Besprechung

"Die meisten Menschen gewinnen nichts"

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Als Andrew Keen 2007 sein Buch »The Cult of the Amateur« veröffentlichte, war das Web 2.0 - das so genannte Mitmach-Web - gerade mal zwei, drei Jahre alt.
Als Andrew Keen 2007 sein Buch »The Cult of the Amateur« veröffentlichte, war das Web 2.0 - das so genannte Mitmach-Web - gerade mal zwei, drei Jahre alt. Damals stand der Brite mit seiner Warnung vor einer Verflachung unserer Kultur noch ziemlich allein da. Inzwischen hat sich das geändert, sagt Keen.
"Es hat einen tief greifenden Wandel im Zeitgeist gegeben, darin, wie die Leute über all diese Dinge denken. Als ich »The Cult of the Amateur« geschrieben habe, wurde ich als elitär, als wirklichkeitsfremd beschrieben, als altmodisch und reaktionär. Jetzt sich die öffentliche Stimmung gewandelt. Es gibt viel mehr Sympathie mit dem, was ich sage."
An seiner Pauschalkritik hält der Technikpessimist noch immer in gewohnter Schwarz-weiß-Manier fest. Beispiel: Userbeteiligung im Netz. Die sieht er nicht als eine neue Form der Teilhabe, sondern als Narzissmus, der ihm schon 2007 ein Dorn im Auge war. Unentwegt würden die Leute über sich selbst twittern, klagt Keen. Während die Künstler - Schriftsteller, Fotographen oder Musiker - noch immer Schwierigkeiten hätten, geeignete Geschäftsmodelle im Netz zu finden. Und auch sonst habe sich nichts zum Positiven verändert.
"Es gab den großen Optimismus, dass das Internet dem Nahen Osten mehr Demokratie bringen würde. Aber das ist gescheitert. Der arabische Frühling hat sich zu einem arabischen Albtraum gewandelt. Es gab die Hoffnung, dass die Occupy-Bewegung die Demokratie in Amerika verändern würde. Aber daraus sind keine politischen Veränderungen oder Institutionen hervorgegangen. Und klar ist auch, ökonomisch betrachtet, dass Google, Facebook und Twitter eine kleine Gruppe von Investoren und Unternehmern extrem reich gemacht hat. Aber dieses Geld ist nicht beim Rest von uns angekommen."
Besonders stört den Netz-Kritiker, dass der Reichtum der Internetunternehmen zu wenig bezahlte Arbeit schafft. Google etwa sei sieben Mal so wertvoll wie General Motors, biete aber nicht einmal ein Viertel der Arbeitsplätze. Fast die Hälfte aller Jobs in den USA würde wegen dieser digitalen »Hypereffizienz« bald ersatzlos verschwinden. Keen sieht als Grund für den Arbeitsplatzabbau vordergründig die Digitalisierung - ohne zu beleuchten, dass diese bereits bestehende neoliberale Tendenzen verstärkt. Beispielhaft sei auch Facebook, das die Foto-Sharing-App Instagram vor einigen Jahren für eine Milliarde Dollar gekauft hat. Damals waren dort gerade mal fünfzehn Leute beschäftigt.
"Instagram hat Kodak als das führende Fotounternehmen abgelöst, wo in seinen Hochzeiten 145.000 Menschen gearbeitet haben. Facebook hat auch WhatsApp gekauft für über zwanzig Milliarden Dollar. WhatsApp hatte gerade mal 45 Beschäftigte. Ich denke, es wird immer mehr klar, dass der digitale Boom keine Jobs schafft. Er bringt den wenigen Privilegierten Vorteile, denen, die im Casino gespielt und gewonnen haben. Aber die meisten Menschen gewinnen nichts."

Im Gegenteil. Statt der versprochenen Demokratisierung seien die Arbeitsbedingungen teilweise in frühkapitalistische Verhältnisse zurückgefallen, meint Keen mit Verweis etwa auf den Versandhändler Amazon, dem auch hier in Deutschland eine Ausbeutung seiner Mitarbeiter vorgeworfen wird. Im selben Trend stehe auch TaskRabbit - ein Arbeitsvermittler, der häppchenweise "niedere Tätigkeiten an die Unterschicht" vermittle und unter dem Deckmantel der der digitalen Revolution nur zu Lohndumping führe.
Die Chancen, die das Internet für die Arbeitswelt ja auch mit sich bringt, interessieren Keen gar nicht - weil die Gesellschaft, so meint er, weniger gewinnt, als sie verliert. Genau das will er ändern und hat sich darum ganz bewusst entschieden, sich auf eine Rolle festzulegen - die des Polemikers. Auch gegenüber der Techelite, die er teilweise für Heuchler hält. Andrew Keen.
"Ich sehe zum Beispiel Menschen wie Mark Zuckerberg kritisch, der in der Öffentlichkeit von Transparenz und Offenheit und der Bedeutung von Kommunikation redet. Aber sein Privatleben widerspricht dem komplett. Zuckerberg hat sich kürzlich ein nettes Haus in Palo Alto gekauft. Und damit er nicht in seiner Privatsphäre gestört wird, hat er noch drei Häuser drum herum erworben, sozusagen als Schutzwall nach außen. Es ist diese Art von Heuchlerei, die so beunruhigend ist."
Stattdessen, schlägt Keen vor, sollte Mark Zuckerberg einfach mal sein Haus öffnen und Menschen zu sich einladen.
Bild: Frederico Cintra Control is an Option to Command auf Flickr unter CC-BY