Berliner Scherbenhaufen
Friedberg Pflüger war nicht der erste, aber er wird auch nicht der letzte Berliner Politiker-Import sein, der an der CDU dieser Stadt scheiterte. Drei Partei- und drei Fraktionsvorsitzende hat die Hauptstadt-Union seit ihrem Wahldebakel 2001 verschluckt. Das mag andere Parteien in der Metropole freuen, aber auch sie haben so ihre Erfahrungen mit Parteisoldaten und Feldwebeln in den eigenen Reihen gemacht.
Freitag, 12. September 2008. - Frank Henkel lädt zu seiner ersten Pressekonferenz als neuer Fraktionsvorsitzender in den Preußischen Landtag. Keine 24 Stunden zuvor hatte die CDU-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus Friedbert Pflüger vom Hof gejagt. Während der neue Fraktionschef das Blitzlichtgewitter huldvoll entgegennimmt, richtet er seine Krawatte und lächelt einen Moment lang artig in die Kameras. Dann schiebt er sein kräftiges Kinn nach vorne und wird ernst.
Henkel: "Ich hab gestern gesagt, dass dies eine reine Personalentscheidung war und keine Richtungsentscheidung. Ich will das heute noch einmal bekräftigen: Es ist Unfug, wenn geschrieben wird, dass mit der Wahl von Frank Henkel an die Spitze der CDU-Fraktion etwa der Kurs hin zu einer modernen Großstadtpartei beendet ist."
Frank Henkels Amtsvorgänger Friedbert Pflüger hatte erst im Januar 2006 die Bundespolitik verlassen und die Berliner Landesbühne betreten.
Parteitag 31.03.06: "Meine Damen und Herren, begrüßen Sie den Mann, der Berlin wieder nach vorne bringen kann, der Mann mit internationalen Erfahrungen für die Weltstadt Berlin. Begrüßen Sie herzlich den Hoffnungsträger der christlich demokratischen Union Berlins, Friedbert Pflüger!"
Ein halbes Jahr später folgte der Dämpfer. Bei den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus verlor CDU-Kandidat Friedbert Pflüger haushoch gegen den Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit, SPD. Der Hoffnungsträger der Union war angeschlagen. Dennoch hatte Friedbert Pflüger die Ärmel aufgekrempelt und an einem neuen christdemokratischen Profil gearbeitet, einem umweltbewussteren, liberaleren. Sein Ziel: Bei der nächsten Wahl die rot-rote Landesregierung mit einer Jamaika-Koalition zu stürzen. Doch dann stellte Friedbert Pflüger in der eigenen Partei die Machtfrage. Als er sich im Haifischteich der Berliner CDU um den Landesvorsitz bewarb, wurde er weggebissen.
Pflüger: "Es ging darum, den Fraktions- und Parteivorsitz in einer Hand zu vereinen, damit die Union in Berlin stärker wird. Und damit mein Programm von einer Grußstadtpartei Realität wird."
Pflügers Nachfolger Frank Henkel war bislang weniger durch programmatische Visionen aufgefallen, als durch holzschnittartige Law- and- Order-Sprüche. Dennoch beteuerte Henkel, dass Pflügers Papier mit den Thesen für eine Modernisierung der Partei seine volle Zustimmung genieße.
Henkel: "Ich habe an all diesen Prozessen der Vergangenheit intensiv mitgewirkt. Und ich habe eng und gut mit Friedbert Pflüger zusammengearbeitet und deshalb überhaupt keine Abstriche an seinem Papier zu machen."
Frank Henkel ist seit 22 Jahren CDU-Mitglied und war parlamentarischer Geschäftsführer und Generalsekretär der Hauptstadtunion. Als Kreisvorsitzender des Berliner Bezirks Wedding trifft er sich regelmäßig mit den anderen Kreisvorsitzenden an der Spree. Die Meetings der christdemokratischen Lokalfürsten gelten als besonders einflussreiche Kungelrunden in Berlin. Nach Auffassung von Parteienforscher Nils Diederich dienen die Treffen auf Kreis-Ebene hauptsächlich dazu, die Machtbereiche der Mitglieder abzusichern.
Diederich: "Traditionell haben die Kreise eine sehr starke Position. Die sind aber nicht auf inhaltliche Ziele orientiert, sondern ausschließlich darauf, personelle Konstruktionen zu finden für den jeweiligen nächsten Wahlgang."
Das Hinterzimmernetzwerk der Kreisfürsten war es, das Friedbert Pflüger die Kandidatur auf den Parteivorsitz erst einmal ausredete. Pflüger lies sich zunächst überreden und verzichtete auf die Kandidatur. Dann aber besann er sich und meldete erneut seinen Anspruch auf den Landesvorsitz an. Ein politisch ungeschickter Zick-Zack-Kurs, den seine Fraktion nicht mittragen wollte. Sie wählte Pflüger ab.
Doch die Partei-Basis fand das Verhalten der Kreisvorstände ungehörig. Empörte Unions-Mitglieder in Berlin starteten am Tag nach Pflügers Sturz einen Internetaufruf.
Journalist: "Wir sind es leid, dass aus diesen Hinterzimmerrunden heraus führende Persönlichkeiten der Berliner CDU abserviert werden, und dadurch dem Erscheinungsbild der Berliner CDU seit Jahren erheblicher Schaden zugefügt wird. Was sagen Sie dazu?"
Ein Journalist konfrontierte den neuen Fraktionschef Frank Henkel auf der Pressekonferenz mit diesem Aufruf der Parteibasis. Und Frank Henkel war verärgert.
