Brechts Lehrstück als Konzert
Zehn Berliner Chöre haben sich das Lehrstück "Die Maßnahme" von Bertolt Brecht und Hanns Eisler erarbeitet. Sie wollen es in historischer Besetzung auf die Bühne bringen. Heute Abend ist in der Philharmonie Premiere.
Sonniges Frühlingswochenende in Berlin. Draußen auf der Friedrichstraße rasen die Skater, drinnen – im Haus der Russischen Kultur – rasen die Gemüter. Es ist die Geschichte eines Genossen, der vom Glauben an die Partei abgekommen ist und sein angebliches Fehlverhalten mit dem Tode bezahlt.
Kein Frühlingsthema und trotzdem brennen die Sängerinnen und Sänger darauf, die Botschaften des Stückes möglichst präzise und verständlich zu deklamieren. Vorn am Klavier der künstlerische Leiter Marcus Crome:
"Es ist faszinierend zu erleben, wie: In der Probe saßen 140 Chorsänger da, wo ich dann dachte, da haste aber was initiiert vor drei Jahren. Das ist schon ... ja: spannend."
Bildungsbürger neben jungen Wilden
Die Sängerschaft könnte unterschiedlicher nicht sein. Altkommunisten sitzen neben Alt-68ern, Bildungsbürger neben jungen Wilden. Ein Clash der Sozialschichten und ein spannungsgeladenes Gebräu, sollte man denken, das nur darauf wartet, dass einer den ersten Stein wirft – sprich: die Diskussion eröffnet. Rosa Hoppe singt beim Coro Contrapunto aus Kreuzberg:
"Na Sie werden staunen. Mit kam da einiges bekannt vor. Ich bin Tochter von 68ern und die haben selber Flugblätter vor Fabriken verteil, um die Arbeiterinnen zu mobilisieren. Und deshalb war mir vieles davon nicht fremd. Ja für mich war das auch berührend, dass aufzuführen – weil, über die Musik und die Art und Weise, wie der Text aufbereitet ist, konnte ich noch mal so die Stimmung, mit der dieses Engagement für Kommunismus verbunden war, da konnte ich die richtig spüren – oder zumindest meine ich wiedererkannt zu haben, was meine Eltern viel erzählt haben."
"'Komm heraus, Genosse! Auf die Straße! Kämpfe! Resigniere nicht! Lass das nicht alles zu! Leiste Widerstand!' Das ist der Kapitalismus für mich offenbar noch nicht das Ende."
Auch wenn er schon 85 ist, Günther Wendler ist nicht nur ältester Chorsänger dieser "Maßnahme", er ist auch ein glühender Verfechter. Das geht nicht allen so. Es habe viel Diskussion gegeben, sagt er, manche der insgesamt zehn Chöre sind nur zur Hälfte angetreten. Die Meinungen gehen auseinander zwischen "epochales Meisterwerk", "Theater der Zukunft" bis zu stalinistisches Machwerk und Konterrevolution.
"'Ich weiß nicht, was ein Mensch ist, ich kenn' nur seinen Preis" – ein Satz, der seine Aktualität auch in Hinblick auf die Flüchtlingskrise nicht verloren hat. Brecht wollte seinerzeit ein Werk, das den beteiligten Musikern und Sprechern zur Lehre gereicht, sie zum Nachdenken anregt, eine Haltung finden lässt. Rosa Hoppe kann starke Parallelen zum Heute entdecken.
"Der junge Genosse, der folgt zwar seinen Überzeugungen, aber in einem bestimmten Moment gibt's da so einen menschlicheren Impuls als – also sein Impuls ist menschlicher als das Standard-ABC des Kommunismus, dass die Partei predigt und dafür wird er bestraft. Und ich finde, dass ist auch, was im Moment am Werke ist. Und ich finde, darum geht's in dem Stück – also die Frage von: Folgen wir wegen Langzeitzielen einer bestimmten Strategie und lassen unsere Menschlichkeit außen vor? Und was bedeutet es, wenn einzelne einen anderen Schritt?"
Herzen und Köpfe zu öffnen
Die Musik von Hanns Eisler besitzt ihre eigene Ästhetik, die nichts mit romantischer Schönheit zu tun hat. Und sie ist mehr als nur Begleitung. Leiter Marcus Crome kommt ins Schwärmen ...
"Also diese unglaublich breite Vielfalt ist natürlich faszinierend. Dieser Text, der immer – wenn man nur den Text gelesen hat – interpretiert wurde als ein furchtbares stalinistisches Machwerk oder so. Aber durch die Musik bekommt dieser Text eine völlig andere Ebene und sie kommentiert ihn."
Am Ende ist es ein weiter und steiniger Weg, den diese Maßnahme zurückgelegt hat. Und ob sie einhellig beklatscht wird, bleibt abzuwarten. Aber eines hat sie jetzt schon erreicht: die Herzen und Köpfe zu öffnen für eine heute immer noch aktuelle Botschaft: Ändere die Welt, denn sie braucht es.