Meisterbrief steht auf der Kippe
Nach Plänen der EU-Kommission könnte der deutsche Meisterbrief abgeschafft werden. Der Steinmetz und Steinbildhauer Delfino Roman hält das für fatal. Handwerk und Industrie bräuchten gut qualifizierte Ausbilder, sagt er.
Nana Brink: Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen! – Diesen dummen Spruch werden sich wahrscheinlich viele Gesellen im Laufe ihrer Lehrjahre haben anhören müssen und gedacht: Wozu brauche ich eigentlich diesen Meisterbrief? Für 41 Handwerke ist der Meisterbrief nach wie vor Pflicht, wenn man einen Betrieb gründen will, so zum Beispiel für Bäcker, Tischler, Maurer, aber auch für Schiffbauer oder Steinmetze.
Aber vielleicht zählt der Meister ja bald zu einer aussterbenden Art! Die EU-Kommission will nämlich einheitliche Standards schaffen und eine ungehinderte Berufsausbildung in allen Staaten möglich machen, auch ohne Meisterbrief. Delfino Roman ist Steinmetz- und Steinbildhauermeister in Hildesheim, schönen guten Morgen, Herr Roman!
Delfino Roman: Ja, guten Morgen, Frau Brink!
Brink: Was bedeutet Ihnen denn der Meisterbrief?
Roman: Für mich bedeutet der Meisterbrief, dass wir im Handwerk eine entsprechend hohe Qualifikation haben, die nachgewiesen wird einmal durch die drei bis dreieinhalbjährige Lehre, durch die Gesellenzeit und dann als Abschluss die Meisterschule mit der Meisterprüfung, womit wir eine fachtheoretische und fachpraktische hohe Ausbildung haben, die eben durch eine Prüfung nachgewiesen werden kann.
Brink: Sie sind ja auch im Meisterprüfungsausschuss. Wie sind denn Ihre Erfahrungen, was bringt der Meisterbrief?
Roman: Der Meisterbrief bringt den Gesellen eine insofern weiterführende Ausbildung, dass sicherlich auch einmal die fachliche Seite vertieft wird. Aber wir haben in der Meisterprüfung ja auch die Teile drei und vier, das heißt die betriebswirtschaftliche Ausbildung und eben auch die Ausbildung für die Ausbildereignungsprüfung, also den berufs- und arbeitspädagogischen Teil, der erforderlich ist, um überhaupt hinterher Lehrlinge auszubilden.
Brink: Nun haben Sie bestimmt von den Bestrebungen innerhalb der EU gehört, dass das nun nivelliert werden soll, um also auch anderen Berufen aus anderen Staaten möglichst freie Berufsausbildung hier zu ermöglichen. Fühlen Sie sich dadurch bedroht?
Roman: Ich sage mal so, ich persönlich fühle mich sicherlich nicht bedroht. Das Problem ist, dass wir eine Qualitätssicherung in irgendeiner Art und Weise haben müssen. Wir haben ja schon Abkommen, dass entsprechend die Ausbildungsstandards angeglichen sind beziehungsweise abgeglichen werden. Unser Problem ist zum Beispiel durch die Novellierung, die 2004 war bei der Handwerksordnung, dass, wenn der Meisterbrief nicht mehr erforderlich ist für Handwerke, diese von Menschen ausgeübt werden können, die gar keine Ausbildung haben. Und da sehe ich ein sehr, sehr großes Risiko.
"Ich weiß nicht, ob das dem Verbraucherschutz entspricht"
Brink: In welchen Bereichen ist denn das der Fall?
Roman: Also, zum Beispiel ein klassisches Handwerk sind die Fliesenlegermeister oder die Raumausstatter, die heute keinen Meisterbrief mehr haben müssen. Und das heißt, dass jeder x-beliebige Mensch, der noch nicht einmal weiß, wie eine Fliese auf den Boden gelegt wird oder an die Wand geklebt wird, einen Betrieb aufmachen kann als Fliesenleger.
Brink: Also könnte ich das zum Beispiel machen?
