Vom Park zum sozialen Brennpunkt
Prostitution, Drogen und ein Mord – die sozialen Probleme Berlins werden aktuell vor allem im Tiergarten sichtbar. Der Bezirksbürgermeister will nun stärker durchgreifen.
Ein Spaziergang in Berlins größtem Park beginnt für viele am Schleusenweg. Links verlaufen Gleise, rechts kann man über einen massiven Zaun hinweg einen ersten Blick in den Zoologischen Garten werfen. Tagsüber ein belebter Weg, auch im Herbst. Doch in diesen Tagen fällt den Besuchern eine kleine Gedenkstätte auf. Blumen, Kerzen und Briefe erinnern an eine 60-jährige Kunsthistorikerin, die hier vor rund sieben Wochen ermordet wurde.
"Ich habe es gerade eben gelesen. Bin erschüttert darüber, dass auf einem Weg, den man jeden Tag geht und der eigentlich ungefährlich wirkt - dass da so etwas passieren kann."
Viele Passanten halten kurz inne. Der Mord sorgt immer noch für Schlagzeilen. Die 60-Jährige kam abends gerade aus einem Biergarten im Park, nur wenige hundert Meter vom Tatort entfernt. Der Tiergarten – ein unsicherer Ort? Seit der Tat wird diese Debatte verschärft geführt. Gerade hier am Schleusenweg, wo auch sonst einige Dutzend Obdachlose in Zelten oder in Schlafsäcken kampieren, entlang der Bahnstrecke.
"Hier unter der Brücke dahinten, da habe ich auch schon Obdachlose liegen sehen. Aber ich glaube, dass von denen die wenigste Gefahr ausgeht. Ich denke eher, dass diese Menschen helfen würden, wenn sie so etwas mitkriegen."
Auch die Berliner Polizei geht derzeit nicht davon aus, dass die Obdachlosen im Park und der Mord in einem Zusammenhang stehen. Allerdings gibt es immer wieder Beschwerden über zunehmenden Müll und Pöbeleien. Ein Problem nicht nur im Tiergarten, sondern auch an anderen Plätzen der Hauptstadt. Der Leiter der Stadtmission am nahegelegen Bahnhof Zoo geht inzwischen von 8.000 bis 10.000 Obdachlosen in der Stadt aus, viele davon aus Südosteuropa. Vor ein paar Jahren noch seien es lediglich rund 2.000 gewesen, sagt er.
Die Lage habe sich verschärft, meint auch Stephan von Dassel, Grüner Bezirksbürgermeister von Berlin-Mitte. Er berichtete von Aggressionen. Zum Beispiel wenn Mitarbeiter des Ordnungs- oder Grünflächenamtes die Obdachlosen bitten, das Campen im Park zu unterlassen. Das ist offiziell natürlich verboten.
"Schläge angedroht, Beschäftige werden auch verfolgt. Eine Kollegin vom Ordnungsamt ist mit einer präparierten Flasche Urin übergossen worden. Das sind alles Dinge, die können wir nicht mehr akzeptieren."
Abschiebung als Ultima Ratio
Hinzu komme Spritzbesteck von Drogensüchtigen, das auch auf Kinderspielplätzen gefunden wurde. Bürgermeister Stephan von Dassel will seine Kritik als Hilferuf verstanden wissen. Und für einen grünen Politiker sicherlich überraschend: Von Dassel forderte bereits vor Wochen, dass auch über Abschiebungen von besonders aggressiven Obdachlosen nachgedacht werde müsse, was vor allem in Berlins rot-rot-grüner Landesregierung für harsche Kritik sorgte.
"Ja, das Wort Abschiebung ist natürlich die Ultima Ratio. Das kann man freundlicher ausdrücken. Die Frage ist aber, wo enden unsere Hilfen und wie ist die Balance zwischen Hilfe und dann aber auch Repression, wenn man sich nicht so verhält, dass es auch die Öffentlichkeit akzeptieren kann. Das versuchen wir, da müssen wir gucken, wie wir das menschenwürdig hinbekommen."
