Bernd Schuchter: "Herr Maschine oder vom wunderlichen Leben und Sterben des Julien Offray de La Mettrie"
Braumüller Verlag, Wien 2018
176 Seiten, 20 Euro
Verspottet, gebrandmarkt und verdammt
Er erklärt den Menschen von seiner materiellen Beschaffenheit aus und bringt damit Philosophen wie Diderot und Voltaire ebenso wie Staat und Kirche gegen sich auf: Julien Offray de La Mettrie. Bernd Schuchter porträtiert den französischen Arzt und Philosophen.
In Zeiten von Künstlicher Intelligenz, Robotik, Neurokybernetik und anderen Techniken an der Schnittstelle von Mensch und Maschine ist es vermutlich sinnvoll, sich auf die "Quellcodes" eines sich mittlerweile rasend entwickelnden Denkens zu besinnen. Polemisch-kritisch wird in solchen Diskursen gerne das Schreckbild vom Menschen als Maschine aufgerufen, das einer profitinteressierten und manipulativen Industrie vorschwebe, der jegliche ethisch-moralischen Fundamente abhandengekommen seien.
Leibarzt, Vorleser, Hofnarr
Der Innsbrucker Philosoph und Historiker Bernd Schuchter erinnert in einem schmalen, eher essayistisch als strikt biografisch angelegten Bändchen an den Mann, der das Konzept des Menschen als Maschine vorformuliert hat: An den französischen Arzt und Philosophen Julien Offray de La Mettrie (1709-1751) und dessen berühmt-berüchtigte Schrift "L´Homme Machine" von 1747. Das provokant Ungeheuerliche war dabei, dass La Mettrie den Menschen, wie alle Entitäten im Universum, von ihrer materiellen Beschaffenheit her denkt. Metaphysik, Transzendenz, gar Gott spielen in diesem Konzept nicht nur keine Rolle, sondern werden polemisch und explizit für überflüssig erklärt. Das bringt nicht nur die konservativen Kräfte, die Kirche und den Staat, gegen ihn auf, auch seinen Kollegen, die hauptberuflichen Aufklärer wie Diderot, Voltaire oder d´Alembert geht das zu weit. Für sie ist das zu radikal, zu konsequent, obwohl sie doch auch am selben Projekt "Aufklärung" arbeiten. Sie sehen den moralisch-ethischen Impetus, der de La Mettrie angeblich völlig abgeht und der sich selbst ironisch als "entsetzlichen Menschen" bezeichnet, ihres Projektes von Aufklärung durch Le Mettries Radikalität gefährdet und bekämpfen ihn mit allen Mitteln.
Nur Friedrich II. von Preußen hält sich den emigrierten La Mettrie in Sanssouci. Als Leibarzt, als Vorleser, als, wie manche sagen, Hofnarr. Letzteres Narrativ stammt hauptsächlich von Voltaire, der sich von La Mettrie in der Gunst des Philosophen-Königs überholt fühlt. Als La Mettrie 1751 nach dem übermäßigen Verzehr einer Trüffelpastete (so geht das Gerücht) stirbt, lacht ganz Europa über das schmähliche Ende des "Herrn Maschine", wie er inzwischen spöttisch genannt wird. Seine Reputation ist ruiniert, seine Schriften, die zeitweise rasend erfolgreich waren, verschwinden aus dem aufklärerischen Diskurs oder werden, ähnlich wie die des Marquis de Sade, als Negativbeispiele unmoralischen Denkens gebrandmarkt und verdammt.
Späte Würdigung
Schuchters Buch, das auch ein konzentriertes Panorama des intellektuellen Europas des 18. Jahrhunderts ist, sucht nach Gründen für diese Demontage - und findet sie in La Mettries Angriffen von seiner materialistischen Position aus gegen die "Schulmedizin" der Zeit. Natürlich auch in seinen Attacken gegen jede Art von Deismus, so aufgeklärt der sich auch geben mag. Aber eben auch in seiner ironischen, gebrochenen Argumentationsweise, in seinem "offenen" Denken, das sich ehernen Wahrheiten verweigert. Auch wenn La Mettries "L´Homme Machine"-Konzept oberflächlich verschwindet, bleibt es doch immer präsent. Zunächst in der ganzen Literatur zum Themenkomplex "Künstliche Menschen", von E. T.A. Hoffmann, Edgar Allan Poe, Villiers de l´Lisle Adam bis zur Science Fiction von Philip K. Dick und Co. Und natürlich ganz manifest in den wissenschaftlichen Entwicklungen hier und heute. Das einzige Porträt von La Mettrie zeigt ihn fröhlich lachend. Vermutlich würde er angesichts seiner klandestinen Rezeptionsgeschichte heute genau das tun.