "das letzte Refugium für Anwohner!"
Wobei der Begriff Anwohner hier eine ziemlich bunte Mischung bezeichnet, so der Laden-Besitzer: "Deutsche, Türken, Araben Italiener, Spanier!"
... und er? "Ist der Herbergsvater! - von uns allen hier!"
Doch seit einiger Zeit gefährden Ordnungshüter in einigen Bezirken Berlins die Späti-Kultur, indem sie an Wochenenden auf die Einhaltung des Ladenschlussgesetzes pochen! Das Ladenschlussgesetz, das besagt, dass sonntags nur Läden öffnen dürfen, die entweder Reisebedarf oder ein nur begrenztes Warenangebot anbieten: Blumen, Zeitungen, Backwaren und Milchprodukte! Die wenigsten Spätis tun das, dürfen also Sonntags eigentlich nicht öffnen. Was existenzgefährdend ist, denn:
"Weil Kaisers, Netto, Aldi nicht geöffnet hat", ist das für viele der umsatzstärkste Tag: "Sonntags kaufen die Butter, Milch, Brot, Toilettenpapier..."
Das Gesetz gibt es schon ewig, aber man ließ die Spätis gewähren - obwohl: Polizisten und Ordnungsamtsmitarbeiter seien auch früher schon mal sonntags vorbeigekommen:
"Jahaa! zum Kaufen! Waren sie schon da! Die kaufen ja selber was!"
Warum dann der Sinneswandel?
"Frag mich, ich kenn mich aus!", behauptet der junge Kiosk-Betreiber aus Neukölln, der schon öfter Besuch vom Ordnungsamt hatte. Also warum? "Wegen der Tankstellen!" Tankstellen, die die Bier-Zigaretten-und-Eis-Konkurrenz im Sonntagsgeschäft ausschalten wollen? "Ja klar! im Umkreis von Tankstellen dürfen keine Spätis öffenen, sonst klagen die ja! Und die Tankstellen haben gewonnen!"
Fällt der Sonntag weg, droht vielleicht Hartz IV
Klingt plausibel, ist aber nur eine von vielen Spekulationen! Ganz real dagegen ist - das Böse hat einen Namen: der Sheriff von Neukölln - der Polizist.
Robert Ruf geht regelmäßig auf Sonntagspatrouille, um renitente Späti-Betreiber zur Strecke zu bringen. Denen drohen hohe Bußgelder, der Mann verbreitet Angst und Schrecken. Und das sei auch gut so, sagte er kürzlich im Zeitungsinterview, schließlich sei er Polizist! Aha!
Gast vom Kreuzköllner Späti: "Mich regt das echt auf, dass da ein Hansel hingeht, und Existenzen kaputt macht: das sind hart arbeitende Leute - so´n Späti, das ist richtig Knochenarbeit, die ganzen Kisten schleppen..."
Sieben Tage die Woche, fast rund um die Uhr:
"Frühschicht, Spätschicht, Nachtschicht...", so die Ehefrau eine Späti-Besitzers, die gelegentlich im Laden aushilft. Und von wegen "Existenzen kaputt machen" - damit schneide sich, so ein weiterer Büdchenbetreiber aus Kreuzkölln - die Stadt letztlich ins eigene Fleisch:
"Viele Späti-Besitzersind nicht-qualifizierte Leute. Wir haben keine Ausbildung. Wenn wir zumachen müssen, müssen wir auf Hartz-4-gehen - dann kosten wir Geld!"
Hilfe und Unterstützung kommt aus der Bevölkerung - mit ihrer Petition "Rettet die Spätis" engagiert sich die Berlinerin Christina Jurgeit für ein freies Sonntagsverkaufsrecht aller Spätis- und "die Petition hat zurzeit 32000 Unterschriften - ist schomma super, weil´s nur regional ist - und ich war Mitte Juli noch in´ner Bezirksversammlung, hab da meine Anwohnerfrage gestellt für die Spätis."
Wo man ihr schnell klarzumachen versuchte: Rechtlich geht da gar nichts! Sowohl die Gewerkschaften als auch die Kirchen pochen auf den freien Sonntag. Das aufzuweichen "ist verfassungswidrig, das Ladenöffnungsgesetz in der Hinsicht zu ändern. Aber wenn du immer nur gesagt bekommst, da kannst du nichts machen, leg dich wieder hin, dann hast du auch gar kein Bock, dich für deine Nachbarschaft einzusetzen."
Und es gibt tatsächlich Lösungsvorschläge - die vereinigte Nachbarschaft vom Kreuzköllner Späti plädiert beispielsweise für eine Art Clublösung: "Sonntags ist der private Tag dann, wo nur Leute aus´m Haus reindürfen - wir werden uns auf jeden Fall was einfallen lassen!"
Dagegen fordert man seitens der Späti-Betreiber: mehr Freizeit für Polizisten und Ordnungsamtsmitarbeiter. Denn: "Die arbeiten doch auch sonntags - haben die keine Familie?"
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