Genitalverstümmelung

Wie Frauen geschützt schwimmen lernen

06:43 Minuten
Nima Muhamed (Mitte) kommt aus Somalia, hier mit Tochter Muha (links) und Sohn Ridwan.
Nima Muhamed (Mitte) kommt aus Somalia, hier mit Tochter Muha (links) und Sohn Ridwan. © Cornelia Strunz
Von Caroline Kuban · 26.05.2024
Audio herunterladen
Das Berliner Desert Flower Center behandelt seit über zehn Jahren Frauen, die an den Folgen von Genitalverstümmelung leiden. Mit einem neuen Projekt können die Frauen auch schwimmen lernen, was in ihren Herkunftsländern oft nicht möglich war.
18 Uhr an einem Samstagabend im Primavita-Bad Berlin-Zehlendorf. Sechs Kinder zwischen vier und acht Jahren liegen auf dem Bauch im Wasser, halten sich mit den Händen am Beckenrand fest und strampeln mit den Beinen. Daneben - ebenfalls im Wasser - ihre Mütter.

Die Idee hatte eine Schwimmschule

Teils helfen sie den Kindern, teils machen sie die Übungen mit. Eine von ihnen ist Nima Muhamed. Sie kommt aus Somalia. 2007 floh sie vor dem Bürgerkrieg, seit 2014 lebt sie in Deutschland.

„Ich habe Angst. Ich konnte nicht schwimmen, aber jetzt geht es besser. Ich habe ein bisschen gelernt. Nicht alles, aber ich muss bis Juli weitermachen. Jetzt ich habe keine Angst mehr.“

Seit Ende Februar gibt es das „Projekt Seerose“. Die Idee, Frauen und ihren Kindern aus verschiedenen Herkunftsländern das Schwimmen beizubringen, hatte Sven Reichardt. Ihm gehört die Schwimmschule Seepferdchen4All.

Sprachbarriere und kulturelle Unterschiede

Camilla Kuppert, seine Frau, ist dort hauptverantwortliche Schwimmtrainerin. Die Sprachbarriere und die kulturellen Unterschiede seien nicht zu unterschätzen, sagt Kuppert, da müsse man flexibel sein.
Aber der Einsatz der Kursteilnehmerinnen sei immens. So war es auch kürzlich während des Ramadans:

Die Frauen kommen teilweise, wenn sie den ganzen Tag nichts essen. Dann beten sie natürlich auch, das gehört zum Fastenbrechen dazu. Es sind immer ganz viele Dinge, auf die man sich einlassen muss. Ich habe selten so viele glückliche Menschen gesehen. Es mäkelt keiner. Es wollen alle tauchen, es wollen alle springen, es wollen alle schwimmen. Es ist eine Lebendigkeit, es beeindruckt mich immer wieder aufs Neue. Das ist auch das, warum wir hier überhaupt stehen.

Schwimmtrainerin Camilla Kuppert

Es gibt drei Gruppen, gestaffelt nach dem Alter

Die Resonanz auf das Angebot ist groß. Etwa 40 Frauen und 20 Kinder sind hier, um schwimmen zu lernen. Das „Projekt Seerose“ hat allerdings nur zwei Stunden Hallenzeit in Zehlendorf.
Um allen gerecht zu werden, gibt es nach Alter gestaffelt drei Gruppen, die jeweils 40 Minuten Unterricht bekommen, erzählt Camilla Kuppert - und verweist auf eine Besonderheit:

„Hier im Primavita-Bad haben wir den Luxus, dass wir den Boden einstellen können, das heißt, wir haben tatsächlich auch bei 90 Zentimetern angefangen, wir sind jetzt bei 1,20, bei den großen Frauen sind wir bei 1,30 mittlerweile - und so steigert sich das.“

Das DFC verfolgt einen ganzheitlichen Ansatz

Beim Schwimmunterricht immer dabei ist auch Cornelia Strunz. Hier nennen sie alle „Conny“. Sie ist Oberärztin und ärztliche Koordinatorin des „Desert Flower Center“ (DFC) im Krankenhaus Waldfriede in Berlin-Zehlendorf.
Das DFC berät, begleitet und behandelt Frauen, die an den gesundheitlichen und psychischen Folgen von Genitalverstümmelung leiden. Die Teilnehmerinnen des Schwimmkurses kennt Conny alle. Und alle kennen sie. Für ihre Arbeit im „Desert Flower Center“ ist ihr ein ganzheitlicher Ansatz wichtig:

Ich mache da Gesundheitsaufklärung, ich mache kleine Vorträge über die medizinischen Probleme, die auftreten können. Wir hatten mal die Hebammenschule zum Beispiel da, die den Frauen erklärt haben, wie eine normale Geburt vonstattengeht. Wenn die Frauen auch gynäkologisch untersucht werden wollen, können wir das zur Not möglich machen. Wenn die urologische Probleme haben, können wir sie auch weitervermitteln.

