Bertolt Brecht zum 125. Geburtstag
Ein anderes Theater: „Glotzt nicht so romantisch!“, forderte Bertolt Brecht bei der Münchner Uraufführung seines Stücks "Trommeln in der Nacht". © Getty Images / Ullstein Bild / Zander & Labisch
Das umkämpfte Erbe des kommunistischen Dramatikers
Nicht nur glotzen, sondern verstehen: Bertolt Brecht wollte Kunst und Kommunismus im Theater vereinen. Das war revolutionär. Der Streit um die politische Auslegung seiner Werke hält bis heute an.
„My name is Bertolt Brecht. I am born in Augsburg, Germany“, erklärt der Dramatiker am Ende seiner Exilzeit in den USA vor dem berüchtigten „Komitee für unamerikanische Umtriebe“. Beim Geburtsdatum hapert es ein bisschen: „February 10th. Nineteen … ähh … Eighteen … Ninety.“ Hä? Auch nach mehreren Nachfragen bleibt dem Ausschuss unklar, wann der Deutsche mit bayerischem Akzent geboren ist.
Die Lösung: Eugen Berthold Friedrich Brecht kam vor genau 125 Jahren, am 10. Februar 1898, in Augsburg auf die Welt.
Vor dem Ausschuss musste sich Brecht verantworten, weil man eine kommunistische Unterwanderung Hollywoods durch die Stücke des antifaschistischen Dramatikers fürchtete. Dabei war die Sorge völlig unbegründet. Brechts Erfahrungen mit der Filmbranche waren so schlecht, dass es in den USA bei einer kurzen Zusammenarbeit mit Fritz Lang im Jahr 1942 blieb.
Er fokussierte sich aufs Theater, dichtete ein wenig, schrieb theoretische Abhandlungen über Theater und Medien und verließ die USA schließlich am 31. Oktober 1947 – nur einen Tag nach der Ausschusssitzung. Das Flugticket nach Paris, seinem ersten Zwischenstopp auf dem Weg in die Schweiz, hatte er während der Sitzung bereits in der Tasche.
Das epische Theater
In der Schweiz testete er zunächst, wie im Nachkriegseuropa sein episches Theater ankam. Diese wenig intuitive Form, die episches Erzählen mit dem dramatischen Spiel vereinen sollte, entwickelte Brecht in der Weimarer Republik. Weg vom Einzelschicksal, hin zum großen Ganzen wollte er mit seinen Stücken. Dafür zog es den Augsburger als Mittzwanziger in die Weltmetropole Berlin, in der er schnell und strategisch netzwerkte. Besonders bei den Kommunisten fühlte er sich wohl. In diesen Jahren wendete er sich dem Marxismus zu, von dem er zeitlebens nicht mehr abließ.
Wie Karl Marx in seiner „Kritik der politischen Ökonomie“ die realen Vorgänge hinter dem Schein hervortreten lassen wollte, so wollte auch Brecht die Welt nicht bloß realistisch auf der Bühne abbilden. Stattdessen sollten Zusammenhänge, Strukturen und Gründe in seinen Stücken in den Vordergrund treten. Er wollte, dass sein Publikum die „Vorgänge hinter den Vorgängen“ erkennt, wie er es einmal formulierte.
Verfremdung früher und heute
Dazu nutzte er allerhand technische wie schauspielerische Elemente – allen voran den von ihm so genannten Verfremdungseffekt. Durch ein unemotionales Spiel sollten sich die Zuschauer etwa möglichst mit keiner Figur identifizieren. Statt zum Fühlen soll die Distanz zum Stück sie zum Denken anregen. Ein riesiger Unterschied zum Theater seiner Zeit, das den Menschen durch gut gesetzte Illusionen hauptsächlich unterhalten möchte. Als 1922 in den Münchner Kammerspielen mit „Trommeln in der Nacht“ zum ersten Mal ein Stück von ihm aufgeführt wird, hängt er Plakate auf, die die Zuschauer provokativ aufforderten: „Glotzt nicht so romantisch!“
Gerade mit dieser regelmäßig eingeübten Rezeptionshaltung des Publikums sollte der Verfremdungseffekt brechen. Wie sehr er auch heute etwas gegen die veränderte Rezeption der Neuen Medien ausrichten kann, scheint zumindest zweifelhaft. Wie reagiert das Publikum rührseliger Netflix-Serien auf stets hell ausgeleuchtete Bühnen? Und können diejenigen, die hauptsächlich 60-Sekunden-Videos konsumieren, noch etwas mit distanzierten, unemotionalen Schauspielern anfangen?
Der Vorwurf, Brecht sei nicht mehr zeitgemäß, ist jedenfalls nicht neu. Anlässlich seines 80. Geburtstages meinte der Kritiker Hellmuth Karasek schon 1978, dieser Autor sei „tot, […] mausetot“.
Kampf um Bertolt Brechts politisches Erbe
Doch wird Brecht nicht nur gespielt und gelesen, auch über seine politischen Ideen wird mehr als 30 Jahre nach dem Ende des deutschen Realsozialismus wieder diskutiert. In seinem Geburtsort Augsburg etwa widmet man Bertolt Brecht ein zehntägiges Festival. Unter dem Titel „Brecht’s People“ entdeckt der Kulturanthropologe Julian Warner, Leiter des Festivals, den Marxisten nicht bloß als Denker der Widersprüche wieder. Für ihn handeln seine Stücke von Schwachen, Wehrlosen und Opfern. Von einer großen Textwerkstatt als Zoom-Konferenz bis zum kollektiven Teppichweben ist der rote Faden des Festivals die Beteiligung – schließlich wollte auch Brecht aus seinen Zuschauern immer aktive Konsumenten machen.