Henkel: "Hier wird ein Zerrbild formuliert, als würden irgendwelche durchgeknallten Funktionäre in diesen schönen, verrauchten beschriebenen Hinterzimmern sitzen und wilde Sau spielen! Ich habe erlebt, dass dort zwölf sehr verantwortungsvolle Menschen saßen und sich bemüht haben um die Beilegung einer Krise."
Diese Krise bestand nach Meinung der zwölf Kreisvorsitzenden darin, dass der Reformer Friedbert Pflüger gegen den Parteivorsitzenden Ingo Schmitt antreten wollte. Ingo Schmitt ist ein gewiefter Strippenzieher und Pöstchenverteiler. Außerdem ist er selbst auch ein Kreisvorsitzender - mit freundschaftlichen Verbindungen zu den anderen Kreisvorsitzenden.
Nun hätte sich Ingo Schmitt ja die Hände reiben können, weil er es mit Hilfe seiner Kungelrunden geschafft hatte, Friedbert Pflüger zu entmachten. Doch die bizarren Vorgänge im Berliner Landesverband hatten die Bundes-CDU auf den Plan gerufen. Angela Merkel sah das Image der Gesamt-Partei beschädigt. Ingo Schmidt musste seinen Hut nehmen. Letzten Freitag trat er vor die Presse. In dürrem Funktionärsdeutsch kündigte er seinen vorzeitigen Rückzug vom Parteivorsitz zum Februar kommenden Jahres an.
Schmitt: "Darüber hinaus haben wir erörtert, ohne dass wir uns dabei festgelegt haben, dass wir gegebenenfalls, wenn eine personelle Neuaufstellung zu einem früheren Zeitpunkt denkbar erscheint, auch gegebenenfalls einen Sonderparteitag noch in diesem Jahr durchführen würden."
Nun sucht die CDU nach einem weißen Ritter, der sie aus der Krise führt. Eigentlich, meint Politikwissenschaftler Nils Diederich, käme diese Krise der Christdemokraten zum richtigen Zeitpunkt. Denn jetzt könne sich die Partei vor den nächsten Wahlen ganz ungehindert neu aufstellen. Pessimistischer beurteilt er den Modernisierungsprozess der Hauptstadt-Union. Entgegen den Beteuerungen des neuen Fraktionsvorsitzenden glaubt der Parteienforscher nicht, dass die Partei mit Frank Henkel eine Jamaika-Allianz schmieden wird.
Diederich: "Jedenfalls … ist völlig unklar, welche Linie er denn verfolgen will; denn wenn man davon ausgeht, dass Rot-Rot auf der einen Seite und Jamaika auf der anderen Seite in der Stimmungslage der Bevölkerung ungefähr gleich aufgestellt waren bisher, dann fragt man sich, mit wem will die Union denn eigentlich koalieren, wenn sie jetzt Jamaika nicht mehr mit Macht betreibt."
Profitiert nun die Konkurrenz vom Krach der Konservativen? Punktet die rot-rote Landesregierung durch das Ende des Jamaika-Vertreters Friedbert Pflüger? Wissenschaftler Diederich von der Freien Universität Berlin glaubt nur an einen Kurzzeit-Effekt.
Diederich: "Rot-Rot wird sicherlich zunächst einmal davon profitieren, solange die Union mit sich selber beschäftigt ist, dass es auch weniger Kritik an der Senatspolitik geben wird, jedenfalls qualifizierte Kritik. Aber ich denke, es ist weniger das Verhältnis von Opposition und Mehrheit als die Frage: Kommt die Regierungskoalition auf Dauer mit sich selber zurecht."
Wie stabil ist das Koalitions-Fundament? Im Regierungslager ist es in letzter Zeit relativ ruhig, doch klar ist eins: Immer wieder gibt es Spannungen und Risse. Vor zwei Jahren, als sich Rot-Rot - nach einer anstrengenden Legislaturperiode - zum zweiten Mal zusammenfand, gab es sogar ein Koalitions-Beben. SPD-Spitzenkandidat Klaus Wowereit war bei der Wahl zum Regierenden Bürgermeister bei der ersten Abstimmung im Abgeordnetenhaus durchgefallen. Im Koalitions-Lager hatte es zwei Enthaltungen gegeben – vermutlich bei den Linken. Die Folge: eine Nachwahl mit einer hauchdünnen Mehrheit für Wowereit. Dieser war völlig perplex beim Amtseid.
Wowereit: "Ich schwöre, mein Amt ge .. recht und unparteiisch, getreu der Verfassung und dem Gesetz zu führen und meine gg .. ganze Kraft …"
Oppositionspolitiker Volker Ratzmann, einer der beiden Grünen-Fraktionschefs im Abgeordnetenhaus, rieb sich genussvoll die Hände.
Ratzmann: "Der Mann ist völlig angeschlagen. Ich meine, der hat fünf Jahre Regierungsarbeit vor sich mit einer Zweistimmenmehrheit – und gleich beim ersten Mal, wo es drauf ankommt, kriegt er gezeigt: Wir stehen nicht hinter dir."
In der Folgezeit stritt sich das Regierungsbündnis häufig um SPD-Finanzsenator Thilo Sarrazin, der immer wieder mit bizarren Sprüchen zur Sozialpolitik provozierte. Nach seiner Meinung reicht etwa ein Mindestlohn von fünf Euro die Stunde völlig aus. Richtig dicke Luft gab es, als Sarrazin im Juni seinen Koalitionspartner mit den Worten beschimpfte "dumm-dümmer-PDS".
