Arme Schweine
Mit einer Klage beim Bundesverfassungsgericht will Berlins grüner Justizsenator für bessere Haltungsbedingungen von Schweinen sorgen. Die derzeit oft von Enge, Schmutz und kaum Tageslicht geprägt sind. Alles ganz legal - noch.
Schweine leben bevorzugt in der Familie, wühlen gerne im Boden, können hervorragend riechen und werden unter natürlichen Bedingungen locker acht Jahre und älter. In deutschen Schweinemastanlagen ist meist nach sechs Monaten und dem Erreichen von 120 Kilo Körpergewicht Schluss.
Die Haltungsbedingungen in dem kurzen Mastschweinleben bilanziert Berlins Tierschutzbeauftragte Diana Plange so: "Das Grundproblem an der ganzen Geschichte ist, dass das Tier den Verhältnissen angepasst wird und nicht die Verhältnisse – so wie es eigentlich gefordert wird – an das Tier."
Denn tatsächlich sind die Lebensbedingungen der Tiere in den Ställen von Anfang bis Ende minimalistisch:
Tageslicht sehen die Tiere kaum, der Boden unter ihren Füssen besteht oft aus blankem Beton. Mit vielen schmalen Spalten darin, in die die Ausscheidungen der Tiere abtropfen sollen. Der vorgeschriebene Raum pro Tier liegt im Höchstfall bei zweieinhalb Quadratmetern, meist aber deutlich weniger. Zum Zeitvertreib zwischen Fressen und Schlafen muss oft ein Gummiball ausreichen.
Die Bevölkerung will Tierschutz, meint der Justizsenator
Berlins Justizsenator Dirk Behrendt von den Grünen hat diesen legalen Haltungsbedingungen nun den Kampf angesagt: "Wir stellen fest, dass die Bereitschaft der Bevölkerung bei Umfragen zu Tierschutzfragen, zu Massentierhaltungsfragen, diese Bedingungen hinzunehmen, immer geringer werden, die Schweinehalter der Bundesrepublik große Schwierigkeiten haben auf Akzeptanz zu stoßen", sagt er. "Deswegen wollen wir das jetzt umfassend überprüfen lassen, und wir sind optimistisch, dass wir mit unserer Einschätzung, dass das nicht in Ordnung ist, was da passiert, beim Bundesverfassungsgericht Erfolg haben werden."
Als Instrument hat Behrendt dafür einen speziellen juristischen Hebel gewählt: einen Normenkontrollantrag beim Bundesverfassungsgericht, der die Regelungen in der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung in Frage stellt. Der Rechtsanwalt Hans-Peter Vierhaus hat den hunderte Seiten starken Normenkontrollantrag für den Berliner Senator verfasst. Als Dreh- und Angelpunkt sieht er für das verfassungsrechtliche Verfahren den Paragrafen 2 aus dem Tierschutzgesetz:
"Der ist sozusagen das Grundgesetz des Tierschutzes, denn da steht drin, dass Tiere Art- und Bedürfnis-angemessen ernährt, gepflegt und verhaltensgerecht untergebracht werden müssen."
Verätzte Lungen schon bei jungen Tieren
Das klageführende Land Berlin argumentiert in seinem Normenkontrollantrag, die derzeit zulässige Schweinehaltung sei nicht artgerecht. Hierzu führt es diverse Details an, die es in den Ställen für unzulänglich hält: den Platz, die Temperatur-Regelung, das Spielzeug etwa. Tatsächlich reichen laut Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung beispielsweise ein halber Quadratmeter für ein 50 Kilo schweres Schwein. Dirk Behrendt nennt noch weitere Mängel:
"Das Schwein wünscht sich von seiner tierischen Art ein Trennung der Bereiche Essen, Schlafen, Kot und Urin, und das ist in den deutschen Schweineställen überhaupt nicht der Fall. Die Schweine liegen mehr oder weniger in den Exkrementen der anderen, so sie nicht durch diesen Boden mit den Ritzen durchgetreten werden oder durchlaufen und atmen die ganze Zeit die ammoniakhaltige Luft und deswegen haben wir in der Tierhaltung zu großen Anteilen verätzte Lungen schon bei sehr jungen Schweinen."
