Hans von Trotha, geb, 1965, ist Historiker, Schriftsteller und ehemaliger Leiter des Nicolai Verlags. Derzeit arbeitet er als freier Publizist für diverse Medien und als Berater im Kulturbereich. Er gilt als Experte für die Landschaftsgärten des 18. Jahrhunderts. Zuletzt veröffentlichte er "A Sentimental Journey: Laurence Sterne in Shandy Hall" (Wagenbach Verlag).
Preußisches Traumschloss umgeben von Chaos
Endspurt beim Bau des Berliner Stadtschlosses, das zwar an Preußens Glanz und Glorie erinnert, dies allerdings in einer Stadt, der die Zügel unpreußisch zu entgleiten drohen. Eine Berliner Groteske, meint der Publizist Hans von Trotha.
Ein beliebtes Geschenk für Kleinkinder ist ein hochwandiger Teller, in dem sich der Brei um eine Erhebung in der Mitte ergießt, die, einer Hallig ähnlich, ein Haus mit Spitzdach trägt, das dann aussieht wie unrettbar umspült oder auch wie am falschen Ort gelandet oder wie aus einer Unterwelt aufgetaucht.
Diesen Eindruck macht derzeit die deutsche Hauptstadt, deren Schlossneubau anders als der Flughafen termingerecht fertig wird.
Für was braucht die Demokratie ein Schloss?
Die Frage, ob das, was da so prominent verloren in der Mitte steht und am Ende nicht nur ein Dach, sondern auch noch eine Kuppel und ein Kreuz tragen wird, die Frage also, ob dieses da thronende Neue eher aus Untiefen aufgetaucht ist oder aber von oben gelandet, sei dahingestellt.
In diesem neuen Schloss, das so gern ein altes wäre, wird uns demnächst erklärt werden, was ein Humboldt-Forum ist, weil eine Demokratie für ein Schloss eigentlich gar keine Verwendung hat, der Präsident und die Kanzlerin beide schon eines haben und weil in die Mitte einer demokratischen Hauptstadt etwas gehört, das für alle ist, auch wenn das Schloss natürlich weiterhin aussehen wird wie ein Schloss. Genau das soll es ja auch.
Damit soll es uns, unabhängig von dem, was sich in seinem Inneren abspielt, an Zeiten erinnern, die die Initiatoren offenbar für bessere hielten. Damals nun passte das Schloss dahin, wo es heute wieder steht, ja es gehörte dorthin, repräsentierte es doch den nordmitteleuropäischen Staat Preußen mit seinen Tugenden und Untugenden.
Abglanzbild der preußischen Ordnungsmacht
Ein Gebäude strahlt auf seine Umgebung ab. Ein kuppelüberwölbtes Schloss in der Stadt, deren baurechtlich verordnete Traufhöhe sich bis heute nach der Traufe ebendieses Schlosses richtet, erst recht.
Aber es kommt zur anachronistischen Kollision: Das, was um das Schloss herumfließt, die Stadt Berlin des Jahres 2018, hat bis auf ebendiese Traufhöhe so gar nichts von einer preußischen Ordnungsmacht, wie sie das Schloss gern spiegeln würde. Im Gegenteil. Gerade dieser Tage zeigt sich: Die es umgebende Stadt hat eine Entwicklung genommen, die den Bau noch grotesker aussehen lässt, noch weißer, noch elefantiger, noch anachronistischer.
Ein weißes Schloss für eine chaotische Mega-City
Denn Berlin erweist sich gerade endgültig als das, wozu es inzwischen geworden ist: weniger nordische Hauptstadt als südliche Mega-City – schlecht organisiert, ja quasi unregiert, überteuert und gleichzeitig verarmend und korrupt.
Mit einer Art Lotterietakt im öffentlichen Nahverkehr, der Flughafen natürlich, Lieblingsdestination sämtlicher Mafien und, wie gerade zu lesen war, Hauptstadt der organisierten Kriminalität, gesäumt von Touristenhorden, die in ihren Reiseführern verzweifelt nach einer Übersetzung der Vokabel "Schienenersatzverkehr" suchen - all dies über Wochen bei 30 Grad verdorrend, also bei genau jener Temperatur, mithin wörtlich wie metaphorisch in genau jenem Klima, das man mit genau solchen Verhältnissen immer schon in Verbindung gebracht hat – nur eben eher südlich des Mittelmeers als nördlich der Havel.
Sinnbild kommender Kollisionen
Nun ist weder dieses Hauptstadtklima mit all seinen Facetten noch dieses Schloss gottgegeben, es ist vielmehr Ergebnis menschlichen Handelns. Dass sie sich nun begegnen, ist also nicht Schicksal, auch nicht Rache der Natur an der Idee, Preußen wiedererstehen lassen zu wollen.
Es ist vielmehr die logische Konsequenz der Art und Weise, wie wir uns in dieser Welt bewegen. Man mag gar nicht daran denken, was für Kollisionen uns da noch bevorstehen. Sollte man aber. Dann lässt sich die eine oder andere vielleicht noch ein bisschen abmildern.