BBC Proms: „Les Troyens“ von Hector Berlioz

Expeditionen in die Antike

Ein großes Holzpferd steht heute am Eingang der Ausgrabungsstätte des antiken Trojas, das in der heutigen Türkei liegt.
Die Trojaner brachten das Pferd in die Stadt, die im Nordwesten der heutigen Türkei liegt. Die Soldaten in seinem Bauch besiegelten den Untergang der Stadt. © imago / Westend61
Der trojanische Krieg, die Geschichte von Dido und Aeneas und die Gründung Roms: In seiner Oper „Les Troyens“ bringt Hector Berlioz die antike Welt auf die Bühne. Eine maßstabsetzende Aufführung des Monumentalwerks kommt von den Londoner Proms.
Das Schaffen von Hector Berlioz ist vielgestaltig und widersprüchlich – sofern es überhaupt bekannt ist. Dabei gibt es in der Musik wie im Leben des französischen Romantikers eine erstaunliche Kontinuität.
So war ihm das Thema der Oper „Les Troyens“ („Die Trojaner“) gleichsam in die Wiege gelegt: Sein Namenspatron Hektor ist ein Held des trojanischen Kriegs, er spielt in der Oper eine, wenn auch kleine, Rolle. Und schon als Kind soll Berlioz die „Aeneis“ des Vergil bestens gekannt haben, jenes lateinische Epos, das er später zur Vorlage seines eigenen Opernlibrettos machen sollte.

Zwischen Meyerbeer und Wagner

Berlioz schrieb dieses Hauptwerk in den 1850er Jahren, nach den großen Erfolgen der Opern von Giacomo Meyerbeer und vor dem Siegeszug des Musikdramas von Richard Wagner.
Und so werden seine „Trojaner“ eher als Werk des Übergangs wahrgenommen – allerdings mit der faszinierenden Eigenschaft, dass sie nicht nur viele Themen der Antike, sondern auch diverse Strömungen des 19. Jahrhunderts in sich vereinigen.

Zwischen Troja und Karthago

So ist es nicht erstaunlich, dass sich Berlioz mit diesem Werk zwischen alle Stühle setzte – und seine Zeitgenossen heillos überforderte. Das opulente Werk hat er selbst nie vollständig auf der Bühne gesehen; zu seinen Lebzeiten erklangen nur die in Karthago spielenden Akte 3-5.
Die in Troja angesiedelten – und noch größer besetzten – Akte 1 und 2 wurden erst nach seinem Tod separat aufgeführt, und bis alle fünf Akte einmal vollständig auf der Bühne zu erleben waren, schrieb man bereits das hundertste Todesjahr des Komponisten, 1969.
Dass unsere Sendung diese Oper ebenfalls in zwei Teile gliedert (die ersten beiden Akte am Freitag, die weiteren Akte am Samstag) hat vor allem sendetechnische Gründe, die in der reinen Musikdauer von gut vier Stunden liegen – es ist dramaturgisch gleichwohl gerechtfertigt.

Zwischen zwei Mezzosopranen

Aufführungen der „Trojaner“ sind auch deswegen eine Rarität geblieben, weil mit Kassandra und Dido zwei äußerst anspruchsvolle Mezzosopranpartien im Zentrum stehen, flankiert vom der nicht weniger herausfordernden Tenorpartie des Aeneas.
Mit dem Amerikaner Michael Spyres gibt es heutzutage wieder einen Sänger, der diese Aufgabe glänzend bewältigt, und der seit einigen Jahren zu den Stars der von John Eliot Gardiner geleiteten Berlioz-Aufführungen zählt.

Tausch am Pult

So sollten auch die „Trojaner“ in diesem Jahr von Gardiner geleitet werden – mit einer handverlesenen Solistenschar, dem Monteverdi Choir und dem auf diese Musik spezialisierten Orchestre Révolutionnaire et Romantique. Doch nach dem ersten Abend dieser halbszenischen Tourneeproduktion kam es zum Eklat, Gardiner trat zurück und überließ das Feld seinem Assistenten Dinis Sousa.
Der hat mit Aufführungen bei den Salzburger Festspielen, dem Musikfest Berlin und – wie hier – den BBC Proms London bewiesen, dass er dieser Aufgabe mehr als gewachsen ist: Unter den Händen des portugiesischen Dirigenten verwandelten sich die „Trojaner“ in ein packendes Psychodrama über Krieg und Frieden, Liebe und Tod.
Aufzeichnung vom 03.09.2023 in der Royal Albert Hall, London

Hector Berlioz
„Les Troyens“ („Die Trojaner“), Oper in zwei Teilen und fünf Akten
Libretto: Hector Berlioz nach der „Aeneis“ des Vergil

Erster Teil
Besetzung Akte 1 und 2

Cassandre, trojanische Prophetin, Tochter von Priam – Alice Coote, Mezzosopran
Énée, trojanischer Held – Michael Spyres, Tenor
Chorèbe, Prinz aus Asien, Verlobter von Cassandre – Lionel Lhote, Bariton
Ascagne, Sohn von Énée – Adèle Charvet, Mezzosopran
Panthée, trojanischer Priester – Ashley Riches, Bass
Hécube, Königin von Troja – Rebecca Evans, Sopran
Hector, trojanischer Held, Sohn von Priam – Alex Rosen, Bass

Monteverdi Choir
Orchestre Révolutionnaire et Romantique
Leitung: Dinis Sousa

Und hier geht es gleich weiter:

Besetzung Akte 3-5

Énée, trojanischer Held – Michael Spyres, Tenor
Didon, Königin von Karthago – Paula Murrihy, Mezzosopran
Chorèbe, Prinz aus Asien, Verlobter von Cassandre – Lionel Lhote, Bariton
Ascagne, Sohn von Énée – Adèle Charvet, Mezzosopran
Narbal, Minister von Didon – William Thomas, Bass
Panthée, trojanischer Priester – Ashley Riches, Bass
Anna, Schwester von Didon – Beth Taylor, Alt
Iopas, Poet am Hof von Didon – Laurence Kilsby, Tenor
Hector, trojanischer Held, Sohn von Priam – Alex Rosen, Bass

Monteverdi Choir
Orchestre Révolutionnaire et Romantique
Leitung: Dinis Sousa

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