Berthold Seliger: "Vom Imperiengeschäft"
Edition Tiamat, Berlin 2019
344 Seiten, 20 Euro
"Konzerne sind nur an Superstars interessiert"
08:39 Minuten
Berthold Seliger ist seit über 30 Jahren Tourneeveranstalter und Konzertagent. In seinem Buch "Vom Imperiengeschäft" vergleicht er die heutige Musikindustrie mit einem Drogendealersystem: Die sehr teuren Ticketpreise habe es früher nicht gegeben.
Kaum ein Industriezweig habe sich in den letzten Jahren so gravierend gewandelt wie die Musik- und Unterhaltungsindustrie, sagt Berthold Seliger. Ginge es früher noch in erster Linie um den Verkauf von Tonträgern, egal ob LP, CD oder MC, werde heute das Geld vor allem mit Streaming-Plattformen verdient, bei Großkonzerten und durch Werbung.
Die großen Verlierer bei diesem Strukturwandel seien die Musiker und die Musikhörer.
Berthold Seliger hat tiefen Einblick, denn er ist selbst Konzertveranstalter und Autor des soeben erschienenen Buches "Vom Imperiengeschäft".
Kritik an der Branche
Schon 2013 erschien sein Buch "Das Geschäft mit der Musik". Auch wenn erneut viel Kritik an der Szene dabei sei, so Seliger, die Liebe zur Musik sei immer geblieben: "Es gibt nichts Schöneres, als einen Künstler live auf der Bühne zu erleben. Aber das Problem ist immer virulenter, dass immer weniger Konzerte das Konzertgeschehen unserer Tage dominieren und damit eine gewisse Monokultur entsteht."
Ihn treibe um, wie es gelingen könne, die Künstler gut zu behandeln. Er frage sich, wie die Karrieren sorgfältig aufgebaut werden könnten und wie man eine kulturelle Vielfalt in der Gesellschaft erzeugen könne. Auf der anderen Seite sieht Seliger die Fans: Sie sollten mit fairen Ticketpreisen rechnen dürfen. So stelle sich für ihn die Frage, wie die ständig steigenden Zusatzgebühren eingefangen werden könnten: "Ich glaube, dass da vieles falsch läuft."
Abhängigkeit schaffen, wie ein Drogendealer
Gleich zu Beginn des Buches legt Seliger eine These vor, in der er die heutige Musikindustrie mit einem Drogendealersystem vergleicht. Es ginge nur darum, den Kunden abhängig zu machen. Seliger erinnert sich, dass Veranstalter vor einigen Jahren stolz sein konnten, wenn ein Konzert, gar in einem Stadion, ausverkauft war. Heute dagegen sehe man sich bei einer schnell ausverkauften Veranstaltung dem Vorwurf gegenüber, die Ticketpreise zu niedrig kalkuliert zu haben.
Die größten Konzertagenturen seien Aktiengesellschaften, "Live Nation", die "Anschutz Entertainment Group AEG" und "CTS Eventim". Ihnen komme es nur auf Gewinn an "und nícht auf die Kultur", so Seliger weiter. Es ströme immer mehr Geld von Private Equity Fonds in die Konzert- und Festivalbranche. Somit gehe es darum, viel Profit mit möglichst geringen Mitteln zu erzielen. "Und das ist das Gegenteil, für das ich stehe, für das wir in der Musikkultur stehen, nämlich für Vielfalt und interessante Kultur."
Konzertgeschäft ist verlustreich
Als Beispiel führt er an, dass die Konzerne hohe Verluste im Konzertbereich einfahren würden, diese aber durch sehr hohe Gewinne im Ticketing wieder ausgleichen würden. Ticketing funktioniere so, dass die Eintrittskarten mit hohen Nebenkosten belastet werden. Das beträfe nicht nur die zehnprozentige Vorverkaufsgebühr. Die Gesellschaften ließen sich da viel einfallen. Sie erfinden "Gold-Tickets" oder VIP-Systeme.
Die sehr teuren Ticketpreise habe es früher nicht gegeben, meint Seliger. Er erinnert sich, dass damals ein einheitlicher Preis im mittleren zweistelligen D-Mark-Bereich herausgegeben wurde. Heute seien die vordersten Ränge für die besonders gut Zahlenden reserviert, für diejenigen, die für einen Abend schon mal knapp 1.000 Euro hinblättern können. "Im Grunde: Die Gleichheit schwindet, wie sie es in der ganzen Gesellschaft tut."
Man könne den Fans keinen Vorwurf machen, dass sie auch die hohen Preise zahlen: "Das wäre der falsche Ansatz." Wir müssten dafür sorgen, dass es die überhöhten Presie nicht mehr gibt, fordert der Autor.
Superstar-Geschäfte sind entscheidend
"Nur fünf Prozent der Künstler weltweit sorgen für 85 Prozent der Einnahmen." Und somit seien die Konzerne nur an diesen Superstars interessiert. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass nur wenig für die anderen Musiker übrig bliebe. Im Endeffekt würde damit die Clubkultur ausgeblutet.
"Ein Tom Jones hat in einem walisischen Arbeiterclub gespielt. Die Clubkultur ist eigentlich die, wo sich eine Band einen Namen aufbauen kann." Da könnten sie in direkten Kontakt mit dem Publikum treten, so Seliger. Daher wäre es sehr gefährlich, wenn diese Clubkultur durch das Konzertwesen zerstört werde, denn da werde die Grundlage für das, "was später vielleicht mal ein Superstar werden kann."
Mindestgage für Musiker?
"Wir haben Mindestlöhne, also warum sollten die Musiker da leer ausgehen?" fragt Seliger. Er könne sich auch eine Solidaritätsabgabe vorstellen, sodass also große Musiker oder die Ticketkonzerte die Kleineren, die Anfänger mitfinanzieren könnten. Nur so sei es möglich, musikalische Vielfalt zu bewahren.
(cdr)
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