Der Große Tiergarten erstreckt sich über mehr als 200 Hektar, inklusive so mancher Berliner Sehenswürdigkeit. Im Zentrum des Parks, umrundet vom tosenden Hauptstadt-Verkehr, steht die berühmte Siegessäule, am östlichen Rand liegt das Regierungsviertel mit Kanzleramt und auch dem Brandenburger Tor. Ein großer Park, sagt Winfrid Wenzel, Sprecher der Berliner Polizei:
"Nach unserer Einschätzung ist das Thema Tiergarten im Moment medial ein bisschen überschätzt. Was die Kriminalität angeht, was die Sicherheitslage angeht. Es ist keinesfalls ein Ort, wo viel Kriminalität flächendeckend passiert. Und auch kein Ort, wo sich den letzten Wochen oder Monaten gravierend eine Verschlechterung dargestellt hätte."
Die Polizei sieht aber zwei Probleme: Zum einen die zunehmende Anzahl der Obdachlosen und auch einen Gefahrenbereich unweit der Siegessäule. Hier treffen sich seit Jahrzehnten homosexuelle Männer zum einvernehmlichen Sex im Freien. Eher nachts und mehr oder weniger versteckt. Doch in letzter Zeit prostituieren sich dort vermehrt Asylbewerber, auch Minderjährige, verbunden mit Drogenkriminalität. Einige Anwohner und Spaziergänger sind durchaus beunruhigt:
"Männliche Prostitution, ja klar. Da sind auch viele Ausländer. Das ist natürlich das Schwierige hier. Und es ist alles schmutziger geworden. Die Leute, die hier wohnen und leben, haben heutzutage ein bisschen mehr Angst. Ich schaue schon immer mal zurück und gucke, wer da kommt. Aber heute habe ich hier drüben einen Polizeiwagen gesehen. Man greift durch. Angemacht wurde ich noch nicht, aber schon komische Blicke. Da bin ich dann auch einen Schritt schneller gegangen. Nee, also, das ist nicht so angenehm."
Taskforce gegen osteuropäische Obdachlose
Mit seinem Hilferuf hat der Grüne Bezirksbürgermeister zumindest einen Stein ins Rollen gebracht. Wie umgehen mit den problematischen Bereichen im Tiergarten, besonders mit den vielen Obdachlosen aus Osteuropa. Die Behörden wollen besser zusammenarbeiten. Eine Taskforce soll nun bestimmte Ecken im Tiergarten und auch generell die Parks in der Hauptstadt besser im Blick haben. Polizeisprecher Winfrid Wenzel:
"Es geht darum, dass man bei den problematischen Obdachlosenbereichen, dort, wo es zu Aggressionen, Verwahrlosung und Müll kommt, eine Lösung findet. Da ist die Polizei beteiligt, insbesondere, wenn das Ordnungs- oder Bezirksamt uns um Unterstützung bittet. Wenn es darum geht, bestimmte Bereiche zu räumen."
Politik und Polizei hoffen, dass sich die Lage wieder entspannt. Vielleicht wird durch den nahenden Winter das Problem mit den Obdachlosen etwas geringer. Doch eine nachhaltige Lösung ist nicht in Sicht. Die sozialen Probleme der Stadt scheinen vor allem im Park sichtbar zu werden. Armut, soziale Ausgrenzung, zu hohe Mieten und der Umgang mit Flüchtlingen.
Die Behörden sind alarmiert. Auch viele Bürger. Der Tiergarten soll das bleiben, was er stets war und auch noch ist: Eine grüne Lunge mitten in der Stadt, ein Erholungsgebiet für alle. Ein Ort der schönen Momente, denn auch diese gibt es weiterhin. Etwa, wenn morgens um 10 Uhr ein junger Musikstudent auf einer Wiese in direkter Nähe zum Schloss Bellevue, dem Sitz des Bundespräsidenten, die Umgebung beschallt. Dann ist auch die Welt für die Flaneure wieder in Ordnung:
"Mir gefällt´s. Ich gehe gern hier lang. Total sicher, aber vielleicht bin ich da unvorsichtig. Weil ich nicht weiß, was da passieren könnte. Soll ich lieber draußen gehen? Oder?"