Berliner Pfaueninsel

Metapher für das Ende der alten Zeit

Luftaufnahme der Pfaueninsel im Berliner Bezirk Zehlendorf am 16.04.2007.
Luftaufnahme der Pfaueninsel im Berliner Bezirk Zehlendorf © picture alliance / dpa / Peter Kneffel
Von Philipp Gessler |
Romantische, magische Orte gibt es in Berlin eher selten. Doch Richtung Potsdam findet man einen: die Pfaueninsel, die neben den Preußenkönigen auch immer wieder Literaten in ihren Bann gezogen hat.
Historische Orte gibt es viele in Berlin, wo an manchen Häuserfassaden immer noch die Einschusslöcher von Maschinengewehrsalven aus dem Zweiten Weltkrieg zu sehen sind. Romantische, magische Orte sind dagegen eher selten.
Die Pfaueninsel, am südwestlichen Zipfel der Hauptstadt in der Havel gelegen, ist einer dieser Ausnahmeorte. Eine Insel, die nicht nur die Preußenkönige in ihren Bann gezogen hat, sondern auch Schriftsteller.
"Wie die Tiere in ihren Käfigen hatte man begonnen, auch die Pflanzen zu versorgen, als wären sie ebenso fremdartig. Manchmal stellte Marie sich vor, wie es sich wohl anhören würde, wenn sie wie die Tiere zu brüllen vermöchten. Doch so, wie man diese Schreie, sollte es sie denn geben, nicht hörte, blieben auch all die Neuerungen den Blicken verborgen.
So war der Candélabre auf der Kuppe im Wald eben nicht vor allem schön, sondern das Herz der Versorgung der ganzen Insel mit Wasser. Leitungen aus zusammengesteckten Tonrohren, die Jahrzehnte später durch eiserne Leitungen ersetzt werden würden, übernahmen die Bewässerung und führten zum Rosengarten und zum Affenhaus, zum Weinberg und zum Lamahaus und von da zum Obstgarten, zum Cavaliershaus, zum Schloß und als offener Bach zum Wasservogelteich, denn vor allem die Rosen gierten im märkischen Sand nach Wasser und soffen es, als stünden sie in der Wüste und nicht auf einer Insel. So wenig wie die Tiere überlebten die Neuankömmlinge unter den Pflanzen ohne diese künstliche Versorgung."
"Pfaueninsel" ist der Roman betitelt, in dem Thomas Hettche 2014 das kleine Eiland gegenüber von Potsdam beschrieben hat: als einen zerbrechlichen, magischen und deshalb auch literarischen Ort. Schon Theodor Fontane hatte in seinen "Wanderungen durch die Mark Brandenburg" die Pfaueninsel schwärmerisch geschildert – aber was hat er eigentlich nicht erwähnt in seinen Wanderungen?
Immer wieder taucht die Pfaueninsel auf den inneren Landkarten von Autorinnen und Autoren auf, so auch bei der Berliner Schriftstellerin Patricia Görg in ihrem 2013 erschienenen Werk "Glas. Eine Kunst" - eine poetische Lebensbeschreibung des Alchimisten und Glasmachers Johann Kunckel.
In Thomas Hettches Roman "Pfaueninsel" über das Leben der kleinwüchsigen Marie auf der Havelinsel, dem Sehnsuchtsort der preußischen Könige im 19. Jahrhundert, wird diese zu einer Metapher für das Ende der Alten Zeit und den Beginn der Moderne.
Der Autor Thomas Hettche liest aus seinem Buch "Die Pfaueninsel".
Thomas Hettche liest aus seinem Buch "Die Pfaueninsel"© picture alliance / dpa / Susannah V. Vergau
Es ist ein melancholischer Abschied von der Magie des Natürlichen und Urwüchsigen. Zu erahnen ist der Einbruch des Rationalen, Kühlen, Technischen in ein vermeintliches Paradies der Unschuld – ein ziemlich künstliches Paradies samt einem Zoo exotischer Tiere:
"Ein Pfiff, wie sie ihn noch nie gehört hatte, schreckte sie aus ihren Gedanken auf. Im selben Moment schwoll das Geschrei der Affen zu einem unerträglichen Tohuwabohu an. Und noch einmal dieser Pfiff. Marie sah sich beunruhigt um, wenn sie auch sogleich wußte, worum es sich handelte: eine Lokomotive! Die Berlin-Potsdamer-Eisenbahngesellschaft führte eine erste Probefahrt auf der sechsundzwanzig Kilometer langen Strecke von Potsdam nach Zehlendorf durch, der ersten Bahnstrecke in Preußen überhaupt, seit Monaten Gesprächsthema auf der Insel."
1838 rollte die erste Eisenbahn durch den Wald südlich der Pfaueninsel und kündete dampfend und fauchend von einer neuen Zeit.
"Kann mir keine große Seligkeit davon versprechen, ein paar Stunden früher von Berlin in Potsdam zu sein ..."
Mit diesem Satz hatte der damals noch regierende Preußenkönig Friedrich Wilhelm III. den Zug der Zeit aufhalten wollen. Vergeblich. Die Bahn war auch auf der Pfaueninsel zu hören, um die herum sein Nachfolger, Friedrich Wilhelm IV., sein preußisches Arkadien gestaltete.
Die Insel in der Havel mit ihrer romantisch anmutenden Schlosssilhouette war nur scheinbar der Ort, an dem man der Welt entfliehen konnte – dem preußischen Berlin, das immer unruhiger wurde, wuchs und wuchs und sich 1848 revolutionär gebärdete.
"Und immer öfter, als rückte sie tatsächlich näher, sprach man auf der Insel von der Stadt, von den unendlich langen Straßen aus nichts als Stein, von schloßhohen Mietshäusern, von Hinterhöfen und von den unzähligen Menschen, die in den Manufakturen und Fabriken arbeiteten, von Kanälen und Kähnen voll Ziegel und Kohle, von einem abgesetzten König aus Hannover, den die Stadt verschluckt hatte, von Biergärten und politischen Versammlungen, von Elend und Hunger."
In Thomas Hettches Roman nähert sich die neue Zeit wie eine Gewitterfront. Zusammen mit den Schlössern und Parks in Potsdam und dem benachbarten Schloss Glienicke in Berlin ist die Pfaueninsel heute UNESCO-Welterbe. Kein Paradies, aber immer noch ein paradiesischer Ort abseits der Metropole.
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