Ich glaube, das ist unternehmensunabhängig, dass man in einem Meeting sitzt und sich denkt: Warum sitze ich in diesem Meeting? Warum sitze ich in diesem Meeting, oder warum ist das überhaupt ein Meeting und keine E-Mail?
Stress bei der Arbeit
“Ich war einfach müde, ich war erschöpft, wie ganz viele von uns. Wie ganz viele von uns es auch immer noch sind“, sagt Sara Weber. © imago / fStop Images / Peter Stark
"Ich war erschöpft, wie viele von uns"
06:30 Minuten
Emotional haben sich viele Menschen noch nicht von den letzten zwei Jahren Pandemie erholt. Das verstärkt einen Trend, der seit Jahren anhält: Stress im Job, der nicht ohne Folgen bleibt. Was sind die Gründe dafür und was lässt sich dagegen tun?
März 2021, das erste Jahr der Pandemie ist um. Die Impfkampagne stockt, und die Infektionszahlen steigen. Die Wirtschaft steht auf wackeligen Beinen.
In dieser Zeit kündigt Sara Weber ihren Job. "Ich war einfach müde, ich war erschöpft, wie ganz viele von uns. Wie ganz viele von uns es auch immer noch sind", sagt sie.
Damals arbeitet Sara Weber als Redaktionsleiterin bei LinkedIn, dem beruflichen Netzwerk im Internet. Sie ist zu der Zeit das Gesicht des Unternehmens in Deutschland. "Mein Team und ich haben jeden Morgen einen Nachrichtenüberblick mit einem Schwerpunkt auf Wirtschaft veröffentlicht."
Festgefahrene Strukturen, hohes Stressniveau
Ihre Gründe, diesen Job zu verlassen, sind vielfältig, sagt sie. Fünf Jahre in einem Tech-Unternehmen würden sich wie 20 anfühlen, da würde einfach viel passieren. Außerdem habe sie dort alles erreicht, was sie erreichen wollte.
So schafft sie zum Beispiel neben den Meetings kaum ihre eigentliche Arbeit, die Strukturen sind so fest und der Stress hoch. Unbewusst ist Sara Weber in dieser Zeit Teil einer anhaltenden Kündigungswelle, die 2021 von Ökonomen in den USA beobachtet wird.
Anthony Klotz, Managementprofessor der UCL School of Management, beschreibt dieses Phänomen als "Great Resignation", also "das große Kündigen".
Kündigungswelle trotz hoher Arbeitslosenquote
"Wenn die Arbeitslosenquote hoch ist, kündigen Leute eher nicht, weil man natürlich ansonsten sehr viel Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt hätte, um eine neue Stelle zu finden. Jetzt hat sich das aber in Corona quasi gedreht. Das heißt: Trotz hoher Arbeitslosenquote haben viele Leute gekündigt", sagt Maike Debus. Sie ist Professorin für Arbeits- und Organisationspsychologie an der Universität Neuenburg.
Steigende Lebensunterhaltungskosten, keine Aufstiegsmöglichkeiten, wenig Flexibilität gaben die Arbeitnehmer in den USA als Kündigungsgründe an. Gleichzeitig sind Arbeitnehmende seit der Pandemie immer gestresster, glaubt man der Befragung des US-amerikanischen Meinungsforschungs- und Beratungsunternehmen Gallup.
Für den Bericht "State of the Global Workplace 2022" wurden über 105.000 Beschäftigte befragt, in 146 Ländern. 44 Prozent der nach dem Zufallsprinzip ausgewählten Befragten klagen in der Umfrage: Sie hätten so viel Stress wie nie zuvor.
Für diesen Stress gibt es vielfältige Gründe, sagt Debus. "Die meisten Faktoren, wie beispielsweise Ungerechtigkeiten, ungerechte Behandlung durch Vorgesetzte, Personen, soziale Konflikte am Arbeitsplatz oder Arbeitsplatzunsicherheit: Das sind schon primär Faktoren, die einfach negative Effekte auf uns haben", erklärt sie.
