Ein Schlamassel ohne Sieger
Fast eine Woche dauerte die Besetzung der Volksbühne in Berlin bei der unter dem Namen VB6112 gegen die Gentrifizierungspolitik der Stadt protestiert wurde. Bis die Polizei vor der Tür stand.
Das Beste zuerst: Die befürchteten Bilder einer brutalen Räumung sind ausgeblieben. Das Ende der Besetzung verlief friedlich oder sagen wir glimpflich. Schon mittags hatte der Sprecher der Berliner Polizei den vor dem Haus wartenden Journalisten gesagt - er sei:
"Vorsichtig optimistisch, dass das Ganze hier in Kürze beendet sein wird."
Davon wussten einige der Aktivisten zu diesem Zeitpunkt offenbar noch nichts. "Nach meiner Information bleiben alle im Haus." So die Sprecherin des Kollektivs:
"Das Kollektiv 'Staub zu Glitzer' hat eine transmediale Theaterinszenierung vorbereitet, die seit Freitag 15 Uhr läuft – und wir würden gern weiterspielen an diesem Theater, deshalb sind wir hier. Was die Polizei hier macht, das weiß ich nicht, ich sehe dazu keine Veranlassung."
Angebot: Abgelehnt
Noch am Mittwoch-Abend hatte man lange verhandelt, nachdem ein Angebot von Volksbühnen-Intendant Chris Dercon, den Aktivisten den Grünen Salon und einen Pavillon für ihre Aktivitäten zu überlassen, abgelehnt worden war: der Grund, es gäbe keine Sicherheiten, wie lange diese Räume tatsächlich genutzt werden könnten. Dann fehlte dem Hausherrn offenbar weitere Geduld: In Absprache mit dem Berliner Senat rief Dercon die Polizei. Unter dem Applaus ihrer Anhänger wurden das Dutzend der im Haus verbliebenen Aktivisten kurze Zeit später aus dem Haus geführt – in der Tasche eine Strafanzeige wegen Hausfriedensbruch.
Kultursenator Klaus Lederer, bedauerte in einer Stellungnahme der Senatsverwaltung für Kultur und Europa, dass es nicht gelungen sei, in der Volksbühne künstlerische Arbeit und stadtpolitische Debatten in einem geregelten Rahmen gleichermaßen zu ermöglichen. Chris Dercon teilt mit: "Wir konnten keinen gemeinsamen Weg finden."
Dabei waren die Themen von Besetzern und Intendant Dercon gar nicht so weit voneinander entfernt: Im neuen Volksbühnenprogramm ist mit Blick auf den Grünen Salon die Rede von "kollaborativer Stückentwicklung", vom "Resonanzraum für Dringlichkeit und Spontanität", von der "Öffnung fürs Publikum", der "lokalen Szene", die sich einbringen solle – und damit "zu Schauspieler*innen werde". Die Volksbühne auch hier also ein Ort für Alle.
Zuhören und reden
Formulierungen, also, die sich so auch bei den jungen Besetzern finden ließen. Warum also wurde nicht länger geredet? Warum konnte Chris Dercon die Kreativen nicht für sich gewinnen? Kunst müsse so etwas aushalten – so die Kulturstaatsministerin Monika Grütters gegenüber Deutschlandfunk Kultur. Jürgen Kuttner – Volksbühnen-Künstler der alten Castorf-Bühne, scharfer Dercon-Kritiker und jetzt als Zuschauer der Räumung vor dem Haus, hat für die verfahrene Diskussion zwischen Theaterleitung und Besetzern zwar auch keine Lösung – aber:
"Ich hätte es ehrlich gefunden wenn er einfach gesagt hätte 'Räumen oder Drinnebleiben' – ich hab den Eindruck gehabt, die waren jetzt nicht soweit auseinander – Dercon die Besetzter – da hätten sie sich doch einigen können, oder hätten sich wenigstens noch ein wenig Zeit nehmen können – das ist doch sein Konzept: Klein machen – zuhören – reden – das hätte er doch machen können – hätte er mal ne Woche mit denen reden sollen."
Drei Monate ungenutzt
Erstaunlich in dem ganzen Schlammassel, aus dem am Ende kein Sieger hervorgeht – ist, dass Hausherr Chris Dercon schon seit Ende August von der geplanten Besetzung – oder Kunstaktion - gewusst hat. Warum also traf er keine Vorkehrungen? Dazu die Frage, warum ein Haus wie dieses drei Monate lang ungenutzt bleibt. Die ersten Premieren gibt es erst im November.
Im Twitter-Kommentar der Volksbühne am Abend heißt es:
Warum diese Proben auf der Hauptbühne stattfinden müssen – auch dazu gab es bislang keine Stellungnahmen. Kaum ein anderes Haus leistet sich diesen Luxus.
Und die studentischen Besetzer - von denen bleibt zum einen der Ruf, tolle Parties veranstaltet zu haben. Kuttner:
"Ich hab mit den Besetzern nichts zu tun – ich bin da mal rein gegangen und dachte: Ach Mensch, endlich wieder was los im Haus – ist ja irgendwie super – ich kam hier an und dachte: Oh, ne Schlange vorm Haus. Die hat Dercon nicht zu verantworten, das ist schon mal völlig klar. Und dann da drinne war das wie so ne Premierenparty in den frühen 90ern, da waren immer lauter junge Menschen im Haus – die fragten sich immer: Warst Du in der Premiere – Nö. Warst Du drinne? Nö - och nicht. Das war ne Premierenparty ohne Premiere und ohne Theater – aber war vom Geist her Volksbühne – war cool – war lässig anzuschauen. Ansonsten hab ich kein Interesse, dass hier ein soziokulturelles Zentrum draus wird – das hier war ein Hochleistungstheater gewesen."
Keinen ausschliessen
Die von den Besetzern angeregte soziokulturelle Debatte um Verdrängung, Gentrifizierung und Teilhabe wird weitergeführt. Jetzt eben woanders. Waterfeld: "Wichtig, dass wir alle miteinander sprechen – keiner ausgeschlossen wird – das ist das Credo dieses Projekts."
Aktivist Luis dazu: "Es ist wichtig, worum es geht und wir müssen der Stadt, neue Räume bieten, wo die Menschen das ausdiskutieren können, was sie hier ausdiskutiert haben. Es muß weitergehen. Das ist ein Dialog, der geht um Kultur, um Kunst, der geht um Politik, der geht um sehr sehr relevante Sachen, die den Menschen enorm wichtig sind. Und deshalb müssen wir das weiter in die Stadtgesellschaft tragen, wir müssen das weiter auf die Bühne bringen und ich glaube das passiert."
Am Abend dann friedliche Proteste der jetzt hauslosen Besetzer auf der Wiese vor der Berliner Volksbühne. Sie proben als kleine Gruppe weiter an ihrer "transmedialen Theaterinszenierung". Kultursenator Klaus Lederer schreibt: "Die Debatte um Verdrängung und zu verteidigende Freiräume wird weitergehen." Schön wäre das.