Spurensuche in Santa Monica
06:12 Minuten
Auch Bertolt Brecht lebte eine Zeitlang im kalifornischen Exil. Doch für ihn war Hollywood vor allem ein "Markt, wo Lügen verkauft werden". Die heutige Besitzerin gewährte jetzt Einblick in das Innenleben der einstigen Brecht-Residenz.
Im lichtdurchfluteten Raum mit Holzboden, weißen Wänden und einem großen Fenster zur belebten Straße erinnert sich die Besitzerin des Brecht-Hauses daran, wie sie als junges Mädchen in Polen die "Dreigroschenoper" las und von Polly mit den Pfirsichwangen beeindruckt war.
Als Rina Welles das Haus vor acht Jahren das erste Mal sah, wusste sie nicht, dass Bertolt Brecht hier 70 Jahre vorher gelebt hatte. Doch ihr gefiel gleich der europäische Charme des quadratischen Holzhauses.
Ohne es zu wissen, stellte sie ihren Schreibtisch genau an Brechts ehemaligen Arbeitsplatz im zweiten Stock. Wenn sie dort Gedichte und Prosa schreibt, spürt sie viel kreative Energie, wie sie sagt.
Von 1941 bis 1947 lebte Bertolt Brecht in diesem Haus drei Kilometer vom Pazifik entfernt mit Helene Weigel und ihren beiden Kindern. Miete: 60 Dollar im Monat. Im Haus an der 26. Straße schrieb er unter anderem den "kaukasischen Kreidekreis", "das Leben des Galilei" und zahlreiche Gedichte.
Doch dem sonnigen Leben in Los Angeles konnte Brecht wenig abgewinnen. Hollywood bezeichnete er in einem Gedicht als einen "Markt, wo Lügen verkauft werden", auf dem er sich jeden Morgen unter die Verkäufer reihen müsse, um sein Brot zu verdienen.
Brecht war genervt von Kalifornien
Ein Jahr nach seiner Ankunft in Santa Monica arbeitete Brecht mit Fritz Lang am Film "Auch Henker sterben". Trotzdem notierte er in sein Tagebuch: "Zum ersten Mal seit zehn Jahren arbeite ich an nichts Ordentlichem." Und schrieb in einem Brief nach Europa, dass es ihm an kaum einem Ort schwerer gewesen sei als an "diesem Schauhaus des Easy Going".
Nikolai Blaumer, Programmdirektor des Thomas Mann House in Los Angeles, sieht Parallelen zum Denken von Brechts Nachbarn in Santa Monica, Max Horkheimer und Theodor Adorno:
"Letztlich war es ein sozialistischer Blick auf ein kapitalistisches System. Es gibt ja auch das Zitat von Brecht, in dem er sagt, an jedem Hügel Hollywoods sollte ein Preisschild hängen. Insofern war diese kritische Distanz zu Amerika auch eine politische Distanz zu dem kapitalistischen Gegenentwurf zu seiner eigenen Utopie."
Enge Freundschaft mit den Feuchtwangers
Brecht bemühte sich auch kaum darum, sich im US-Exil zu integrieren. Nie zog er in Erwägung, Kalifornien zur Wahlheimat zu machen. Thomas Mann ging er aus dem Weg. Eine enge Freundschaft verband ihn aber mit den Feuchtwangers, erzählt Claudia Gordon, die Direktorin der Künstlerresidenz Villa Aurora, dem ehemaligen Wohnort des "Jud Süß"-Autors:
"Das letzte Mal gesehen haben sie sich 1947, am Tag, nachdem Brecht vor dem 'House of Unamerican Activities Committee' ausgesagt hatte und das Land unmittelbar danach verließ. Da hat er sich verabschiedet von Feuchtwanger. Da gibt es ein sehr bekanntes Foto von Ruth Berlau, wo die beiden auf einer Bank sitzen und ein letztes Gespräch führen."
Ruth Berlau lebte mit den Brechts in Santa Monica
Ruth Berlau trafen Besucher auch bei Brecht zu Hause an. Die dänische Schauspielerin und Autorin war mit den Brechts ins Exil nach Kalifornien gekommen. Eine ältere Dame erzählte der heutigen Besitzerin vor ein paar Jahren, sie habe mit Bertolt Brechts Geliebter im Gästehaus gespielt. Der Autor habe sie oft zu sich gerufen und sehr freundlich und warmherzig mit ihr gesprochen.
Wo damals das Gästehaus stand, ist heute ein preisgekrönter moderner Anbau. Das Brecht-Haus selbst steht unter Denkmalschutz. Verbunden sind sie durch eine Glasbrücke und einen großen Garten.
In dem gab es als Dank an die Besitzerin und an Freunde von Villa Aurora und Thomas Mann House am Ende des Gesprächs ein Konzert. Bei dem durfte eins natürlich nicht fehlen: Musik aus der Dreigroschenoper.