Probleme mit Vorgesetzen – ein zentrales Thema
Vor allem die Probleme mit den Vorgesetzten sind in der Gallup-Studie ein zentrales Thema. Allerdings galt das auch schon für die Zeit vor der Pandemie. Der Stress bei der Arbeit und im Leben steige seit Jahren, sagt Maike Debus. Die Pandemie mache vieles nur sichtbarer, die Menschen würden offener darüber sprechen. Das sei etwas Gutes.
Wir haben mehr in uns hineingehört: Das, was ich in meiner Arbeit mache, meinem Leben mache, ist es das, was ich möchte, was mich irgendwie zufrieden macht? Man hat auch häufig diesen Begriff der Sinnhaftigkeit oder der Bedeutsamkeit der Arbeit gehört.
Begriffe, über die auch Aline Lehmann mit ihren Kunden und Kundinnen spricht. Sie ist Beraterin bei “Blaufeuer”, seit 2019 eine kostenlose Anlaufstelle in Köln, Berlin und Nürnberg für Menschen, die mit psychischen Belastungen bei der Arbeit kämpfen.
"Also wir müssen uns ganz klar abgrenzen von Therapie, das würde definitiv zu weit gehen", sagt sie. "Unsere Aufgabe ist es zu lotsen, zu vermitteln. Welche Institutionen gibt es sonst noch? Welche Angebote machen zum Beispiel Krankenkassen oder auch die Deutsche Rentenversicherung?"
Ein Modellprojekt zur Beratung
Gefördert wird das Modellprojekt, das noch bis 2025 läuft, durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Die Beratungszeiten sind individuell, von einem Besuch bis zu einem ganzen Jahr ist alles möglich und es wird wissenschaftlich begleitet.
Kundinnen und Kunden müssen dazu Fragebögen ausfüllen: "Da wird zum Beispiel nach der Arbeitszufriedenheit gefragt oder der Arbeitsfähigkeit, nach dem Gesundheitszustand, also sowohl psychisch als auch körperlich und es wird nach Problembereichen auf der Arbeit gefragt."
Die Fragebögen werden ausgegeben – vor der Beratungszeit, währenddessen und auch ein Jahr danach. Offizielle Zahlen gibt es noch nicht, sagt Aline Lehmann, aber eine positive Tendenz lasse sich erkennen.
Was ich auf jeden Fall sagen kann, ist, dass in der Zeit, seit es uns gibt, über tausend Menschen den Weg zu uns gefunden haben. Ja, und es werden stetig mehr.
Von Bürotätigkeit über Pflege bis Einzelhandel ist alles dabei. Allerdings wünscht sich Lehmann zusätzlich noch verbindliche Schulungen für Führungskräfte und auch eine regelmäßige, unabhängige Begutachtung von Unternehmen.
Arbeit nachhaltiger denken
Über Veränderungen der Arbeitswelt macht sich auch Sara Weber Gedanken. Sie arbeitet nun wieder als freischaffende Journalistin und Beraterin – allerdings mit weniger Stunden als in ihrem alten Job. Und sie hat ein Buch geschrieben mit dem Titel "Die Welt geht unter, und ich muss trotzdem arbeiten?”
Sara Weber möchte, dass Arbeit nachhaltiger gedacht wird und sich etwas verändert. „Ganz viele Dinge in der Arbeitswelt werden auf Eigenverantwortung geschoben. Und ja: Dann strukturiert dir halt deine Zeit besser, musst du keine Überstunden machen. Aber ganz viel hat damit zu tun, in welchem Kontext man arbeitet“, erklärt sie.
"Deswegen glaube ich auch, dass es so wichtig ist, größer darüber nachzudenken und größer darüber zu reden, weil das eben nicht individuell lösbar ist."