Flüchtlinge als Museumsführer
Bismarck, Luther, Erster Weltkrieg: In Berliner Museen erklären Flüchtlinge ihren Landsleuten Deutschland. Die Besucher entdecken immer wieder Parallelen zur eigenen Geschichte.
Samstagnachmittag um drei, Unter den Linden in Berlin. Eine Gruppe arabischer Männer, die meisten von ihnen Flüchtlinge, wartet geduldig in der Eingangshalle des Deutschen Historischen Museums. Einer sagt, sie hätten über Facebook von dem Projekt gehört.
"Ich bin gekommen, um mehr über die deutsche Geschichte zu erfahren. Wir sind ja jetzt schon einige Zeit hier und es ist sehr wichtig, dass wir die Kultur besser kennenlernen."
"Hallo zusammen, ich heiße Khaled. Ich mache heute die Führung. Ich bin von Multaka …"
"Hallo zusammen, ich heiße Khaled. Ich mache heute die Führung. Ich bin von Multaka …"
Führungen auf Arabisch
Khaled Haddad aus Damaskus studiert Wirtschaftsinformatik und lebt seit zwei Jahren in Deutschland. Im Rahmen von Multaka, einem Kooperationsprojekt mehrerer Berliner Museen, hat er sich zum Museumsführer ausbilden lassen. Er ist überzeugt von der Idee.
"Das ist der Grund, warum wir das auf arabisch machen, weil, wenn wir in der Muttersprache reden, wird es viel einfacher für die Gruppe und die Flüchtlinge. Damit können sie das verstehen."
"Alle haben Tickets? Los geht's. Yalla!"
Mit großen Schritten läuft die Gruppe durch die Jahrhunderte - Khaled Haddad strebt zügig zur Reformation. Er will die Praxis der Ablassbriefe erklären.
Über Politik will der Museumsführer nicht sprechen
Khaled erklärt, dass die Kirche damals alle Bereiche des Lebens kontrolliert hat. "Wie im Iran heute!" ruft einer dazwischen. Khaled wiegelt ab. Er spricht nicht über Politik bei seinen Führungen. Wie gefährlich das sein kann, weiß der Syrer nur zu gut. Seine ganze Familie lebt noch in Damaskus.
"Die Syrer, die haben verschiedene Meinungen. Und ich respektiere das. Und jeder hat seine Meinung, und ich hab auch meine Meinung. Aber ich muss sie nicht mit allen teilen und diskutieren."
Die Kontroverse um die Ablassbriefe leuchtet auch so allen ein. "Das ist also wie ein Ticket in den Himmel?" fragt ein Teilnehmer. "Ja genau", erklärt Khaled, und Martin Luther hat dagegen aufbegehrt.
Parallelen zur syrischen Geschichte
Die Syrer entdecken immer wieder Parallelen zu ihrer eigenen Geschichte. Dass Streit um die Religion zum Dreißigjährigen Krieg führte, erstaunt sie wenig.
"Der Streit zwischen Katholiken und Protestanten - das ist wie bei uns, zwischen den Schiiten und Sunniten."
Manche Exponate bringen die Syrer auch zum Lachen - wie die blitzenden Ritterrüstungen. "Sehr praktisch war das nicht", lacht Khaled. "Im Sommer heiß, im Winter kalt."
Und schon geht's weiter – zur industriellen Revolution, zur ersten Druckerpresse und zu den ersten Automobilen. Die alten mechanischen Nähmaschinen von Singer und Pfaff kommen einigen Besuchern bekannt vor. "So eine Nähmaschine haben wir zuhause auch gehabt. Die sind viel besser als die elektrischen", ruft es aus der Gruppe.
Die Syrer fragen immer wieder nach, lassen sich den Westfälischen Frieden und die Politik Bismarcks erklären. Aber auch im Laufschritt schafft es Khaled Haddad heute mit seiner Gruppe nur bis zum Ersten Weltkrieg.
Die Besucher sind begeistert
"Ich danke Euch sehr."
"Vielen Dank dir auch! Danke."
"Wenn es Euch gefallen hat: Die Führungen von Multaka sind jeden Mittwoch und jeden Samstag. Immer um drei. Nicht nur im Deutschen Historischen Museum, sondern auch im Museum für Islamische Kunst, im Pergamonmuseum und im Bode-Museum, gleich hier in der Nähe."
Die Teilnehmer sind begeistert. "Alles war interessant, alles", versichern sie.
Khaled, der Museumsführer, kennt die deutsche Geschichte inzwischen besser als mancher Deutsche. Besonders beeindruckt es ihn, wie die Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg ihr Land wieder aufgebaut haben.
"Das ist eine große Motivation auch für die Syrer, die hier in Deutschland sind. Und ich sage der Gruppe immer, wir können das in Syrien nach dem Krieg gleich machen. Das schaffen wir nach dem Krieg, wir müssen unsere Land nochmal aufbauen."