Berliner Wohnungsmarkt

Zurückkaufen, bauen oder enteignen?

10:50 Minuten
Protestplakat "Deutsche Wohnen und Co enteignen" an einem Wohnhaus an der Karl-Marx-Allee in Berlin-Friedrichshain.
Ein Wissenschaftler will die Berliner darüber abstimmen lassen, ob Immobilienfirmen gegen Entschädigung vom Senat enteignet werden sollen. © imago/IPON
Von Manfred Götzke |
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In keiner anderen Stadt der Welt steigen die Mieten wie in Berlin. Initiativen kämpfen für bezahlbares Wohnen im Kiez. Das geplante Volksbegehren "Deutsche Wohnen und Co. enteignen" wurde belächelt – nun findet es politische Unterstützung.
Peter und Manuela haben an diesem Montagabend in ihre Wohnung eingeladen, in die 10. Etage des Wohnblocks in der Lohbeckstraße 64 in Kreuzberg. Bei Süßigkeiten und Nüsschen sitzen die Nachbarn an dem XXL-Couchtisch des Ehepaars und reden. Wie so oft in den letzten Wochen. Über ihren Vermieter, der für die Hausgemeinschaft eigentlich mehr ein Gegner ist: Die Deutsche Wohnen, Berlins größter und wohl auch unbeliebtester Immobilienkonzern mit 110.000 Wohnungen in der Hauptstadt.
Mieter: "Deren Ziel hier ist ganz klar Entmietung. Wir sind innerstädtisch, die können hier erheblich mehr nehmen."
Ihre Nachnamen wollen die Mieter nicht im Radio nennen. Ende 2018 haben sie sich in einer Mieterinitiative zusammengeschlossen - ein paar Wochen, nachdem sie Post von ihrem Vermieter bekommen haben. Eine Modernisierungsankündigung.
Mieter: "So wie das von der Deutschen Wohnen vorgesehen ist, akzeptieren wir das nicht. Wir stellen infrage, wer die Zeche dafür zu bezahlen hat, wenn wir zum Beispiel feststellen, dass sehr viele Posten als Modernisierung deklariert sind, die eigentlich Instandsetzungsmaßnahmen sind."
Dass an dem 15-stöckigen Bau aus den 60er-Jahren etwas unternommen werden muss – da sind sich alle hier am Tisch einig.
Mieter: "Hier wurde seit Jahrzehnten nichts mehr gemacht."
Mieter : "Die überwiegenden Fenster zum Beispiel sind absolut marode, die sind aus dem Baujahr 1965."
Für sie alle hier steht fest: Das Haus muss saniert, nicht modernisiert werden. Der entscheidende Unterschied: Wird modernisiert, zahlt der Mieter die Kosten - über eine monatliche Erhöhung der Kaltmiete. Wird eine Immobilie dagegen instand gesetzt, bezahlt der Eigentümer.
Peter blättert in der Mappe mit der Ankündigung, zählt auf, was die Deutsche Wohnen machen will – und was das für ihre Miete bedeuten würde.
"Also bei uns heißt es 158 Euro Kaltmiete höher, plus Baukosten, Architektur und Planungskosten. Ein Fachmann hat mir gesagt, da müssen wir mit mindestens 150 Euro zusätzlich rechnen."

Deutsche Wohnen lehnt Interview ab

Die Deutsche Wohnen will sich auf Anfrage von Deutschlandfunk Kultur nicht zu den Baumaßnahmen äußern. Generell lehnt das Unternehmen ein Interview ab. Der 50-jährige Cemal arbeitet als Hausmeister, wohnt seit über zehn Jahren hier. Würde die Deutsche Wohnen ihre Modernisierungspläne durchsetzen, müsste er ausziehen:
"Es macht mich jeden Tag seelisch kaputt. Mein Gehalt ist momentan 1350 Euro im Monat – es wird dann 800 Euro Miete kosten, ich weiß nicht, was ich da machen soll."
Die 56-jährige Beate nimmt ihre Zigarettenschachtel vom Wohnzimmertisch, knibbelt eine Weile an der Plastikhülle. Dann beginnt auch sie zu erzählen, von den Panikattacken, die sie seit November immer wieder hat:
"Das macht mir Angst und schlaflose Nächte, weil es einfach meine Existenz gefährdet. Komplett. Ein Obdach zu haben, ist das A und O. Und ich wohne hier schon 22 Jahre und auch in dieser Gemeinschaft."