Sarrazin: "Also richtig ist, dass ich konfrontiert wurde mit einem Wort: Arm, ärmer, SPD. Und daraufhin habe ich spontan geantwortet: Dumm, dümmer, PDS – und darauf bin ich eigentlich recht stolz."
Lautstark knirschte es auch im rot-roten Fundament, als es im vergangenen Frühjahr um die Bundesrats-Abstimmung zum EU-Vertrag ging. Die Linkspartei machte solchen Druck auf die SPD, dass Berlin als einziges Bundesland nicht für das Europa-Papier stimmt. Der linke Wirtschaftssenator und Vize-Regierungschef Harald Wolff hielt nämlich das Paragraphenwerk für militaristisch, bürgerfeindlich und neoliberal.
Wolff: "Wir sind für Europa, aber wir wollen ein soziales Europa."
Trotz des Wiederwahldebakels, trotz des provozierenden Finanzsenators und trotz der umstrittenen Bundesrats-Abstimmung sind Politik-Experten überzeugt, dass Rot-Rot in Berlin stabil ist. Nicht zuletzt, weil die Linkspartei eine besonders wirtschaftsfreundliche Politik betreibt. Politik-Wissenschaftler Nils Diederich analysiert, dass auch die Basis der beiden Parteien das Berliner Bündnis stützt. In der SPD liegt es offenbar auch daran, dass Fraktions- und Landesparteichef Michael Müller gut mit dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit zusammenarbeitet.
Diederich: "Im Moment hat es Wowereit geschafft, die Partei ziemlich weitgehend hinter sich zu scharen. Und insofern ist es dort relativ ruhig."
Vergangenen Sonntag, im Ostberliner Bezirk Treptow-Köpenick, morgens um 10 Uhr. Während Kirchgänger zum Gottesdienst pilgern, versammeln sich Mitglieder der Orts-SPD im Rathaus. Die Basisvertreter wollen über den 17. Juni 1953 und den Mauerbau in der DDR diskutieren. Mit dabei Peter Enders, der einst aus der DDR geflohen ist. Der 65-Jährige findet die Ruhe in der Berliner SPD und ihr Zusammengehen mit den SED-PDS-Leuten befremdlich.
Enders: "Die wissen schon sehr genau, mit welchen Leuten sie es zu tun haben. Es ist halt ein gewisser Preis, der gezahlt wird für den Erhalt der Koalition."
Laut Enders ist der Preis der Koalition sehr hoch: Bei Rot-Rot werde das Thema DDR-Diktatur bewusst unter den Teppich gekehrt, glaubt das SPD-Mitglied.
Enders: "Das ist ausdrücklich nicht meine Koalition, die ich gern habe. Ich hätte mir eine andere Koalition von der SPD führend lieber vorgestellt. Ausdrücklich!"
Ortwechsel. Berlin-Mitte, im Karl-Liebknecht-Haus, in der Zentrale der Linkspartei. Ein 34-jähriger, jugendlich wirkender Mann mit Kapuzenshirt, Ohrring und Adidas-Turnschuhen. Klaus Lederer, Chef der Berliner Linkspartei. Lederer dementiert, dass die Koalition das Thema DDR unter den Tisch kehre. Auch innerhalb der Partei setze man sich stark mit der Geschichte auseinander. Gerade mit Alt-SED-Mitgliedern, die die Diktatur gern schönreden.
Lederer: "Das kommt ja auch immer wieder mal vor. Wenn Menschen sich im Grunde apologetisch zur DDR Verhalten und versuchen zu erklären, das beispielweise der Stasi-Knast in Hohenschönhausen so eine Art Urlaubslager war. Und da werden wir auch immer schärfsten Widerspruch aussprechen, wenn wir das hören."
Lederer gehört zu einer Truppe junger, zum Teil westdeutscher Politiker, die in Berlin die Linkspartei führen und ein relativ distanziertes Verhältnis zum DDR-Sozialismus haben. Nach Meinung des Landesvorsitzenden sind Konflikte um die DDR-Geschichte aber eine Ausnahme. Wesentlich mehr Ärger habe es am Anfang der Koalition gegeben, 2002, als es darum ging, Berlins Milliarden-Schuldenberg in Angriff zu nehmen. Rot-Rot sparte Behördenjobs ein, verkaufte Landesbesitz und kürzte Gelder für Universitäten, Theater und Kitas. Die Parteibasis schimpfte.
Lederer: "Wir mussten natürlich als Linke, als damals PDS, überhaupt erstmal lernen, wie sind die Möglichkeiten und Grenzen des Arbeitens in Regierungen. Da hatten wir keine Erfahrung. Und das war auch mit harten Einschnitten, mit der Erfahrung verbunden, dass wir nun nicht mehr selber gegen andere protestierten, sondern dass wir Adressaten von Protest waren."
Zahlreiche Mitglieder traten vor Ärger über den pragmatischen Kurs aus der Berliner PDS aus. Bei der Abgeordnetenhaus-Wahl vor zwei Jahren stürzte die Partei von rund 23 Prozent auf 13 Prozent ab. Die Führung suchte daraufhin verstärkt den Kontakt zur Basis, erklärte die rigide Sparpolitik. Nun ist es ruhiger geworden.
Diederich: "Das spricht durchaus für die Lernfähigkeit der Funktionäre der Partei, aber auch dafür, dass die Mitglieder dies verstanden haben, dass man eben immer nachweist, wo kommt das Geld eigentlich her, das ausgegeben werden soll."
