Besessen vom Mond

Zu allen Zeiten haben Menschen hinauf zum Mond geschaut und sich gefragt, wie der Erdtrabant entstanden ist und welchen Einfluss er hier unten, auf der Erde, wohl haben mag. Bernd Brunner hat der Faszination des Mondes in den verschiedenen Epochen und Kulturen nachgespürt.
Johann Heinrich von Mädler war ein Besessener. 600 Nächte lang hat er den Mond durchs Teleskop studiert und das Gesehene akribisch nachgezeichnet. Das Resultat seiner Bemühungen machte ihn weltberühmt: seine Mappa Selenographica, entstanden zwischen 1830 und 1836, übertraf alle vorherigen Mondkarten an Detailgenauigkeit und setzte neue Maßstäbe. Auch für sein eigenes Leben - hatte Mädler seine Frau, eine kaum weniger "mondsüchtige" Person, doch über seine Arbeit kennen gelernt. Die beiden müssten sich allerdings, so witzelten die Zeitgenossen, in einem der raren Augenblicke begegnet sein, als der Astronom gerade mal nicht durchs Fernrohr schaute.

Mädler ist einer von vielen Protagonisten, die Bernd Brunner in seiner wunderbar detailreichen und herrlich erzählverliebten Geschichte des Mondes auftreten lässt. Dabei spürt er der menschlichen Faszination für den Erdtrabanten aus allen nur erdenklichen Perspektiven nach. Er schildert Mythen und Sagen aus (fast) allen Teilen der Welt, er lässt Philosophen des alten Griechenlands ebenso wie moderne Astrophysiker zu Wort kommen, und er stöbert in Kunst, Literatur, Musik und Film nach dem Einfluss des Mondes auf den Menschen.

Allein die Vorstellungen der Erdlinge über mögliche Mondbewohner würden ein eigenes Buch rechtfertigen. Brunner widmet ihnen gleich mehrere Kapitel und berichtet von einer kuriosen Entwicklung: Mit dem Aufkommen technischer Instrumente wie des Teleskops fantasierten die Menschen nicht mehr nur vom Leben auf dem Mond, sie sahen es auch! So erspähte etwa Franz von Paula Gruithuisen (1774-1852) unter der Mondoberfläche lebende Wesen, William Henry Pickering (1858-1938!) machte die Spuren von Mondinsekten aus und John Herschel (1738-1822) entdeckte blaue Fledermausmenschen. Das allerdings stellte sich als erste – für enormen Wirbel sorgende – Zeitungsente der Boulevardpresse heraus. Gruithuisen und Pickering hingegen waren schlichtweg ihren eigenen Ideen aufgesessen.

Tatsächlich waren es oft Wissenschaftler, die hanebüchenere Theorien aufstellten als etwa Schriftsteller sie erfanden. So erwies sich vor allem Cyrano de Bergerac als Erzähler von prophetischer Weitsicht, als er 30 Jahre vor Newtons Gesetzen eine Rakete für seinen literarischen Mondflug wählte. Seine Kollegen hatten noch wahlweise Schwäne, Federkatapulte und Heißluftballons zum Einsatz gebracht.

Es ist beeindruckend, was Brunner auf seinem inspirierenden Streifzug zutage fördert – zumal er neben kulturhistorisch Interessatem und Kuriosem auch die Naturwissenschaften nicht außer Acht lässt. Wie der Mond entstanden sein mag, ist ihm genauso Thema, wie seine geologische Zusammensetzung, seine Temperatur, sein Einfluss auf unser Klima etc.

Brunner ist ein sehr unterhaltsames und elegant komponiertes Buch gelungen. Es besticht nicht nur mit einer jedem Astronomen zu Ehre gereichenden Detailversessenheit, sondern bietet obendrein auch noch liebevoll ausgesuchte Abbildungen. Fast so schön anzuschauen, wie die berühmte Mädlersche Mondkarte.

Besprochen von Eva Hepper

Bernd Brunner: Mond. Die Geschichte einer Faszination
Antje Kunstmann Verlag, München 2011
319 Seiten 19,90 Euro


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