Praktische Anleitung für den Mieterprotest

Wie hier in der Lohbeckstraße bilden sich in Berlin derzeit Dutzende Mieterinitiativen, die für bezahlbares Wohnen in ihrem Kiez kämpfen. Sie vernetzen sich und geben ihr Wissen weiter, wie etwa die "AG Starthilfe": Das Bündnis hat vor ein paar Tagen eine Broschüre herausgebracht, 60 Seiten praktische Anleitung für den organisierten Mieterprotest.
In keiner anderen Stadt der Welt steigen die Mieten zurzeit so stark wie in Berlin – allein im vergangenen Jahr um mehr als 20 Prozent. Lag der Quadratmeterpreis bei Neuvermietungen 2008 noch bei etwa fünf Euro, wurden 2018 zehn Euro verlangt. 31 Prozent ihres Einkommens geben die Berliner inzwischen für die Miete aus.
Nur ein paar Hundert Meter vom Wohnblock der Mietergemeinschaft entfernt, führt Rouzbeh Taheri durch die Otto-Suhr-Siedlung, ein Viertel aus Wohnblockriegeln aus den 50er-Jahren. Der linke Teil gehört der Deutsche Wohnen, der rechte der öffentlichen Wohnungsbaugesellschaft WBM. In beiden wurde kürzlich modernisiert.
Mieter: "Bei einer vergleichbaren Wohnung will die WBM 80 Euro Mieterhöhung, die Deutsche Wohnen will 160 Euro. Bei gleichem Standard."
Reporter: "Womit hängt das zusammen?"
Mieter: "Dass die Deutsche Wohnen mit der Modernisierung Geld machen will."

Wissenschaftler initiiert Volksbegehren

Taheri hat wegen solcher Praktiken das Volksbegehren "Deutsche Wohnen und Co. enteignen" initiiert. Der Wirtschaftswissenschaftler will die Berliner darüber abstimmen lassen, ob Immobilienfirmen, die mehr als 3000 Wohnungen besitzen, gegen Entschädigung vom Senat enteignet werden sollen. Allen voran die Deutsche Wohnen, aber auch Firmen wie Vonovia oder Ado Properties:
"Die nutzten ihre Marktmacht aus, um alle Hebel in Bewegung zu setzen: Klassische Mieterhöhung, Modernisierung. Gleichzeitig greifen sie mit ihrer Marktmacht die Mieterschutzgesetze an. Die Mieten werden teilweise über den Mitspiegel erhöht. Und wenn die Mieter sich dagegen wehren, werden sie verklagt."
Taheri und seine Mitstreiter berufen sich auf Artikel 15 des Grundgesetzes, der es ermöglicht, Eigentum zu vergesellschaften. Ob der in diesem Fall greift, ist unter Staatsrechtlern umstritten, schließlich schützt das Grundgesetz auch das Eigentum ausdrücklich.
"Diese Wohnungen, die größtenteils auch städtisch waren, gehören gemeinwirtschaftlich bewirtschaftet, im Sinne der Wohnungsversorgung für breite Schichten der Bevölkerung und nicht der Profitmaximierung."
Als Taheri das Volksbegehren im November bei der Verwaltung eingereicht hat, wurde er noch als revolutionärer Spinner belächelt. Inzwischen zeigen die regierenden Grünen Sympathien für das Volksbegehren, die Linke, die mit Katrin Lompscher die Bausenatorin stellt, unterstützt es sogar offen.

Berliner Bausenatorin unter Druck

Berliner Bausenatorin Katrin Lompscher: "Wir debattieren die Frage, wie man das Grundbedürfnis auf Wohnen gewährleistet und dabei werden viele Fragen diskutiert. Unter anderem auch die vom Grundgesetz vorgezeichneten Möglichkeiten der Vergesellschaftung wichtiger Gemeingüter."
Allerdings räumt die Wohnungssenatorin ein: Eine Enteignung der Wohnungskonzerne wäre kompliziert:
"Wenn man hier eine gesetzliche Grundlage schafft, wird die verfassungsrechtlich überprüft werden. Sodass man sich wenn überhaupt auf eine lange Reise macht."
Die SPD bevorzugt deshalb einen schwächeren Eingriff ins Eigentum, um Wohnraum bezahlbar zu halten. Die Partei will die Mieten auf 6 bis 7 Euro pro Quadratmeter deckeln und zwar auch bei Neuvermietungen. Neu wäre dieses Vorgehen nicht. In der Nachkriegszeit gab es solche Deckelungen in mehreren Städten, in Westberlin bis 1988.
Katrin Lompscher: "Wir prüfen den Vorschlag derzeit, weil die große Schwierigkeit liegt darin, ob das Land eigene Gesetzgebungskompetenz auf diesem Feld hat. Wenn wir die hätten, wäre es wunderbar.
Katrin Lompscher hat sich viel Zeit genommen für unser Gespräch, sie will sich erklären. Weil die Mieten auch unter der linken Bausenatorin steigen und steigen, steht die 56-Jährige unter Druck. Die Opposition fordert fast Woche für Woche ihren Rücktritt, auch in der Koalition ist sie umstritten. Lompscher hat eine dicke Mappe vor sich – mit all den gesetzlichen Möglichkeiten, die das Wohnen in Berlin bezahlbar halten sollen:
"Wir haben inzwischen 56 soziale Erhaltungsgebiete in dieser Stadt, auch dort ist es möglich, Modernisierungsmaßnahmen zu begrenzen und damit den Mietauftrieb zu begrenzen. Dort ist es möglich, die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen zu begrenzen. Dort ist es möglich, das kommunale Vorkaufsrecht zu nutzen, wenn Häuser den Besitzer wechseln. Alles das sind Maßnahmen, die den Mietauftrieb dämpfen."
Vor allem setzt der Senat aber derzeit auf den Rückkauf von Wohnungsbeständen, die vor allem in den 2000er Jahren vom Land an private Investoren verscherbelt wurden.
"Wir sind unterwegs mit den städtischen Gesellschaften und nehmen Ankaufsoptionen wahr, wenn die Rahmenbedingungen stimmen."
Anfang Februar stimmten sie bei 1800 Wohnungen im Kosmosviertel am Schönefelder Flughafen. Und dabei wird es nicht bleiben: Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller erklärte im Januar, die Bestände der Deutschen Wohnen zurückzukaufen, die 2004 noch dem Land gehörten.
Berliner Bürgermeister Michael Müller: "Ich glaube, dass es gut ist, wenn wir als Stadt ganz konkret auf die Deutsche Wohnen zugehen und anbieten, diese unglückliche Situation aufzulösen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das Unternehmen selbst mit diesem Auftritt, den wir in Berlin erleben, langfristig glücklich wird."
Konkret geht es um rund 50.000 Wohnungen, damals vom rot-roten Senat für 405 Millionen Euro verkauft. Im Schnitt für 8000 Euro pro Wohnung. Heute gibt die Deutsche Wohnen den Buchwert mit etwa 7 Milliarden an. Das Unternehmen hat – per Pressemitteilung - Bereitschaft signalisiert, bei "etwaigen Verkäufen das Land Berlin als Käufer zu präferieren".