Das abschließende Urteil des Parteienforschers Niels Diederich: Die Berliner Linken haben ihre Regierungsfähigkeit bewiesen. Allerdings könnten bereits im nächsten Jahr neue Konflikte ausbrechen. Ähnlich wie bei den Sozialdemokraten im Land Berlin. Sie stehen wegen Rot-Rot unter dem Druck der Bundes-SPD, weil eine SPD-Linkspartei-Koalition auf Bundesebene noch ausgeschlossen wird.
Diederich: "Die Frage wird spätestens dann stehen, wenn der Bundestagswahlkampf losgeht. Wo man auch in Berlin Bundestagswahlkampf machen muss und im Grunde genommen die Linkspartei für den Bundestagstagswahlkampf eine etwas andere Position einnehmen muss als für Berlin."
Also relative Ruhe bei Rot-Rot und Zwietracht bei der Berliner Union. Und wie sieht es bei den kleinen Oppositions-Parteien aus? Rückblick zum Parteitag der Hauptstadt-Liberalen im April 2008.
Damals ist die Luft im Saal genauso schlecht wie die Stimmung der Parteivertreter, denn es findet ein Machtkampf statt. Die Delegierten sind aufgefordert, zwischen zwei Kandidaten für den Parteivorsitz zu entscheiden. Der eine heißt Martin Lindner und ist Fraktionschef im Berliner Abgeordnetenhaus. Der andere heißt Markus Löning. Der ist Bundestagsabgeordneter und Landeschef der Hauptstadt-Liberalen. Linder findet, dass Löhning als Parteivorsitzender viel zu lahm ist.
Lindner: "Wir dürfen nicht nur über liberale Politik reden, wir müssen sie auch durchsetzen in Berlin."
Außerdem kritisiert der ehrgeizige Fraktionschef, dass sein Parteivorsitzender den Wählern nahezu unbekannt ist. Mit einem Landes-Chef Lindner hätte die FDP mehr Profil und mehr Wähler. Doch Konkurrent Markus Löhning sieht das natürlich anders.
Löning: "Ich glaube, dass Martin Lindner ein guter Fraktionschef ist, und dass ich ein guter Landesvorsitzender bin und die Stärke liegt darin, dass wir das gemeinsam gemacht haben in den letzten Jahren. Die Berliner FDP ist sehr gut aufgestellt."
Markus Löning verweist ruhig auf geordnete Parteifinanzen und steigende Mitgliederzahlen. Mit seiner besonnenen Art gewinnt er am Ende des Parteitages die Mehrheit der Delegierten für sich.
Vielen Delegierten saß ein Konflikt aus dem Jahre '94 noch in den Knochen. Damals stürzte die FDP-Landesvorsitzende Carola von Braun, weil sie private Rechnungen über die Partei-Kasse abgerechnet hatte. Jamaika-Fan Martin Lindner brauchte indessen lange, um seine Niederlage zu überwinden, doch dann entschied er sich, den Fraktionsvorsitz zu behalten und ganz pragmatisch weiterzuarbeiten.
Weniger turbulent geht es bei den Berliner Grünen zu. Obwohl auch bei ihnen kürzlich eine wichtige Personalentscheidung anstand: Mitte Juni hatte sich der Berliner Fraktionschef Volker Ratzmann um den Bundesvorsitz der Grünen beworben. Sein Konkurrent: der Europaabgeordnete Cem Özdemir. Doch ein Hauen und Stechen blieb aus - beide Politiker sprachen äußerst respektvoll übereinander. Schließlich zog Ratzmann seine Kandidatur zurück: Er wird Vater und will sich fortan ganz der Familie widmen. Sind die Grünen politische Gutmenschen?
Wendt: "Wir sind nicht die Gutmenschen in dem Sinne, dass für uns nur wöchentlich oder 14-tägig treffen, um uns gegenseitig zu streicheln. Aber ich denke mir, wir haben es geschafft im Großen und Ganzen fair miteinander umzugehen. Und ick sage mal, die wenn auch nur kurze Konkurrenz zwischen Ratzmann und Özdemir war auch ein ganz gutes Beispiel dafür."
Michael Wendt ist ein grünes Urgestein. Er gründete in Berlin die Alternative Liste mit, war Abgeordneter, zweimal Bezirksstadtrat und arbeitet heute im erweiterten Landesvorstand der Partei. Der 52-Jährige räumt ein, dass aber nicht immer alles Friede-Freude-Eierkuchen ist in seiner Oppositions-Partei.
Wendt: "Es gibt immer Probleme im Rollenspiel zwischen Fraktionsvorsitz und Landesvorsitz, weil das bei uns qua Satzung nicht verbunden ist. Und wenn Sie da zwei haben, die nicht gut miteinander auskommen, dann gibt’s natürlich Konflikte."
Konfliktträchtig ist bei den Berliner Grünen auch das Thema Jamaika-Koalition. Die Basis hat zum Teil Probleme mit einer CDU-Kooperation, die Fraktionsspitze pflegte dagegen bislang gute Kontakte zu den Konservativen.
Die Berliner Parteien – die einen zelebrieren die Selbstzerfleischung, die anderen fahren einen ruhigen Kurs. Was ist die Bilanz des CDU-Machtkampfs? Ein Imageverlust für alle Parteien.
Umfrage unter Bürgern:
"Na die kümmern sich ja eh nur um ihre Belange und nicht um die Belange des kleinen Mannes oder der kleinen Frau, die das Unternehmen Deutschland oder in dem Fall Berlin am laufen halten."