Cornelia Strunz, ärztliche Koordinatorin des „Desert Flower Center“

Nima Muhamed kennt sie, seit sie 2015 in ihre Sprechstunde kam. Damals sorgte sich die junge Frau um ihre kleine Tochter Muha, die im Krankenhaus Waldfriede geboren wurde, und der im Falle einer Abschiebung in die Heimat Somalia die Beschneidung drohte. Das gleiche Schicksal wie ihr selbst.
Kein Einzelfall, sagt Cornelia Strunz. Aber auch in Deutschland gelte es, achtsam zu sein:

„Die Gefahr besteht weiterhin, auch für die Mütter, die die Töchter hier in Deutschland gebären, dass zum Beispiel eine Beschneiderin eingeflogen wird. Oder wenn die Töchter in den Sommerferien zurückfliegen, alleine oder mit den Vätern oder mit wem auch immer, dass dann immer noch die Gefahr droht, dass die Kinder beschnitten werden.“

Auch eine Selbsthilfegruppe gibt es

An die 700 Frauen hat die Oberärztin bereits behandelt und beraten. Mittlerweile gibt es eine Selbsthilfegruppe, wo sich betroffene Frauen austauschen können. Die medizinische wie auch die psychosoziale Behandlung ist für die Frauen kostenfrei.
Über das Konzept für den Schwimmkurs hat sich das Desert Flower Center gemeinsam mit der Schwimmschule Seepferdchen4All viele Gedanken gemacht. Wie kann man den kulturellen Unterschieden gerecht werden?

Man braucht viel Geduld und Flexibilität, sagt Cornelia Strunz. Im Eingangsbereich des Primavita-Bades sitzt während des Unterrichts Schwimmschulleiter Sven Reichardt, führt Teilnehmerlisten und wacht darüber, dass keine männliche Person die Halle betritt.
Cornelia Strunz:

„Die Frauen dürfen auch im Ganzkörper- eng anliegendem Anzug ins Wasser gehen. Sie dürfen auch gerne ein Kopftuch tragen, wenn es eng anliegend ist, das machen auch viele. Im Bikini oder im Badeanzug geht da keine einzige Frau rein.“

Kurse auch für Kinder

Mit im Trainerteam ist auch Elonie. Die 21-Jährige ist selbst aktive Schwimmerin und hat bereits in einigen Vereinen Erfahrungen sammeln können:

„Prinzipiell haben wir auch diesen pädagogischen Aspekt, dass die einfach Deutsch lernen sollen. Deswegen ist auch einfach konsequent Deutsch reden sehr wichtig. Hier wollen die Kinder wirklich schwimmen lernen. Man sieht das so an Freude und Dankbarkeit. Das kriegt man einfach zurück - und gute Laune.“

Zum Beispiel von Amin. Der Siebenjährige ist mittlerweile eine richtige Wasserratte.

„Ich habe so die Füße, Strampelbeine gelernt, und ich habe so Spiele gelernt, Wasserspiele wie „Feuer, Wasser Sturm, wenn man „Feuer“ sagt, musst du unter Wasser pusten, wenn man „Wasser“ sagt, musst du hoch- und runtergehen in die Seiten und wenn man Blitz sagt, musst du Strampelbeine machen.“

Und zum Schluss der Stunde kommt dann noch das Beste: der Sprung vom Wasser-Trampolin! 

Abonnieren Sie unseren Weekender-Newsletter!

Die wichtigsten Kulturdebatten und Empfehlungen der Woche, jeden Freitag direkt in Ihr E-Mail-Postfach.

Vielen Dank für Ihre Anmeldung!

Wir haben Ihnen eine E-Mail mit einem Bestätigungslink zugeschickt.

Falls Sie keine Bestätigungs-Mail für Ihre Registrierung in Ihrem Posteingang sehen, prüfen Sie bitte Ihren Spam-Ordner.

Willkommen zurück!

Sie sind bereits zu diesem Newsletter angemeldet.

Bitte überprüfen Sie Ihre E-Mail Adresse.
Bitte akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung.
Mehr zum Thema Genital- verstümmelung