Roman: Sie könnten das machen, ja, genau.
Brink: Aber was ist denn daran so schlimm? Ist das nicht auch das Recht eines jeden zu sagen, also, ich bringe mir das bei und dann mache ich das auch und biete das auf einem freien Markt an?
Roman: Sicherlich kann man sagen, dass es das Recht eines jeden ist, alles zu machen. Die Frage ist ja, wie reagiert der Verbraucher beziehungsweise was ist für den Verbraucher gut? Wenn der gar nicht mehr weiß, wenn er zu einem Handwerker hingeht, ob er dieses Handwerk überhaupt beherrscht, ist das natürlich auch ein wahnsinnig großes Risiko. Gerade beim Fliesenleger, der soll Ihnen das Bad verschönern und hinterher ärgern Sie sich, das Geld ist weg, das Bad ist versaut. Ich weiß nicht, ob das dem Verbraucherschutz entspricht.
Brink: Also ist dann sozusagen, wenn Sie jetzt vonseiten des Verbraucherschutzes argumentieren, wir in Deutschland haben ja noch die duale Ausbildung, also Schule und praktische Lehre, das haben Sie ja auch erklärt, das ist ja wieder sehr hoch im Kurs seit der Krise. Viele junge Leute zum Beispiel aus den südlichen Ländern, aus Spanien, suchen ja genau dieses System hier bei uns. Das ist aber nur mit Meisterbrief möglich?
Roman: Na ja, ich sage mal so, es ist nicht nur mit Meisterbrief möglich, aber zumindest müssen Sie eine entsprechende Prüfung haben, dass sie ausbilden können. Der eine Teil, dieser pädagogische Teil, und im fachlichen Teil müssen sie natürlich auch die entsprechende Fachkenntnis haben. Denn ich sage mal, komme wieder darauf zurück, dass Sie sagten, Sie könnten ein Fliesenlegergewerbe aufmachen, das stimmt schon …
Brink: Ja, das Bad möchten Sie aber dann nicht sehen!
Roman: Ja, aber Sie könnten dann ja auch, wenn Sie die berufs- und arbeitspädagogische Prüfung hätten, könnten Sie rein theoretisch ja auch noch Fliesenleger ausbilden. Und das funktioniert ja hinten und vorne nicht mehr!
Meisterprüfung sichert Ausbildungsqualität
Brink: Das heißt, ist eigentlich dieses duale System ein Exportschlager, wenn wir es jetzt mal andersherum drehen?
Roman: Das duale System ist mit Sicherheit ein Exportschlager, aber insgesamt müssen die Betriebe, das Handwerk und auch die Industrie entsprechend gut qualifizierte Ausbilder haben. Und das haben wir im Moment durch die Meisterprüfung gewährleistet im Handwerk, und in der großen Industrie, da haben wir die entsprechenden Industriemeister und Ausbilder, die auch eine adäquate Ausbildung haben. Und nur so kann das duale System die Qualität zeigen, die es eben in Deutschland hat.
Brink: Das deutsche Handwerk beschäftigt 5,3 Millionen Menschen, ist eine wichtige Säule der deutschen Wirtschaft. Sie selbst haben gesagt, ganz am Anfang des Gesprächs, Sie fühlen sich nicht bedroht. Aber wird nicht die Wirtschaft, das Handwerk insgesamt darunter leiden, wenn alles nivelliert wird?
Roman: Ich sage mal so, Nivellierung ist das eine, die Frage ist, wohin wird nivelliert? Wenn wir wirklich von unseren Standards runter müssen, dann schadet das dem Handwerk, der Bevölkerung, der Ausbildung, den jungen Leuten, das muss man ganz klar sagen. Man kann ja auch eine Nivellierung andersherum denken, dass man etwas höhere Ansprüche stellt an gewisse Bereiche. Und das würde sicherlich uns allen guttun.
Brink: Delfino Roman, Steinmetz- und Steinbildhauermeister in Hildesheim. Schönen Dank, dass Sie mit uns gesprochen haben!
Roman: Ja, danke schön!
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