"Also dieser Parteienstreit ist ja eigentlich ein Ding in sich. Also es gibt Leute, die ihre Egotrips ausfahren."
"Ich habe noch nicht die Politiker gefunden, wo ich spüre oder sehe, dass da wirklich was passiert."
Denn nicht nur die Christdemokraten, auch Grüne, FDP und die roten Regierungsparteien befürchten Minuspunkte bei den Wählern. Denn viele Hauptstädter wollen Sachpolitik sehen – und keinen provinziellen Klüngel-Krach.
Henkel: "Ich hab gestern gesagt, dass dies eine reine Personalentscheidung war und keine Richtungsentscheidung. Ich will das heute noch einmal bekräftigen: Es ist Unfug, wenn geschrieben wird, dass mit der Wahl von Frank Henkel an die Spitze der CDU-Fraktion etwa der Kurs hin zu einer modernen Großstadtpartei beendet ist."
Frank Henkels Amtsvorgänger Friedbert Pflüger hatte erst im Januar 2006 die Bundespolitik verlassen und die Berliner Landesbühne betreten.
Parteitag 31.03.06: "Meine Damen und Herren, begrüßen Sie den Mann, der Berlin wieder nach vorne bringen kann, der Mann mit internationalen Erfahrungen für die Weltstadt Berlin. Begrüßen Sie herzlich den Hoffnungsträger der christlich demokratischen Union Berlins, Friedbert Pflüger!"
Ein halbes Jahr später folgte der Dämpfer. Bei den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus verlor CDU-Kandidat Friedbert Pflüger haushoch gegen den Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit, SPD. Der Hoffnungsträger der Union war angeschlagen. Dennoch hatte Friedbert Pflüger die Ärmel aufgekrempelt und an einem neuen christdemokratischen Profil gearbeitet, einem umweltbewussteren, liberaleren. Sein Ziel: Bei der nächsten Wahl die rot-rote Landesregierung mit einer Jamaika-Koalition zu stürzen. Doch dann stellte Friedbert Pflüger in der eigenen Partei die Machtfrage. Als er sich im Haifischteich der Berliner CDU um den Landesvorsitz bewarb, wurde er weggebissen.
Pflüger: "Es ging darum, den Fraktions- und Parteivorsitz in einer Hand zu vereinen, damit die Union in Berlin stärker wird. Und damit mein Programm von einer Grußstadtpartei Realität wird."
Pflügers Nachfolger Frank Henkel war bislang weniger durch programmatische Visionen aufgefallen, als durch holzschnittartige Law- and- Order-Sprüche. Dennoch beteuerte Henkel, dass Pflügers Papier mit den Thesen für eine Modernisierung der Partei seine volle Zustimmung genieße.
Henkel: "Ich habe an all diesen Prozessen der Vergangenheit intensiv mitgewirkt. Und ich habe eng und gut mit Friedbert Pflüger zusammengearbeitet und deshalb überhaupt keine Abstriche an seinem Papier zu machen."
Frank Henkel ist seit 22 Jahren CDU-Mitglied und war parlamentarischer Geschäftsführer und Generalsekretär der Hauptstadtunion. Als Kreisvorsitzender des Berliner Bezirks Wedding trifft er sich regelmäßig mit den anderen Kreisvorsitzenden an der Spree. Die Meetings der christdemokratischen Lokalfürsten gelten als besonders einflussreiche Kungelrunden in Berlin. Nach Auffassung von Parteienforscher Nils Diederich dienen die Treffen auf Kreis-Ebene hauptsächlich dazu, die Machtbereiche der Mitglieder abzusichern.
Diederich: "Traditionell haben die Kreise eine sehr starke Position. Die sind aber nicht auf inhaltliche Ziele orientiert, sondern ausschließlich darauf, personelle Konstruktionen zu finden für den jeweiligen nächsten Wahlgang."
Das Hinterzimmernetzwerk der Kreisfürsten war es, das Friedbert Pflüger die Kandidatur auf den Parteivorsitz erst einmal ausredete. Pflüger lies sich zunächst überreden und verzichtete auf die Kandidatur. Dann aber besann er sich und meldete erneut seinen Anspruch auf den Landesvorsitz an. Ein politisch ungeschickter Zick-Zack-Kurs, den seine Fraktion nicht mittragen wollte. Sie wählte Pflüger ab.
Doch die Partei-Basis fand das Verhalten der Kreisvorstände ungehörig. Empörte Unions-Mitglieder in Berlin starteten am Tag nach Pflügers Sturz einen Internetaufruf.
Journalist: "Wir sind es leid, dass aus diesen Hinterzimmerrunden heraus führende Persönlichkeiten der Berliner CDU abserviert werden, und dadurch dem Erscheinungsbild der Berliner CDU seit Jahren erheblicher Schaden zugefügt wird. Was sagen Sie dazu?"
Ein Journalist konfrontierte den neuen Fraktionschef Frank Henkel auf der Pressekonferenz mit diesem Aufruf der Parteibasis. Und Frank Henkel war verärgert.
Henkel: "Hier wird ein Zerrbild formuliert, als würden irgendwelche durchgeknallten Funktionäre in diesen schönen, verrauchten beschriebenen Hinterzimmern sitzen und wilde Sau spielen! Ich habe erlebt, dass dort zwölf sehr verantwortungsvolle Menschen saßen und sich bemüht haben um die Beilegung einer Krise."
