Beruf Sterbeamme

Geburtshelfer ins Jenseits

Die Hände eines alten Menschen im Krankenhausbett werden von einer jüngeren Person gehalten.
Die Hände eines alten Menschen im Krankenhausbett werden von einer jüngeren Person gehalten. © dpa / picture alliance / Sami Belloumi
Von Katrin Albinus |
Allein sterben ist für viele Menschen eine Horrorvorstellung. Sterbeammen können helfen. Sie sind professionell ausgebildet, Menschen am Ende ihres Lebens zu begleiten.
"Es gibt Monate, da ist es relativ ruhig, und es gibt Monate mit sieben Verstorbenen."
Carmen Roth arbeitet seit sieben Jahren als Sterbeamme im Haus Altenfriede in Reinbek, im Osten von Hamburg. Eine festangestellte Sterbebegleiterin in einem Altenheim - das ist die große Ausnahme. Meist wird Sterbebegleitung nebenbei über das Pflegepersonal geleistet.
Zu Carmen Roths Aufgaben im Haus gehören neben organisatorischen Dingen vor allem die Gestaltung von Ritualen, Kriseninterventionen, und die Sterbe- und Trauerbegleitung.
"Guten Tag."
"Na."
"Na, Frau Roth. War ein schwerer Weg hier rein."
"Das glaub ich."
"Im Moment muss ich mich auch noch ein bisschen fangen."
"Ja, ist gut."
Karin Witts Mann ist kürzlich nach einem zweimonatigen Aufenthalt im Haus Altenfriede gestorben. Da er schwer krank war, dachte seine Frau zunächst, er müsse aus dem Altenheim in ein Hospiz verlegt werden - und war überrascht, dass er bleiben konnte - und auch sie selbst Unterstützung erhielt:
"Da sagte Frau Roth zu mir: Ich glaube, Sie sind jetzt diejenige, die getröstet werden müsste und mit der ich sprechen müsste. Und da hab ich mich noch vehement gegen gewehrt - nein! Schnell weg, das schaff ich alles alleine. Bis man feststellt, nach so vielen Tagen: Das schaffst du nicht alleine. Das war schon ein sehr starker Trost - wenn man das alleine machen müsste, das wär ein großer Schluck aus der Pulle."
Wie weit das Angebot von Carmen Roth geht, wird oft erst nach einer Weile entdeckt. Es bedarf Zeit, bis sich Bewohner oder Angehörige öffnen und der Sterbeamme ihre Sorgen und Ängste anvertrauen.
Etwa 400 Sterbeammen gibt es in Deutschland
Was sich im Altenheim über Tage und Wochen anbahnt, dauert in der Praxis von Claudia Cardinal, die das Berufsbild der Sterbeamme 2001 begründete, meist nur eine Stunde. Wer hier her kommt, weiß, dass er Unterstützung möchte, die Probleme der Ratsuchenden können vielfältig sein:
"Das kann also in einem Fall Liebeskummer sein, der tatsächlich in Richtung Suizidal-Neigung ging, das kann im nächsten Fall bedeuten, mein Nachbar hat sich gerade erhängt und ich hab' Angst das kann im dritten Fall bedeuten , das hatte ich auch gerade: Ich hab gestern einen Unfall provoziert und der Motorradfahrer ist tot."
Menschen zu begleiten, die in einer Abschiedssituation in eine Krise geraten, ihnen mit Rat und Tat zur Seite zu stehen - das ist das Anliegen von Sterbeammen. 400 Menschen haben in Deutschland mittlerweile die Ausbildung absolviert, die meisten von ihnen arbeiten anschließend aber nicht in einer eigenen Praxis, sondern bringen ihr Wissen als Zusatzqualifikation in ihren Beruf ein: etwa als Heilpraktiker, Bestatter, oder als Pflegekraft.
Den Beistand einer Sterbeamme hätte Claudia Cardinal auch einmal selbst gebraucht, als ihre Tochter Katharina 1981 mit nur sechs Jahren an Leukämie starb. Damals sah sie sich mit ihrem Schmerz auf sich allein gestellt - heute würde es ihr kaum anders ergehen, meint sie:
"Das gibt vielleicht maximal in vergleichbaren Situationen Psychologen, die irgendwo arbeiten auf Stationen, und da hab ich bislang noch nicht so unheimlich viel Überzeugendes gefunden. Trauer und Sterben hat immer die Dimension dabei von Sinn und Sinnlosigkeit, und das sind geistig-spirituelle Fragen - das ist aber kein Gegenstand, der irgendwo in der Psychologie vermittelt werden würde."
Nichtgläubigen einen Glauben an das Leben nach dem Tod vermitteln
Für geistig-spirituelle Fragen sind hierzulande traditionell eigentlich die christlichen Kirchen zuständig. Doch die werden für die Seelsorge immer weniger in Anspruch genommen. Für Menschen mit dem Wunsch nach Spiritualität, aber ohne Zugang zum christlichen Glauben, können Sterbeammen eine Alternative sein: Denn die wollen auch ohne konfessionellen Anbindung zum Glauben an eine geistige Existenz nach dem Tod ermutigen. Dass Menschen sich das nicht mehr recht trauen, erlebt Claudia Cardinal oft, und erzählt vom Beispiel einer 85-jährigen Witwe.
"Da steht ein Bild von dem Verstorbenen und eine Kerze und auch eine Blume und dann sagt sie mir so'n bisschen verschmitzt: Ab und zu proste ich ihm auch zu. Und dann hab ich nur gesagt zu ihr: Ach so, Sie gehen davon aus, dass es ihn gibt. Und dann hat sie richtig gestutzt und hat aber abgelenkt, da wollte sie nicht rein. Und ich würde sagen, die größte Krankheit ist, dass wir nicht konsequent weiter denken. Hat die nun 'ne Erinnerung gepflegt oder hat sie einen Kontakt gepflegt - das ist doch ne ganz grundsätzlich unterschiedliche Aussage."
Das Angebot zum Glauben an eine geistige Welt eröffnet neue Möglichkeiten. Denn Sterbeamme und Ratsuchende können gemeinsam überlegen, wie die Beziehung zum Verstorbenen weiter gestaltet werden kann.
Doch nicht jeder ist dazu bereit, das Angebot anzunehmen - das erlebt auch Carmen Roth häufig - und das ist für sie in Ordnung. Man kann mit ihr auch ganz praktische Dinge besprechen. Mit der 73-jährigen Antje Döring hat sie heute noch einen Termin, das Thema ist ihre Patientenverfügung. Denn ein Problem kann sein, dass es Angehörigen mitunter schwer fällt, das, was jemand verfügt hat, auch umzusetzen.
Roth: "Ich schmeiß' einfach mal die Frage in den Raum, ob es nicht auch Sinn macht vielleicht, einen Menschen auszusuchen, der die Patientenverfügung durchsetzt, der vielleicht nicht mit zum Familiensystem gehört? Der vielleicht nicht diese emotionale starke Bindung hat."
Döring: "Das ist ideal, aber ich hab' die sogar."
Roth: "Ja wunderbar. Dann haben Sie natürlich gute Voraussetzungen, dass das auch wirklich passiert."
Die beiden Frauen kennen sich seit vier Jahren - Antje Döring fühlt sich bei Carmen Roth in guten Händen. Nur mit ihrer Berufsbezeichnung kann sie gar nichts anfangen.
Döring: "Sie vermitteln wirklich Ruhe und liebevolle Betreuung und Kompetenz - also alles ganz toll. Aber Sterbeamme find ich furchtbar..."
Roth: "Das weiß ich."
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