Eine besondere Maßnahme betrifft Sauen rund um die Geburt ihrer Ferkel: Sie werden – erlaubt und üblich – über Wochen in sogenannten Kastenständen untergebracht. Das soll verhindern, dass sie mit ihrer Körpermasse eines der kleinen Ferkel zerquetschen. Nicht artgerecht, findet Rechtsanwalt Hans-Peter Vierhaus:
"Das ist letztlich nichts anderes als ein Käfig aus Stahlrohren, der exakt an die Körpermaße der Sau so angepasst wird, dass sie sich praktisch nicht bewegen kann, also Sozialkontakte mit anderen Tieren sind völlig unmöglich und vor allem auch: Sozialkontakt mit ihrem eigenen Nachwuchs. "
Selbst wenn die Normenkontrolle Erfolg hat, schnell wird sie daran nichts ändern. Denn das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe wird nicht zeitnah entscheiden.
Tierschützer etwa beim deutschen Tierschutzbund begrüßen die Berliner Initiative. Präsident Thomas Schröder:
"Wir wollen eigentlich Änderungen sofort: im Stallsystem, in der Frage der Zucht, in der Frage der Haltung der Tiere, aber es geht hier um die Grundsatzfrage, ob eine solche Form der Intensivhaltung mit dem Staatsziel Tierschutz und dem Tierschutzgesetz vereinbar ist, da nehmen wir den langen Atem in Kauf, weil dann im Grundsatz geregelt ist, was nicht mehr sein darf."
"Rind und Schwein" verspricht Verbesserungen
Der Tierschutzbund fordert in den Schweineställen auch noch viele Veränderungen, die über die Argumente des Landes Berlin hinausgehen: zum Beispiel Tageslicht, Stroh und stabile Tiergruppen sowie den Verzicht auf das Abschleifen der Zähne.
Die deutschen Schweinemäster sind dagegen mit dem Status Quo sehr zufrieden. Der Bundesverband Rind und Schwein vertritt rund 80 Prozent von ihnen. Geschäftsführerin Bianca Lind hat mit einem Normenkontrollantrag gerechnet. Die Kritikpunkte im Einzelnen weist sie zurück, betont aber, dass sich die Schweinehaltung in diesem Jahr ohnehin verändern werde:
"Generell halten wir die Gesetzgebung, die wir in Deutschland haben, für angemessen und für umsetzbar. Wir werden uns ja in diesem Jahr 2019 sehr intensiv damit auseinander setzen in den Betrieben, dass wir die Schwänze nicht mehr kupieren dürfen, im ganzen Management eines Betriebes, da wird es noch vielfältige Anpassungen geben, die mit Fütterung zusammenhängen, die mit einer Buchtenstrukturierung zusammenhängen, vielleicht auch verschiedenen Temperaturführungen, aber da haben wir einfach ganz ganz wenig momentan wissenschaftlich wirklich sichere Ergebnisse."
Mit dieser Begründung lehnt Bianca Lind auch eine Abschaffung der Kastenstände ab. Nur diese Veränderung hält sie für denkbar: man könnte die Verweildauer der Sauen darin verkürzen. Etwa um 14 Tage. Darüber sei der Verband mit der Bundeslandwirtschaftsministerin im Gespräch. Darüber hinaus verweist sie auf die Initiative "Tierwohl", durch die die Schweine in vielen Ställen weit mehr bekämen als die Mindestvorgaben. Etwa an Platz.
Der Berliner Justizsenator Dirk Behrendt betont, die Klage solle die Schweinehaltung nicht abschaffen, sondern nur tiergerechter machen.