Neuerscheinungen zum Brecht-Geburtstag
- Bertolt Brecht: "Unsere Hoffnung heute ist die Krise. Interviews 1926-1956", Hg. Noah Willumsen, Suhrkamp Verlag 2023, 35 Euro
- Frank Strehlow (Hg.): "Brecht und Klasse und Traum", Verbrecher Verlag 2023, 26 Euro
- Christian Hippe (Hg.): "Brecht und das Theater der Interventionen", Verbrecher Verlag 2023, 28 Euro
- Unda Hörner: "Brecht und die Frauen", ebersbach & simon 2023, 20 Euro
Ebenfalls in Augsburg leitet der Germanist und Theologe Jürgen Hillesheim die Brecht-Forschungsstätte. Er hingegen bezeichnet Brecht als politischen Opportunisten und nimmt auch seine frühe und anhaltende Hinwendung zum Marxismus nicht ernst.
Sicher ist er sich jedoch, wie der Dramatiker über die derzeitigen politischen Verhältnisse denken würde: „Über die Political Correctness heute würde er die Nase rümpfen.“ Das Erbe des Dramatikers bleibt also umkämpft: Wer Brecht als politisch eindeutigen Künstler versteht, muss bei diesen Kämpfen aufhorchen.
Der Politiker Brecht und sein Verhältnis zur DDR
Tatsächlich versteckte Brecht seine kommunistische Weltanschauung nie, er nannte sie das „Allernächstliegende, Mittlere, Vernünftige“ – auch wenn er vor dem Komitee in den USA immer wieder bekräftigte, dass er niemals Mitglied einer kommunistischen Partei war. Auch in der DDR, in der er nach einem Zwischenstopp in der Schweiz nach Ende des Zweiten Weltkriegs lebte, wurde er nicht Mitglied der SED. Trotz seiner grundlegenden politischen Verbundenheit übte er auch immer wieder sanfte Kritik an der Partei.
Brecht hieß zwar die Niederschlagung der Massenproteste von Arbeitern durch sowjetische Truppen am 17. Juni 1953 grundsätzlich gut, da er von einer Instrumentalisierung der Proteste durch Faschisten ausging. Zugleich forderte er die Regierung Walter Ulbrichts in einem Brief zur Aussprache mit den Arbeitern auf, „die in berechtigter Unzufriedenheit demonstriert haben“. Doch selbst diese leise Kritik wurde bei der Veröffentlichung des Briefes in der SED-Parteipresse unterschlagen. Trotzdem blieb Brecht überzeugter Kommunist, sein Verhältnis zur Partei kühlte indes in diesen Jahren ab.
Auch künstlerisch war Brecht trotz vieler Freiheiten nicht immer zufrieden. Er demonstrierte vor allem gegen den zu großen Einfluss von Kulturfunktionären gegenüber den Künstlern. Dabei reichte es ihm nicht, dass - zumindest in der Theorie - die Künstler selbst das Sagen hätten, letztlich sollten die Arbeiter zu Künstlern werden. Diese Form des Laientheaters entwickelte Brecht schon in den Jahren der Weimarer Republik.
Am Berliner Ensemble, der von seiner Frau Helene Weigel geleiteten Theatergruppe, setzte er sie in Ansätzen um. So wurde von Weigel und Brecht auch die soziale Zusammensetzung des Ensembles veröffentlicht: Neben ein paar Arbeitern – rund zehn Prozent - blieb die größte Gruppe stets die der Künstler, die fast ein Drittel stellten.
Mutter Courage: ein Antikriegsstück
Mit dem Berliner Ensemble und Helene Weigel in der Hauptrolle inszenierte Brecht auch seinen ersten großen Erfolg im Nachkriegsdeutschland. Es ist heute wieder von besonderer Relevanz. In „Mutter Courage und ihre Kinder“ konstruiert Brecht Szenen des Dreißigjährigen Kriegs. Die namensgebende Mutter schlägt sich als Verkäuferin von allerlei Kriegsmaterial durch die Wirren der Zeit.
Auch als ihre Kinder nach und nach Opfer nicht nur des Krieges, sondern auch ihrer Geschäfte werden, lässt sie nicht locker: Die Hoffnung, sich durch geschickte Taten vor dem Krieg retten zu können, ist zu stark. Genau vor dieser Haltung will Brecht warnen, als er das Stück im Exil schreibt. Die Aufführung des Stücks durch sein Berliner Ensemble wird durch eine genaue Foto- und Regiedokumentation mehrere Jahre lang zum verpflichtenden Vorbild aller weiteren Aufführungen.
Bis heute ist den Erben des Dramatikers an Werktreue gelegen. In regelmäßigen Abständen wurden daher besonders experimentelle Aufführungen von ihnen untersagt. In drei Jahren, 70 Jahre nach Brechts Tod, verfallen die Rechte an seinem Werk. Bertolt Brecht starb am 14. August 1956 im Alter von 58 Jahren an einem Herzinfarkt. Drei Tage später wurde er in Berlin auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof begraben. Seinem Wunsch gemäß wurde er ohne Trauerreden in einem Stahlsarg beerdigt.