Bernhard ohne Wahnsinn

Von Stefan Keim |
Monströse Gestalten prägen das Bild von Thomas Bernhards Stücken. Bernhard Minetti, Traugott Buhre oder Gert Voss spielten überlebensgroße Figuren, die mit Wortbrachialgewalt einen aussichtslosen Kampf gegen die Banalität ihrer Zeit führten. In ihrer Lächerlichkeit lag die Fähigkeit zur Tragik, die den Menschen ihrer Umgebung verloren gegangen war.
Burghart Klaußner versucht nun in seiner dritten Regiearbeit eine andere Spielweise. Er inszeniert Bernhards zweites Bühnenwerk "Der Ignorant und der Wahnsinnige", wie Klaußner selbst spielt. Zurückhaltend, detailgenau, authentisch. Ein leises Kammerspiel, Bernhard ohne Wahnsinn.

Für dieses Konzept hat Klaußner einen perfekten Darsteller, der schon bei der Uraufführung des Stückes vor 36 Jahren dabei war. Otto Sander spielt den Vater einer Opernsängerin, die er zur "Koloraturenmaschine" gedrillt hat und die seit Jahren nur noch eine Rolle singt, die "Königin der Nacht" aus Mozarts "Zauberflöte". In der Perfektion ist sie erstarrt, die Kunst hat alles Lebendige verloren. Der Vater und ein Doktor, der manisch über das Sezieren von Leichen schwadroniert, sitzen in der Garderobe, während die Sängerin ihre 222. Vorstellung gibt.

Im zweiten Akt dinieren die drei in einem Nobellokal, wo die Sopranistin plötzlich Lust bekommt, ihre Auftritte abzusagen, sich aus den Zwängen zu befreien, ihre Karriere zu zerstören. Doch was bleibt dann von ihr? Am Ende geht das Licht aus. Bernhard schreibt vor, dass es auch im Zuschauerraum stockfinster sein soll. Das führt 1972 bei den Salzburger Festspielen zum Eklat. Denn die Festspielleitung weigerte sich, die Notbeleuchtung auszuschalten. Daraufhin sagten Regisseur Claus Peymann und die Schauspieler alle weiteren Aufführungen ab.

Burghart Klaußner inszeniert eine augenzwinkernde Reminiszenz an den berühmten Skandal. Es dauert lange, bis es in den Bochumer Kammerspielen wirklich stockfinster ist. Dann geht kurz die grüne Notbeleuchtung an, bevor das Bühnenlicht die Schauspieler zur Applausordnung ruft.

Mit ähnlich zarten Andeutungen spielt auch Otto Sander den Vater. Dieser blinde Alkoholiker wartet erst lange am Eingang des Restaurants, bis der Kellner kommt, um ihm zu helfen. Dann schüttelt er die helfende Hand ab und marschiert zum Tisch. Wenn seine Tochter ihm mit dem Gesicht zu nahe kommt, raubt er ihr schnell einen Kuss. Die Beziehung zwischen den beiden ist unterschwellig inzestuös, doch Sander erzählt davon nur in schnellen, kleinen Gesten. Seine Miene ist ein Pokerface, niemand soll mehr sehen als er selbst.

Sander bräuchte starke Mit- und Gegenspieler, doch die hat er in Bochum nicht. Marc Oliver Schulze spielt den Doktor als schlaksigen, blassen jungen Mann, ohne jeden Furor, leidenschaftslos. Auch Christina Schönfeld bleibt als "Königin der Nacht" seltsam unbeteiligt. Dem Ignorant fehlt der Wahnsinnige, der Inszenierung die Lust am Irren, an der Auslöschung, die Bernhardsche Wut, die sich immer auch ein wenig gegen sich selbst richtet.

Zwar liefern Karin Moog als Garderobiere und Martin Horn als Kellner schöne Miniaturen, doch ohne Monstrosität wirken Bernhards Texte müde. Zumal ihr einstiges Provokationspotential deutlich geringer geworden ist. Das Publikum zeigte beim für Bochumer Verhältnisse mittleren aber herzlichen Premierenapplaus mehr Energie als das Ensemble.