Bernstein, Diamanten und Vernichtungskrieg

Von Adolf Stock |
Die Ausstellung "Deutsche und Russen" im Neuen Museum in Berlin beginnt bei der Hanse und führt durch die Zarenzeit bis in die Gegenwart. Fotos zeigen die einstigen Schlachtfelder der Weltkriege. Auch die unterschiedlichen Beziehungen der Sowjetunion zur DDR und zur BRD werden beleuchtet.
Im Treppenhaus des Neuen Museums hängt eine große Festdekoration von 1815: Kaiser Franz der Erste, Zar Alexander der Erste und der Preußenkönig Friedrich Wilhelm der Dritte reiten zu Pferd in die französische Hauptstadt ein. Napoleon hat die Schlacht bei Waterloo verloren, und Russland wendet sich verstärkt seinem westlichen Nachbarn zu. Matthias Wemhoff, Direktor des Berliner Museums für Vor- und Frühgeschichte und Kurator der Ausstellung.

"Wir nehmen den Besucher mit auf so eine Reise durch 1000 Jahre, also wir machen ganz bewusst nicht 'Deutschland und Russland und die staatlichen Beziehungen', sondern es geht uns immer darum, die menschlichen Kontakte dahinter zu sehen. Und da gibt es wirklich verschiedene Epochen, gerade in den frühen Jahrhunderten. Wir fangen an mit Nowgorod, das ist die große Handelsmetropole im Norden Russlands, eines der wichtigsten Ziele für die Hanse-Kaufleute."

Die Ausstellung ist chronologisch. Zu Beginn repräsentieren drei Städte unterschiedliche Epochen. Nowgorod steht für den Handel, Moskau vertritt das Zarenreich, und mit der Gründung von Sankt Petersburg wendet sich Russland Europa zu.

"Wir haben lange überlegt, was ist ein Exponat, was nun wirklich charakteristisch die Hinwendung Russlands zum Westen zeigt. Und tatsächlich gibt es ein wunderbares Modell eines russischen großen Schiffes, das 1746 in Petersburg gebaut worden ist, und dieses Modell segelt den Besuchern geradezu entgegen und zeigt, Russland spielt ab jetzt ein sehr dominante Rolle im Ostseeraum."

Deutsche Wissenschaftler waren damals gefragt. An der Newa wird jetzt viel deutsch gesprochen. Der Philosoph Leibniz berät Peter den Großen. Humboldt bekommt einen Diamanten geschenkt, weil er als erster wusste, wo sie in Russland zu finden sind. 1764 kauft Katharina die Große 225 Gemälde in Berlin, ein Jahr später kommen 1000 Bilder aus Dresden hinzu. So entsteht nach und nach die Sammlung der Eremitage.

In Berlin erzählen jetzt über 600 Exponate bekannte und unbekannte Geschichten. Sie berichten von Händlern, Kurieren und Diplomaten, von Architekten und Künstlern, die Anfang des 20. Jahrhunderts deutsche und russische Bühnen betreten. Und manchmal sind es auch kleine Dinge, die mitgeteilt werden.

"Zum Beispiel gibt es eine preußische Gesandtschaft in der Mitte des 17. Jahrhunderts, davon haben sich die Geschenke im Kreml erhalten, wunderbare Bernsteinschalen. Und hier im Geheimen Staatsarchiv gibt es tatsächlich noch die Rechnungsbücher, die die Ausgaben für die Schalen und die Vergoldung belegen, also da haben wir die Objekte einmal tatsächlich zusammen führen können.”"

Die Ausstellung ist ein glanzvoller Parcours, der sich mit ästhetischen Mitteln gegen eingefahrene Denkmuster stemmt. Das gilt besonders für die jüngere Geschichte, wenn die Ausstellung auf ungewöhnliche Weise vom Krieg und von den Menschen erzählt, die sich im letzten Jahrhundert gleich zweimal feindlich gegenüber standen. Mit Buntstiften versenken russische Kinder deutsche Schiffe. Die kleinen Zeichnungen sind jetzt im Neuen Museum zu sehen. Und statt Bilder von Schützengräben und ein paar kaputten Panzern im Schnee werden in einem Saal ganz ungewöhnliche Fotos gezeigt.

""Wir alle wissen, dass der Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion der Tiefpunkt überhaupt dieser Beziehung ist, und dass da Millionen von Menschen ihr Leben lassen mussten. Wir arbeiten damit, dass wir dieses Geschehen so etwas in Erinnerung rufen mit großen Fotos der Schlachtfelder, aufgenommen im letzten Jahr. Und für mich bewegt der Blick auf diese Bilder so die Erfahrung ja, es sind zwar 70 Jahre, die dazwischen liegen, aber ich muss eigentlich nur an der Oberfläche hier kratzen, und ich stoße auf diesen Krieg."

In den letzten Räumen landen Russen und Deutsche in der Gegenwart. Jetzt kommen auch Medien zum Einsatz: Fotos, Filme und Musik. Zeitzeugen berichten. Im geteilten Deutschland war die Beziehung zu den Russen in Ost und West denkbar verschieden. Trotz deutsch-sowjetischer Völkerfreundschaft wurden die russischen Soldaten vom DDR-Volk fern gehalten. Im Westen sangen die Don-Kosaken und Ivan Rebroff, der eigentlich gar kein Russe war, sondern aus Berlin-Spandau kam. Das ist Klischee pur, was in der Ausstellung ansonsten vermieden wird. Im neuen Museum sollen sich Deutsche und Russen ganz anders und besser kennenlernen.

Im letzten Raum wird es noch einmal kompliziert. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden viele Kunstwerke aus Deutschland nach Russland gebracht. Ob sie auf Dauer in russischen Museen eine neue Heimat finden, ist eine offen Frage. Noch einmal Matthias Wemhoff:

"Allein mein Museum vermisst die allerbesten Exponate, 1537 beste Stücke sind in Russland, neben 15.000 weiteren. Das ist ein Thema, was wir einfach ansprechen müssen, und ich gehe ganz fest davon aus, dass wir irgendwann die Stücke hier wieder in diesem Haus zeigen können. Die deutsch-russische Geschichte ist, das haben wir an vielen Stellen gesehen, immer wieder von großherzigen Geschenken und Gaben auch geprägt, und ich denke unbeachtet auch von Rechtspositionen, irgendwann wird es ein solches Zeichen geben."