Bernward Gesang: "Mit kühlem Kopf"
Über den Nutzen der Philophie für die Klimadebatte
Hanser, München 2020
272 Seiten, 24 Euro
Wie Philosophie dem Klima hilft
06:06 Minuten
Das Ausmaß der Klimakrise ist gewaltig und kann uns lähmen. Umso wichtiger, sich Etappenziele zu setzen, meint Bernward Gesang. Der Philosoph und Wirtschaftsethiker empfiehlt: Lieber gezielt spenden, als den eigenen Konsum einzuschränken.
Der Ausgangspunkt dieses Buches ist die Erkenntnis, dass das schiere Ausmaß der Klimakrise uns lähmt. Um die Herkulesaufgabe zu bewältigen, argumentiert Bernward Gesang, müssten wir deshalb zuallererst einzelne Schritte ausmachen, die möglichst effizient und leicht umsetzbar sind. Wählen wir ein möglichst kluges Vorgehen, kann uns das Unmöglich-Scheinende doch noch gelingen. Der pragmatische Titel dieses Essays lautet folgerichtig: "Mit kühlem Kopf. Über den Nutzen der Philosophie für die Klimadebatte".
Klima retten oder Armut bekämpfen
Dieser zunächst einmal pragmatisch anmutende Ansatz zieht allerdings weitreichende Konsequenzen nach sich. Denn Gesang geht davon aus, dass wir uns überfordern, wenn wir versuchen, die Klima- und die Umweltkrise gleichzeitig anzupacken. Nach dem Motto "First Things First" optiert er für eine Vorrangstellung der Klimawende vor dem Umweltschutz. Entsprechend unterstützt Gesang eine Green-New-Deal-Perspektive, die auf die Vereinbarkeit von globalem Wirtschaftswachstum mit Klimaneutralität setzt. Ermöglicht werden soll dieses grüne Wachstum vor allem durch die flächendeckende Umstellung auf erneuerbare Energien.
Die Folgen für in Armut lebenden Menschen und die Umwelt wären dabei jedoch dramatisch: Durch die sich verschärfende Konkurrenz zwischen Biomasse- und Nahrungsmittelanbau würden die Lebensmittel teurer; die letzten Ökosysteme müssten zusätzlichen Ackerfläche weichen. Angesichts der fatalen Effekte dieses Konzepts wäre eine eingehendere Diskussion von nachhaltigeren Lösungswegen und deren Umsetzbarkeit an dieser Stelle wünschenswert.
Spenden statt Verzichten
Ein zweite Weichenstellung des Buches ergibt sich aus Gesangs philosophischem Standpunkt: Wir haben es hier mit einem individualethischen Ansatz im theoretischen Fahrwasser des Utilitarismus zu tun. Das heißt, es geht Gesang um die Frage, wie wir als Einzelne einen möglichst effizienten Beitrag zur Erreichung des größtmöglichen Wohlergehens leisten können - in diesem klimapolitischen Kontext zur Erhaltung unserer geteilten Lebensgrundlagen. Er setzt also einen Schwerpunkt auf möglichst kostenrationales Handeln von Einzelpersonen, was in der Klimadebatte aber eine zentrale Vorentscheidung bedeutet.
Denn politisches Handeln lässt sich nicht direkt in eingesparte Tonnen CO2 umrechnen, individuelle Spenden zur Vermeidung klimaschädlicher Emissionen hingegen schon. Das Verhältnis von eingesetzten Ressourcen zu erreichtem Klimaschutz sei dabei im Moment nirgendwo günstiger als bei Spenden für ausgesuchte Nichtregierungsorganisationen, die sich für den Schutz des Regenwaldes im globalen Süden und seiner Bewohner einsetzen. Aus dieser Logik ergibt sich für Gesang eine klare Handlungsempfehlung: Nicht unsere Verhaltensweisen und Konsumgewohnheiten sollten wir verändern, sondern drei bis fünf Prozent unseres Einkommens in klug gewählte Spenden investieren.
Ein Veto-Recht fürs Umweltministerium
Später im Buch wechselt Gesang zwar ins Register der staatlichen und internationalen Klimapolitik und unterstreicht, dass eine Überwindung der Klimakrise nur auf politischer Ebene gelingen kann. Dieser Schritt bleibt aber recht unvermittelt mit dem individualethischen Ansatz, der das Buch bestimmt und nahelegt, das eigene Handeln in puncto Klimaschutz vornehmlich am Kriterium der Kostenrationalität auszurichten.
Auf politisches Handeln sollten wir in Gesangs Augen also vor allem dann setzen, wenn es uns wenig kostet – zum Beispiel, indem wir wählen gehen und unsere Kreuzchen klimapolitisch sinnvoll setzen. Unklar bleibt, wie der gesellschaftliche Druck auf diese Weise ausreichend wachsen soll, damit ein starker Anreiz für wirksame Klimapolitik entsteht.
Interessant sind Gesangs Vorschläge zum klimapolitischen Umbau unseres Institutionengefüges. Der Autor setzt hier unter anderem auf ein Veto-Recht des Umweltministeriums, ein Wahlrecht für Jugendliche und die Einsetzung von sogenannten Zukunftsanwälten. Diese institutionellen Neuerungen wären sicherlich ein entscheidender Schritt auf dem Weg zu einer erfolgreichen Klimawende und können nicht nur Politiker und Klimaexpertinnen inspirieren, sondern alle klimabewegten Leserinnen und Leser.