Diese Krise bestand nach Meinung der zwölf Kreisvorsitzenden darin, dass der Reformer Friedbert Pflüger gegen den Parteivorsitzenden Ingo Schmitt antreten wollte. Ingo Schmitt ist ein gewiefter Strippenzieher und Pöstchenverteiler. Außerdem ist er selbst auch ein Kreisvorsitzender - mit freundschaftlichen Verbindungen zu den anderen Kreisvorsitzenden.
Nun hätte sich Ingo Schmitt ja die Hände reiben können, weil er es mit Hilfe seiner Kungelrunden geschafft hatte, Friedbert Pflüger zu entmachten. Doch die bizarren Vorgänge im Berliner Landesverband hatten die Bundes-CDU auf den Plan gerufen. Angela Merkel sah das Image der Gesamt-Partei beschädigt. Ingo Schmidt musste seinen Hut nehmen. Letzten Freitag trat er vor die Presse. In dürrem Funktionärsdeutsch kündigte er seinen vorzeitigen Rückzug vom Parteivorsitz zum Februar kommenden Jahres an.
Schmitt: "Darüber hinaus haben wir erörtert, ohne dass wir uns dabei festgelegt haben, dass wir gegebenenfalls, wenn eine personelle Neuaufstellung zu einem früheren Zeitpunkt denkbar erscheint, auch gegebenenfalls einen Sonderparteitag noch in diesem Jahr durchführen würden."
Nun sucht die CDU nach einem weißen Ritter, der sie aus der Krise führt. Eigentlich, meint Politikwissenschaftler Nils Diederich, käme diese Krise der Christdemokraten zum richtigen Zeitpunkt. Denn jetzt könne sich die Partei vor den nächsten Wahlen ganz ungehindert neu aufstellen. Pessimistischer beurteilt er den Modernisierungsprozess der Hauptstadt-Union. Entgegen den Beteuerungen des neuen Fraktionsvorsitzenden glaubt der Parteienforscher nicht, dass die Partei mit Frank Henkel eine Jamaika-Allianz schmieden wird.
Diederich: "Jedenfalls … ist völlig unklar, welche Linie er denn verfolgen will; denn wenn man davon ausgeht, dass Rot-Rot auf der einen Seite und Jamaika auf der anderen Seite in der Stimmungslage der Bevölkerung ungefähr gleich aufgestellt waren bisher, dann fragt man sich, mit wem will die Union denn eigentlich koalieren, wenn sie jetzt Jamaika nicht mehr mit Macht betreibt."
Profitiert nun die Konkurrenz vom Krach der Konservativen? Punktet die rot-rote Landesregierung durch das Ende des Jamaika-Vertreters Friedbert Pflüger? Wissenschaftler Diederich von der Freien Universität Berlin glaubt nur an einen Kurzzeit-Effekt.
Diederich: "Rot-Rot wird sicherlich zunächst einmal davon profitieren, solange die Union mit sich selber beschäftigt ist, dass es auch weniger Kritik an der Senatspolitik geben wird, jedenfalls qualifizierte Kritik. Aber ich denke, es ist weniger das Verhältnis von Opposition und Mehrheit als die Frage: Kommt die Regierungskoalition auf Dauer mit sich selber zurecht."
Wie stabil ist das Koalitions-Fundament? Im Regierungslager ist es in letzter Zeit relativ ruhig, doch klar ist eins: Immer wieder gibt es Spannungen und Risse. Vor zwei Jahren, als sich Rot-Rot - nach einer anstrengenden Legislaturperiode - zum zweiten Mal zusammenfand, gab es sogar ein Koalitions-Beben. SPD-Spitzenkandidat Klaus Wowereit war bei der Wahl zum Regierenden Bürgermeister bei der ersten Abstimmung im Abgeordnetenhaus durchgefallen. Im Koalitions-Lager hatte es zwei Enthaltungen gegeben – vermutlich bei den Linken. Die Folge: eine Nachwahl mit einer hauchdünnen Mehrheit für Wowereit. Dieser war völlig perplex beim Amtseid.
Wowereit: "Ich schwöre, mein Amt ge .. recht und unparteiisch, getreu der Verfassung und dem Gesetz zu führen und meine gg .. ganze Kraft …"
Oppositionspolitiker Volker Ratzmann, einer der beiden Grünen-Fraktionschefs im Abgeordnetenhaus, rieb sich genussvoll die Hände.
Ratzmann: "Der Mann ist völlig angeschlagen. Ich meine, der hat fünf Jahre Regierungsarbeit vor sich mit einer Zweistimmenmehrheit – und gleich beim ersten Mal, wo es drauf ankommt, kriegt er gezeigt: Wir stehen nicht hinter dir."
In der Folgezeit stritt sich das Regierungsbündnis häufig um SPD-Finanzsenator Thilo Sarrazin, der immer wieder mit bizarren Sprüchen zur Sozialpolitik provozierte. Nach seiner Meinung reicht etwa ein Mindestlohn von fünf Euro die Stunde völlig aus. Richtig dicke Luft gab es, als Sarrazin im Juni seinen Koalitionspartner mit den Worten beschimpfte "dumm-dümmer-PDS".
Sarrazin: "Also richtig ist, dass ich konfrontiert wurde mit einem Wort: Arm, ärmer, SPD. Und daraufhin habe ich spontan geantwortet: Dumm, dümmer, PDS – und darauf bin ich eigentlich recht stolz."
