Bernd Heinrich: „Leben ohne Ende“

Aus tot mach lebendig

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Buchcover "Leben ohne Ende" von Bernd Heinrich.
In der Natur sind Tod und Verfall die Grundlage für neues Leben: Bernd Heinrich durchmisst in seinem Buch den Kreislauf des Lebendigen. © Matthes & Seitz Berlin / Deutschlandradio
Von Frank Kaspar · 03.01.2020
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Wir sind ein Teil der Natur. Der Biologe Bernd Heinrich nimmt das wörtlich: In seinem Buch „Leben ohne Ende“ denkt er über den Tod nach und deutet die Evolution des Menschen neu im Zeichen von Werden und Vergehen.
Ein Freund erwartet den Tod. Er bittet den Autor um Asyl für seinen Leichnam. Bernd Heinrichs Buch beginnt mit diesem sehr persönlichen Dokument: Der deutsch-amerikanische Zoologe und Verhaltensforscher zitiert aus dem Brief eines Kollegen, der schwer erkrankt ist und Heinrich fragt, ob er auf seinem Grundstück in den Wäldern von Maine seine letzte Ruhe finden darf.

Dann fressen uns die Raben

Der mit dem Autor befreundete Ökologe wünscht sich, dass sein Körper, nachdem er verstorben ist, von Raben gefressen wird, um wieder in den Kreislauf des Lebens einzugehen. Auch Heinrich selbst kann dieser Art der "Himmelsbestattung" viel abgewinnen: "Uns gefällt die Vorstellung, auf den Flügeln von Vögeln wie Raben oder Geiern am Himmel zu gleiten."
Dieses Bekenntnis eröffnet ein Buch, in dem sich persönliche und wissenschaftliche Reflexionen über den Tod immer wieder auf besondere Weise vermischen. Als Biologe möchte Bernd Heinrich stärker ins Bewusstsein rücken, wie stark wir unserer technisierten Lebensweise zum Trotz nach wie vor in natürliche Lebenszusammenhänge eingewoben sind.

Totengräber im Tierreich

"Das gesamte Leben ist in einem physikalischen Austauschprozess auf zellulärer Ebene miteinander verbunden", schreibt er. Dabei seien auch Pflanzenfresser oder Vegetarier mit inbegriffen: "Das Kohlendioxid, das die Pflanzen aufnehmen, um daraus ihre Körper zu bilden, stammt von anderen Körpern, die durch die Tätigkeit von Bakterien und Pilzen allgemein verfügbar wurden."
Als präziser Naturbeobachter schildert Bernd Heinrich das Werden und Vergehen im Großen wie im Kleinen: Am Fenster seiner Waldhütte wartet er gespannt, ob Geier, Raben oder Kojoten den Kadaver einer Hirschkuh finden, den er für sie ausgelegt hat. Mit unerschöpflicher Geduld verfolgt er, wie Käfer der Gattung "Totengräber" verendete Tiere als Proviant für ihre Brut vergraben. Als Heinrich einen toten Hahn umdreht, um die Käfer darunter zu entdecken, laufen sie in alle Richtungen auseinander: "Das Rascheln des Laubs rund um den Hahn klang wie das Schäumen einer geöffneten Champagnerflasche."

Eine neue Schöpfungsgeschichte

Doch es geht Bernd Heinrich um mehr als das Verhalten einzelner Tiere, die den Kreislauf des Lebens in Gang halten. Im Rückblick auf die Evolution des Menschen zeigt er, wie nachhaltig unsere Vorfahren von der Lebensweise als Jäger geformt wurden. "Die Jagd erforderte Denken, Teamarbeit und Kommunikationsfähigkeit", so Heinrich: "Jagen förderte die soziale Kooperation und damit all die körperlichen und geistigen Fähigkeiten, die uns als Menschen auszeichnen."
Vor diesem Hintergrund entwirft Bernd Heinrich eine Art wissenschaftlich fundierter Spiritualität: "Wir brauchen eine neue Schöpfungsgeschichte, die uns mit der Natur und anderen Lebewesen verbindet." Heinrich begreift uns Menschen als "winzige Körnchen innerhalb eines fantastischen Systems". Dabei ist sein Blick frei von Sentimentalität. Die "maskuline und lebhafte Liebe für die Natur", die sein Vater, der Zoologe Gerd Heinrich, ihm vererbt habe, umfasst auch die Leidenschaft für die Jagd. Nicht zuletzt deshalb ist er sich sicher: "Hätte ich die Wahl, würde ich gern als Rabe wiedergeboren werden."

Bernd Heinrich: "Leben ohne Ende. Der ewige Kreislauf des Lebendigen"
Matthes und Seitz, Berlin 2019
203 Seiten, 34 Euro

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