Kämpferin für künstlerische Freiheit
Ihr Name fällt, wenn es um die Wiener Moderne geht: Als eine der ersten Frauen im Journalismus stritt Berta Zuckerkandl für die Freiheit der Kunst, wo immer es ging. Weniger bekannt ist ihr enormer Einfluss als Salonnière sowie als Verfechterin eines von Preußen unabhängigen, republikanischen Österreich. Heute vor 70 Jahren starb sie.
Wien um 1900. Die Monarchie bröckelte, in Kunst und Kultur kündigte sich ein neues Zeitalter an. Nur wenige Frauen publizierten, Berta Zuckerkandl-Szeps war eine von ihnen. In ihren Zeitungsartikeln plädierte sie für die Wiener Moderne, ihr Salon wurde zur Heimat für Schriftsteller, Komponisten und Künstler.
"Wie soll ich die reizvoll bewegliche Atmosphäre des Salons von Berta Zuckerkandl beschreiben, die in ganz anderer Art zu diesem bunten Bild von Wien gehört? Sie hatte nichts mit den verträumten, etwas zerstaubten Palais zu tun, die auf die Gasse ernst herniederschaun. Sie war ganz Farbe und Grazie, neu, das Neue stark empfindend. Eine Freundin von Klimt und Mahler, eine Vorkämpferin der Wiener Werkstätten. Wie eine exotische Blume wirkte sie in ihrem feinfarbigen Palais von Hoffmann. Ihr rotes Haar glühte über buntgestickten Stoffen und Batiks, und ihre dunkelbraunen Augen funkelten von innerem Feuer."
Schrieb Helene von Nostiz in ihr Tagebuch. Damals war Bertas Ehemann Emil, ein bedeutender Anatom, bereits gestorben. Im Hause der Hofrätin Zuckerkandl trafen sich weiterhin Literaten wie Stefan Zweig, Hermann Bahr und Hugo von Hoffmannsthal, aber auch Gustav Mahler und dessen spätere Frau Alma lernten sich dort kennen. Berta Zuckerkandl war damals eine Institution. Um 1900 hatte sie Gustav Klimt rehabilitiert, als dessen Entwürfe für die Fakultätsbilder der Wiener Universität eine öffentliche Debatte ausgelöst hatten. Und sie ergriff Partei für Oskar Kokoschka und Egon Schiele, als der Thronfolger Franz Ferdinand 1910 deren Ausstellung schließen lassen wollte. In ihren Erinnerungen schrieb sie:
"Ich stand mit einigen jungen Künstlern im großen Mittelraum, als eine wellenartige Bewegung alle Offiziellen ergriff. Man sah plötzlich keine Gesichter mehr, sondern nur tiefgebeugte Rücken. Durch die Allee dieser Rücken schritt düster, aufgeblasen und gallig Franz Ferdinand, der Thronfolger. Wo immer er eintrat, verbreitete er Missmut, beinahe Schrecken. Dann stand er in der Mitte des Saales, rief eiskalt und doch wutentbrannt‚ Schweinerei!'"
Pazifistische Texte nach dem Ersten Weltkrieg
Berta Zuckerkandl wurde 1864 als Tochter des liberalen Journalisten und Chefredakteurs Moriz Szeps in Wien geboren. Sie genoss mit ihrer Schwester Sophie eine umfassende Ausbildung, unterstützte bald ihren Vater bei heiklen Missionen und begann zu schreiben. Szeps hatte früh den Kontakt zu dem sozialistischen Journalisten Georges Clemenceau gesucht, der später französischer Ministerpräsident wurde. Die Familie favorisierte ein französisch-österreichisches Bündnis und bekämpfte Kaiser Franz Josephs rückhaltlose Bindung an Preußen. Nach Beginn des Ersten Weltkriegs veröffentlichte Berta Zuckerkandl vermehrt pazifistische Texte.
"Mich ergriff der allgemeine patriotische Taumel nicht. Ich bäumte mich sofort gegen den Hassrausch auf, der selbst die zartesten Gemüter erschütterte. Es blieb mir unverständlich, wieso, warum man Menschen einer anderen Nation, die man tags zuvor noch geliebt oder geschätzt hat, plötzlich verachten oder hassen sollte, nur weil es Kaisern, Königen und Präsidenten der Republik gefiel, Europa in Blut zu tauchen."
Publizistin mit jüdischen Wurzeln
Mitte der 1920er-Jahre verlegte sich Berta Zuckerkandl auf die Übersetzung französischer Dramen ins Deutsche. Die Aufträge kamen vom Burgtheater oder von Max Reinhardt. Noch bis weit in die 1930er-Jahre führte sie ihren Salon. Doch nach dem Anschluss Österreichs an Nazi-Deutschland 1938 war es für die Publizistin mit jüdischen Wurzeln höchste Zeit auszureisen. In Frankreich erlebte sie nach Einmarsch der Deutschen das Flüchtlingselend am eigenen Leib:
"Rodin hätte diesem Zug von Erscheinungen Gestalt geben können, als er das Tor zur Hölle nach dem Inferno von Dante geschaffen hat. Die Verzweiflung in all ihren Nuancen, der Schrecken in all seinen Ausformungen. Ein Alter, schon vom Tod belauert, dreckig, abstoßend, lässt sich zitternd nieder."
Trotz ihres hohen Alters gelang es ihr, nach Algier zu entkommen, wo ihr Sohn sie erwartete, und wo sie endlich Zeit hatte, ihre Erinnerungen aufzuschreiben. Als sie schwer erkrankte, brachte eine Militärmaschine sie in ihre Lieblingsstadt, nach Paris. Dort starb sie am 16. Oktober 1945 im Alter von 81 Jahren.