Hörschäden bei Berufsmusikern

Laut wie ein Presslufthammer

06:23 Minuten
Blechbläser eines Orchesters schützen ihre Ohren im Orchestergraben während einer Aufführung im Sydney Opera Hourse am 6. November 2006.
Die Belastung kann immens sein: Blechbläser schützen im Orchestergraben während einer Aufführung ihre Ohren. © Getty Images / Fairfax Media / The Sydney Morning Herald / Steven Siewert
Von Sven Kochale |
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Ohrenschmerzen gehören unter Konzertmusikern zum Alltag. Sie leiden unter Schwerhörigkeit oder Tinnitus. Wissenschaftler haben nun genauer untersucht, wie verbreitet Hörprobleme unter Orchestermusikern sind und wie sie mit dem Risiko umgehen.
Ein Vormittag beim MDR-Sinfonieorchester in Leipzig. Gleich beginnt die Probe in einem Saal neben dem berühmten Gewandhaus und alle wissen, es wird laut.
"Ich bin Blechbläser und wir sitzen genau vor den Schlagzeugern. Und wenn man dann in Kopfhöhe irgendwelche Becken hat oder Pauken, die dann heftig geschlagen werden. Das sind schon Spitzen, die wehtun", erzählt Uwe Gebel.
Er spielt Posaune und sitzt ganz hinten rechts, etwas erhöht. Neben ihm die Trompeten. Auch die Flöten sind nicht weit. Zusammen mit den rund 100 anderen Musikern arbeitet er an einem zeitgenössischen Stück.
Der Dirigent gibt klare Anweisungen und lässt einzelne Passagen immer wieder üben. Leise Abschnitte wechseln sich mit den lauten ab.

Leichte Taubheit nach der Probe

Für die Ohren kann das eine immense Belastung sein. Orchester erreichen mitunter den Lautstärkepegel eines Presslufthammers. Die Violinistin Monika Rietzschel jedenfalls ist froh über die kleine Pause, die das Orchester jetzt einlegt.
"Nach einer Probe wie jetzt, die ja nur ein und eine Viertelstunde ging, und weil ich auch müde bin heute, habe ich links jetzt ein bisschen Taubheit", sagt sie.
Die Musikerinnen und Musiker des MDR Sinfonieorchesters bei einer Probe
Probe beim MDR Sinfonieorchester in Leipzig: Auch wenn Ohrstöpsel inzwischen oft bereit liegen – verwendet werden sie deshalb noch lange nicht.© Deutschlandradio / Sven Kochale
Es sind solche Berichte, für die sich der Musikwissenschaftler Kai Siedenburg von der Uni Oldenburg interessiert. Seinen Angaben zufolge haben sich an der Online-Studie 350 Musiker und Sänger beteiligt. Jeder Vierte habe von Hörverlusten oder Hörproblemen berichtet.
"Was uns da besonders überrascht hat, ist, dass 25 Prozent angegeben haben, unter Tinnitus zu leiden. In der Gesamtbevölkerung sprechen wir da über zehn bis 15 Prozent. Das ist also schon eine sehr erhöhte Zahl“, erklärt er. „Auch überraschend war festzustellen, dass 50 Prozent der Befragten ihr Gehör als überempfindlich bezüglich hoher Lautstärkepegel betrachtet. Das können wir anderswo auch nicht so beobachten."

Gehörschutz und regelmäßige Hörtests

Die Orchestermusiker wissen um die Risiken und treffen Vorsorge. Dazu gehören zum Beispiel regelmäßige Hörtests beim Arzt, erklärt Blechbläser Uwe Gebel, der auch im Orchestervorstand der MDR-Musiker sitzt. Man achte aufeinander. "Ob das jetzt diese Schallschutzwände sind. Oder ob das der Gehörschutz ist. Oder wenn man ein bisschen umbaut. Dann gibt es immer Verständnis dafür“, sagt er.

Die Bereitschaft, alles für den Schutz der Musiker zu tun, die ist von allen Seiten da. Aber ich kenne auch unter Bläsern Kollegen, die nur noch mit Gehörschutz spielen können, weil sie sonst Riesenprobleme kriegen.

Uwe Gebel, Posaunist

Nur: Auch wenn Ohrstöpsel inzwischen oft bereit liegen – verwendet werden sie deshalb noch lange nicht. Das zeigt sich auch in der neuen Hörstudie von Kai Siedenburg.
"90 Prozent unserer befragten Profis wissen, dass sie zeitweise an besonders lauten Stellen Gehörschutz tragen sollten. Es machen dann aber in der Praxis nur etwa 58 Prozent“, sagt er.
Die Violinistin Monika Rietzschel zum Beispiel gehört zu jenen, die in der Regel auf den Gehörschutz verzichten. Seit 37 Jahren spiele sie jetzt in dem Orchester und habe bislang keine Probleme. Dafür lege sie viel Wert auf ein unverfälschtes Musikerlebnis.

Ich kann die Lautstärken und die filigranen Seiten des Orchesters und der Stücke nicht wahrheitsgemäß einschätzen, wenn ich einen Gehörschutz im Ohr habe. Ich habe jetzt nicht so sehr Angst davor, dass ich irgendwann mal ertaube. Ich kann verstehen, dass sich da viele Leute schützen. Aber ich habe das Gefühl, dass dann alles nur noch so dumpf ankommt.

Monika Rietzschel, Violinistin

Diesen Eindruck bestätigt die Studie. Musiker berichten darin, dass das Spielen mit Gehörschutz wie "Fahren im dichten Nebel mit hoher Geschwindigkeit" sei und den Höreindruck stark verfälscht. Um das zu vermeiden, nimmt die Violinistin Monika Rietzschel lieber in Kauf, dass es kurzzeitig mal sehr laut und auch sehr schrill werden kann.

Bestimmte Instrumente im Fokus

"Piccolo hat nun mal eine sehr hohe Frequenz. Das kann schon mal in dem Moment Zahnschmerzen verursachen. Und eine Geigengruppe aus 16 Musikern, die in vollem fortissimo loslegt, da kommt was rüber“, sagt sie.
Mit den akustischen Problemzonen der Orchester wird sich Musikwissenschaftler Kai Siedenburg jetzt intensiver auseinandersetzen. Denn seine Studienergebnisse zeigen auch, dass es bestimmte Instrumente im Orchester schwerer haben als andere.

In unseren Antworten spiegelt sich auch wieder, dass innerhalb des Orchesters schon so eine Art Ärger über laute Trompeten oder Piccoloflötenklänge besteht. Das richtet sich natürlich nicht an die Musizierenden, sondern eher an die Aufstellung der Musiker*innen. Da könnte dann darauf geachtet werden, dass in Proben mehr Abstand eingehalten wird.

Kai Siedenburg, Musikwissenschaftler

Denn letztlich entsteht ein harmonisches Klangbild nur dann, wenn alle Instrumente zur Geltung kommen und Musiker sich nicht vom Kollegen nebenan genervt fühlen.
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