Berliner Musiklehrer kämpfen gegen Dumping-Löhne

Von Ulrike Klobes |
Gerade mal 12.500 Euro brutto im Jahr verdient ein freiberuflicher Musikschullehrer in Berlin im Schnitt. Der Senat plant dennoch Einkommenskürzungen. Ab dem 1. August sollen neue Honorarverträge gelten – wer nicht unterschreibt, verliert seinen Job. Jetzt regt sich Widerstand.
Ein großer, heller Raum im dritten Stock der Musikschule Berlin-Friedrichshain. Lena, 16 Jahre alt, steht vor einem Notenpult, am Flügel sitzt Elisabeth Fischer, die Gesangslehrerin. Heute steht das "Heidenröslein" auf dem Plan.

Immer wieder unterbricht Elisabeth Fischer Lenas Vortrag, erklärt, gibt Anregungen und macht vor, wie es besser klingt. Seit 13 Jahren ist sie freiberufliche Gesangslehrerin an verschiedenen Berliner Musikschulen. Bislang war ihr Gehalt durch eine monatliche Abschlagszahlung geregelt. Wenn es nach den neuen Plänen des Senats geht, dann wird Elisabeth Fischer ab kommenden August jede ihrer 29 Unterrichtsstunden einzeln abrechnen müssen, wie Bildungsstaatssekretär Mark Rackles von der SPD erläutert.

"Der Hintergrund ist, dass die nicht fest angestellten Musikschullehrer keiner Scheinselbständigkeit unterliegen dürfen. Es muss also klar sein, dass es keine Festangestellten sind, sondern Freiberufler. Und da hat die deutsche Rentenversicherung veranlasst – durch mehrere Prüfungen –, dass wir in diesen Bereichen die Verträge nachsteuern müssen."

Das hat zur Folge, dass nur noch die Unterrichtsstunden honoriert werden, die auch tatsächlich gegeben wurden.

"Wenn sie donnerstags Geigenunterricht geben und es sind drei Feiertage an einem Donnerstag, dann haben sie dadurch den Unterricht nicht gehalten, und früher wurde das so ein bisschen einfach mitabgebucht durch die Pauschale. Jetzt sagen wir, im Falle von Feiertagen hat kein Unterricht stattgefunden, also kann er auch nicht bezahlt werden."

Zahlen müssen die Eltern trotzdem. Das Geld fließt dann direkt in die Musikschulen. Die freiberuflichen Lehrkräfte bekommen ihr Honorar aber nur dann, wenn sie die Stunde zu einem anderen Zeitpunkt nachholen – bei einem vollen Stundenplan und fehlenden Räumen ist das allerdings oft nur schwer zu machen. Auch während der Schulferien sollen die Lehrerinnen und Lehrer ab August keinen Cent mehr sehen. Dann stehen sie de facto ohne geregeltes Einkommen da. Elisabeth Fischer denkt jetzt schon mit Bauchschmerzen an den kommenden Januar.

"Da gibt’s Kursfahrten, da gibt’s Praktika, irgendwelche Schulveranstaltungen, da fallen viele Schüler einfach weg. Wenn die Schüler wegfallen, krieg ich auch kein Geld. Jetzt hatten wir Dezember, Weihnachten, Ferien, Januar, viele Schüler nicht da, Februar, Ferien und Jahresanfang. Ich muss alle Zahlungen leisten, die für Versicherungen, für was auch immer im Jahr anfallen. Ich weiß nicht, wie ich das machen soll, ich werde da krass ins Dispo fallen."

Neben den geplanten Einzelabrechnungen soll demnächst auch die Kündigungsfrist von Unterrichtsverträgen von maximal sechs Monaten auf nur zwei Wochen gekürzt werden. Auch das trägt nicht gerade zur Planungssicherheit bei. Hochgerechnet auf ein Jahr müssen sich die freiberuflichen Musikschullehrer auf 3,2 Prozent weniger Einkommen einstellen. Der Senat hält das für vertretbar, schließlich gebe es auch Verbesserungen. So wird die musikalische Früherziehung pro Stunde mit zwei Euro mehr vergütet. Und auch die zusätzlichen Aufgaben der Musikschullehrer, wie Schülerkonzerte, Vorbereitung auf Wettbewerbe oder Elterngespräche, sollen künftig nach vorheriger Absprache mit dem Musikschulleiter einzeln abgerechnet werden können. Wie das in der Praxis aussehen soll, ist Elisabeth Fischer allerdings ein Rätsel.

"Stellen Sie sich vor, jetzt kommt hier eine Mutter, hat irgendwelche Probleme, heulend vor der Tür, und dann sag ich, Moment, ich muss erst mal bei meiner Leitung anrufen, ob ich überhaupt mit Ihnen reden darf, das geht ja nicht."

Elisabeth Fischer ist eine von zahlreichen Berliner Musikschullehrern, die sich diese Maßnahmen nicht gefallen lassen und den Senat in Briefen und einer groß angelegten Petitionen zu neuen Verhandlungen zwingen wollen. Dort kommt das gar nicht gut an.

Rackles: "Jetzt durchmischt sich eine Kampagne, wo ich etwas unglücklich bin, dass es eben zu einer hohen Verunsicherung der Nutzerinnen und Nutzer führt. Kinder werden instrumentalisiert, wir kriegen hier Schreiben von Sechsjährigen, das ist so ein bisschen starker Tobak, finde ich. Wir haben uns das nicht selbst vom Zaun gebrochen, das sind rechtliche Vorgaben, die wir haben, und es geht eigentlich darum, im Sinne der Musikschullehrkräfte Rechtssicherheit zu schaffen."

Sich als Alternative ohne die Anbindung an eine Musikschule selbständig zu machen, das kann sich Elisabeth Fischer nur schwer vorstellen. Dann würde ihr der Austausch mit den Kollegen fehlen, und auch die vielen fachübergreifenden Projekte. Und trotzdem: Unterschrieben hat sie ihren neuen Honorarvertrag noch nicht.

"Ich bin mit Leidenschaft Musikschullehrerin. Wenn ich das jetzt nicht unterschreibe, werde ich entlassen, aber ich probiere noch so viel wie möglich zu machen. Und ob ich jetzt unterschreiben werde, das werde ich dann in dem Moment, wo es wirklich hart auf hart kommt, mir überlegen."
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