CDU-Abgeordneter: Mehr bauen statt zurückkaufen

"Purer Populismus", nennt das Christian Gräff. Er empfängt in seinem Wahlkreisbüro in Marzahn. Der CDU-Abgeordnete hält wenig von den Plänen des Senats. Er ist baupolitischer Sprecher seiner Fraktion. Ein Rückkauf von zehntausenden Wohnungen schaffe weder neuen Wohnraum noch senke er die Mieten. Im Gegenteil, durch die Rückkäufe treibe die Politik Preise hoch.
CDU-Politiker Christian Gräff: "In der Innenstadt habe ich zunehmend den Eindruck, dass das Land Berlin sich an Spekulationen beteiligt. Wir haben jetzt schon Menschen in Friedrichshain-Kreuzberg, die überlegen, jetzt wäre eigentlich der richtige Zeitpunkt, meine Wohnung zu verkaufen."
Statt Hunderte Millionen in den Rückkauf von Wohnungen zu stecken, müsse der Senat mehr bauen.
"Deswegen ist unser erster Schritt, den wir fordern, ein Bündnis mit allen Wohnungsbaugesellschaften, Genossenschaften und privaten Eigentümern und der Bauindustrie zu bilden, wie es das zum Beispiel auch in Hamburg gibt, ein Bündnis für Mieten und Neubau."
Der Senat hat seine selbstgesteckten Ziele beim Neubau jedenfalls nicht erreicht. 30.000 neue Wohnungen wollte Rot-Rot-Grün in dieser Legislaturperiode allein durch die öffentlichen Gesellschaften bauen lassen. Vor wenigen Wochen musste Bausenatorin Lompscher eingestehen: Es werden deutlich weniger.
Katrin Lompscher: "Wir haben eine Untergrenze gesetzt von 25.000, die wir wirklich fertiggestellt sehen wollen. Mir ist es aber wichtig zu betonen, dass die anderen Wohnungen auch gebaut werden. Die werden halt nur ein bisschen später fertig."
Die Opposition im Berliner Abgeordnetenhaus sah das nicht so gelassen. Die CDU stellte kürzlich einen Missbilligungsantrag.

Kreuzberger Mieter wollen kämpfen

In der Lohbeckstraße in Kreuzberg ist es spät geworden. Seit drei Stunden sitzen die Mieter hier zusammen, erzählen sich eine Story nach der anderen. Über ihren Vermieter, der zwar regelmäßig die Mieten erhöht, ihr Haus aber völlig verkommen lasse. Peter zündet sich eine neue Zigarette an, die zehnte an diesem Abend. Für fast alle hier am Couchtisch sind die meisten Wohnungen auf dem Markt nicht bezahlbar. Und auf die paar Sozialwohnungen würden sich viel zu viele bewerben.
Die Mieter haben hier haben eine andere Strategie: Sie wollen die angekündigte Modernisierung inklusive Mieterhöhung nicht akzeptieren. Die entsprechende Duldungserklärung haben sie nicht unterschrieben - wie etwa die Hälfte der Bewohner. Sie wollen kämpfen:
"Die Leute wissen mittlerweile sehr genau, womit wir es zu tun haben. Und sie wissen, dass ein Einzelner keine Chance hätte, seine Interessen durchzusetzen. Wir können nur gemeinsam agieren!"
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