Lautstark knirschte es auch im rot-roten Fundament, als es im vergangenen Frühjahr um die Bundesrats-Abstimmung zum EU-Vertrag ging. Die Linkspartei machte solchen Druck auf die SPD, dass Berlin als einziges Bundesland nicht für das Europa-Papier stimmt. Der linke Wirtschaftssenator und Vize-Regierungschef Harald Wolff hielt nämlich das Paragraphenwerk für militaristisch, bürgerfeindlich und neoliberal.
Wolff: "Wir sind für Europa, aber wir wollen ein soziales Europa."
Trotz des Wiederwahldebakels, trotz des provozierenden Finanzsenators und trotz der umstrittenen Bundesrats-Abstimmung sind Politik-Experten überzeugt, dass Rot-Rot in Berlin stabil ist. Nicht zuletzt, weil die Linkspartei eine besonders wirtschaftsfreundliche Politik betreibt. Politik-Wissenschaftler Nils Diederich analysiert, dass auch die Basis der beiden Parteien das Berliner Bündnis stützt. In der SPD liegt es offenbar auch daran, dass Fraktions- und Landesparteichef Michael Müller gut mit dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit zusammenarbeitet.
Diederich: "Im Moment hat es Wowereit geschafft, die Partei ziemlich weitgehend hinter sich zu scharen. Und insofern ist es dort relativ ruhig."
Vergangenen Sonntag, im Ostberliner Bezirk Treptow-Köpenick, morgens um 10 Uhr. Während Kirchgänger zum Gottesdienst pilgern, versammeln sich Mitglieder der Orts-SPD im Rathaus. Die Basisvertreter wollen über den 17. Juni 1953 und den Mauerbau in der DDR diskutieren. Mit dabei Peter Enders, der einst aus der DDR geflohen ist. Der 65-Jährige findet die Ruhe in der Berliner SPD und ihr Zusammengehen mit den SED-PDS-Leuten befremdlich.
Enders: "Die wissen schon sehr genau, mit welchen Leuten sie es zu tun haben. Es ist halt ein gewisser Preis, der gezahlt wird für den Erhalt der Koalition."
Laut Enders ist der Preis der Koalition sehr hoch: Bei Rot-Rot werde das Thema DDR-Diktatur bewusst unter den Teppich gekehrt, glaubt das SPD-Mitglied.
Enders: "Das ist ausdrücklich nicht meine Koalition, die ich gern habe. Ich hätte mir eine andere Koalition von der SPD führend lieber vorgestellt. Ausdrücklich!"
Ortwechsel. Berlin-Mitte, im Karl-Liebknecht-Haus, in der Zentrale der Linkspartei. Ein 34-jähriger, jugendlich wirkender Mann mit Kapuzenshirt, Ohrring und Adidas-Turnschuhen. Klaus Lederer, Chef der Berliner Linkspartei. Lederer dementiert, dass die Koalition das Thema DDR unter den Tisch kehre. Auch innerhalb der Partei setze man sich stark mit der Geschichte auseinander. Gerade mit Alt-SED-Mitgliedern, die die Diktatur gern schönreden.
Lederer: "Das kommt ja auch immer wieder mal vor. Wenn Menschen sich im Grunde apologetisch zur DDR Verhalten und versuchen zu erklären, das beispielweise der Stasi-Knast in Hohenschönhausen so eine Art Urlaubslager war. Und da werden wir auch immer schärfsten Widerspruch aussprechen, wenn wir das hören."
Lederer gehört zu einer Truppe junger, zum Teil westdeutscher Politiker, die in Berlin die Linkspartei führen und ein relativ distanziertes Verhältnis zum DDR-Sozialismus haben. Nach Meinung des Landesvorsitzenden sind Konflikte um die DDR-Geschichte aber eine Ausnahme. Wesentlich mehr Ärger habe es am Anfang der Koalition gegeben, 2002, als es darum ging, Berlins Milliarden-Schuldenberg in Angriff zu nehmen. Rot-Rot sparte Behördenjobs ein, verkaufte Landesbesitz und kürzte Gelder für Universitäten, Theater und Kitas. Die Parteibasis schimpfte.
Lederer: "Wir mussten natürlich als Linke, als damals PDS, überhaupt erstmal lernen, wie sind die Möglichkeiten und Grenzen des Arbeitens in Regierungen. Da hatten wir keine Erfahrung. Und das war auch mit harten Einschnitten, mit der Erfahrung verbunden, dass wir nun nicht mehr selber gegen andere protestierten, sondern dass wir Adressaten von Protest waren."
Zahlreiche Mitglieder traten vor Ärger über den pragmatischen Kurs aus der Berliner PDS aus. Bei der Abgeordnetenhaus-Wahl vor zwei Jahren stürzte die Partei von rund 23 Prozent auf 13 Prozent ab. Die Führung suchte daraufhin verstärkt den Kontakt zur Basis, erklärte die rigide Sparpolitik. Nun ist es ruhiger geworden.
Diederich: "Das spricht durchaus für die Lernfähigkeit der Funktionäre der Partei, aber auch dafür, dass die Mitglieder dies verstanden haben, dass man eben immer nachweist, wo kommt das Geld eigentlich her, das ausgegeben werden soll."
Das abschließende Urteil des Parteienforschers Niels Diederich: Die Berliner Linken haben ihre Regierungsfähigkeit bewiesen. Allerdings könnten bereits im nächsten Jahr neue Konflikte ausbrechen. Ähnlich wie bei den Sozialdemokraten im Land Berlin. Sie stehen wegen Rot-Rot unter dem Druck der Bundes-SPD, weil eine SPD-Linkspartei-Koalition auf Bundesebene noch ausgeschlossen wird.
Diederich: "Die Frage wird spätestens dann stehen, wenn der Bundestagswahlkampf losgeht. Wo man auch in Berlin Bundestagswahlkampf machen muss und im Grunde genommen die Linkspartei für den Bundestagstagswahlkampf eine etwas andere Position einnehmen muss als für Berlin."
Also relative Ruhe bei Rot-Rot und Zwietracht bei der Berliner Union. Und wie sieht es bei den kleinen Oppositions-Parteien aus? Rückblick zum Parteitag der Hauptstadt-Liberalen im April 2008.
Damals ist die Luft im Saal genauso schlecht wie die Stimmung der Parteivertreter, denn es findet ein Machtkampf statt. Die Delegierten sind aufgefordert, zwischen zwei Kandidaten für den Parteivorsitz zu entscheiden. Der eine heißt Martin Lindner und ist Fraktionschef im Berliner Abgeordnetenhaus. Der andere heißt Markus Löning. Der ist Bundestagsabgeordneter und Landeschef der Hauptstadt-Liberalen. Linder findet, dass Löhning als Parteivorsitzender viel zu lahm ist.
Lindner: "Wir dürfen nicht nur über liberale Politik reden, wir müssen sie auch durchsetzen in Berlin."
Außerdem kritisiert der ehrgeizige Fraktionschef, dass sein Parteivorsitzender den Wählern nahezu unbekannt ist. Mit einem Landes-Chef Lindner hätte die FDP mehr Profil und mehr Wähler. Doch Konkurrent Markus Löhning sieht das natürlich anders.
Löning: "Ich glaube, dass Martin Lindner ein guter Fraktionschef ist, und dass ich ein guter Landesvorsitzender bin und die Stärke liegt darin, dass wir das gemeinsam gemacht haben in den letzten Jahren. Die Berliner FDP ist sehr gut aufgestellt."
Markus Löning verweist ruhig auf geordnete Parteifinanzen und steigende Mitgliederzahlen. Mit seiner besonnenen Art gewinnt er am Ende des Parteitages die Mehrheit der Delegierten für sich.
Vielen Delegierten saß ein Konflikt aus dem Jahre '94 noch in den Knochen. Damals stürzte die FDP-Landesvorsitzende Carola von Braun, weil sie private Rechnungen über die Partei-Kasse abgerechnet hatte. Jamaika-Fan Martin Lindner brauchte indessen lange, um seine Niederlage zu überwinden, doch dann entschied er sich, den Fraktionsvorsitz zu behalten und ganz pragmatisch weiterzuarbeiten.
Weniger turbulent geht es bei den Berliner Grünen zu. Obwohl auch bei ihnen kürzlich eine wichtige Personalentscheidung anstand: Mitte Juni hatte sich der Berliner Fraktionschef Volker Ratzmann um den Bundesvorsitz der Grünen beworben. Sein Konkurrent: der Europaabgeordnete Cem Özdemir. Doch ein Hauen und Stechen blieb aus - beide Politiker sprachen äußerst respektvoll übereinander. Schließlich zog Ratzmann seine Kandidatur zurück: Er wird Vater und will sich fortan ganz der Familie widmen. Sind die Grünen politische Gutmenschen?
Wendt: "Wir sind nicht die Gutmenschen in dem Sinne, dass für uns nur wöchentlich oder 14-tägig treffen, um uns gegenseitig zu streicheln. Aber ich denke mir, wir haben es geschafft im Großen und Ganzen fair miteinander umzugehen. Und ick sage mal, die wenn auch nur kurze Konkurrenz zwischen Ratzmann und Özdemir war auch ein ganz gutes Beispiel dafür."
Michael Wendt ist ein grünes Urgestein. Er gründete in Berlin die Alternative Liste mit, war Abgeordneter, zweimal Bezirksstadtrat und arbeitet heute im erweiterten Landesvorstand der Partei. Der 52-Jährige räumt ein, dass aber nicht immer alles Friede-Freude-Eierkuchen ist in seiner Oppositions-Partei.
Wendt: "Es gibt immer Probleme im Rollenspiel zwischen Fraktionsvorsitz und Landesvorsitz, weil das bei uns qua Satzung nicht verbunden ist. Und wenn Sie da zwei haben, die nicht gut miteinander auskommen, dann gibt’s natürlich Konflikte."
Konfliktträchtig ist bei den Berliner Grünen auch das Thema Jamaika-Koalition. Die Basis hat zum Teil Probleme mit einer CDU-Kooperation, die Fraktionsspitze pflegte dagegen bislang gute Kontakte zu den Konservativen.
Die Berliner Parteien – die einen zelebrieren die Selbstzerfleischung, die anderen fahren einen ruhigen Kurs. Was ist die Bilanz des CDU-Machtkampfs? Ein Imageverlust für alle Parteien.
Umfrage unter Bürgern:
"Na die kümmern sich ja eh nur um ihre Belange und nicht um die Belange des kleinen Mannes oder der kleinen Frau, die das Unternehmen Deutschland oder in dem Fall Berlin am laufen halten."
"Also dieser Parteienstreit ist ja eigentlich ein Ding in sich. Also es gibt Leute, die ihre Egotrips ausfahren."
"Ich habe noch nicht die Politiker gefunden, wo ich spüre oder sehe, dass da wirklich was passiert."
Denn nicht nur die Christdemokraten, auch Grüne, FDP und die roten Regierungsparteien befürchten Minuspunkte bei den Wählern. Denn viele Hauptstädter wollen Sachpolitik sehen – und keinen provinziellen Klüngel-Krach.