"Besser als gar keine Bewegung"

Lindsey Merrison im Gespräch mit Joachim Scholl |
Vor sechs Jahren gründete Lindsey Merrison in der Hauptstadt von Myanmar eine Filmschule. Ihre Schüler drehen Dokumentarfilme über soziale Themen - sie glaubt an eine Politik der kleinen Schritte, um die Situation zu verbessern.
Joachim Scholl: Ihre Mutter stammt aus Burma, sie selbst ist in London geboren und aufgewachsen, sie lebt in Berlin und arbeitet aber oft in Burma, dem heutigen Myanmar, wo sie eine Filmschule gegründet hat: Lindsey Merrison. Sie ist jetzt zu Gast bei uns im Radiofeuilleton. Einen Tag nach der ersten Parlamentswahl in Burma seit 20 Jahren – Kritiker sprechen von einem demokratischen Feigenblatt der Militärherrscher, für viele Burmesen allerdings ist diese Wahl ein Hoffnungsschimmer – für Sie auch, Frau Merrison?

Lindsey Merrison: Ja, das würde ich auch sagen. Also man darf die Dinge nicht so starr sehen. Also es sind wirklich die ersten Wahlen in 20 Jahren gewesen, und das ist besser als gar keine Bewegung. Es gab sonst nur Stasis, und es gibt vielerlei Hoffnung im Lande, dass es eine Besserung gibt, wenngleich diese Besserung natürlich ganz langsam vonstatten gehen wird. Also – aber die Menschen in Burma, die sind es gewohnt, also die sind ziemlich resigniert. Ich glaube, diese Wahl war ziemlich unbeliebt, wenn nicht sehr unbeliebt, aber für manche war das wirklich eine Chance, sich überhaupt in die Politik einmischen zu können. Eine Position, wo man gar keine Stimme hat, mit einen Mal eine Stimme zu haben, das ist doch schon etwas, auch wenn es nicht ein Level Playing Field ist. Also es ist nicht … man steht nicht Auge in Auge mit der Regierung, aber es ist eine Chance, das muss man auch ausnützen.

Scholl: Sie, Frau Merrison, waren jetzt im Sommer gerade in Burma, was haben Sie für eine Stimmung dort wahrgenommen unter den Menschen?

Merrison: Ja, wie gesagt, also die waren ziemlich resigniert. Die meisten sehen die Wahlen als eine Art Farce, also eine Art Kleidungswechsel in erster Linie. Die Militärs werden ihre Uniform ablegen und dann in Zivil erscheinen. Das haben sie zum Teil schon gemacht. Aber, ja, also wie ich arbeite, ich bin nicht in der Politik tätig, ich bin Filmemacherin, wir machen eine Filmschule, und wir legen … unsere Arbeit ist ganz deutlich in kulturellem Bereich. Also wir sind Künstler, und als Künstler sind wir natürlich sehr interessiert, vor allen Dingen Dokumentarfilmmacher sind sehr interessiert an den Menschen, wie sie leben. Für uns ist es wichtig, einfach das normale Leben von normalen Burmesen zu reflektieren und zu porträtieren.

Scholl: Vor sechs Jahren haben Sie diese Filmschule in der Hauptstadt Yangon, dem früheren Rangoon gegründet. Wie kam es dazu, hat man Ihnen das einfach so gestattet?

Merrison: Es war eigentlich organisch dazu gekommen. Ich habe in Burma selber Filme gemacht, einen Film über meine eigene Familie, einen Film über den Kult der Nath, das sind Geister, gemacht. Und als ich den zweiten Film gedreht habe, sind mehrere junge Menschen auf mich zugekommen und haben gefragt, wie geht das, was wir da machen, und die waren sehr interessiert an Film. Und ich habe gedacht, es lohnt sich nicht so, ich mache keine halben Sachen, ich würde gerne zurückkommen und einen richtigen Workshop machen. Und das habe ich denn mit Ach und Krach geschafft, das war natürlich nicht einfach, die Geldgeber zu überreden, einen Dokumentarfilm-Workshop in Burma zu machen.

Die haben gesagt, lassen Sie es gut sein, das wird überhaupt nicht klappen. Aber sechs Jahre später sind wir immer noch zugange, und ich glaube, es ist nicht eine Frage von, wie haben Sie das geschafft, weil ich sehe das immer als ein … jedes Mal ist Neuland für mich, wenn wir das machen. Also wir müssen glücklich sein, dass wir das jedes Mal machen dürfen, und jedes Mal versuchen wir, die Grenzen ein bisschen zu pushen. Und ich sitze nie auf den Lorbeeren, für mich ist es immer eine Herausforderung und wir sind immer wieder überrascht, was wir da machen können.

Scholl: Wer studiert in Ihrer Schule, was sind das für Studenten und mit welchen Zielen kommen sie zu Ihnen?

Merrison: Die Studenten sind aus allen Ebenen und Ethnien Myanmars. Es ist ganz wichtig für uns, dass wir nicht nur die Menschen in Yangon bedienen mit unseren Ausbildungsplätzen. Sie stammen aus ethnischen Minderheiten im Chin-Staat, im Kachin-Staat, es ist eine Rakhaing-Frau dabei. Die sind Künstler, die sind selber Filmemacher – es gab und gibt auch eine Filmindustrie in Burma. Das sind Menschen, die im Radio arbeiten oder in verschiedenen NGOs, also Nichtregierungsorganisationen. Es ist ganz bunt und ganz breit. Aber die sind meistens, also unsere Demografik ist meistens zwischen 25 und 35 Jahre alt. Die Parität zwischen den Geschlechtern ist sehr wichtig.

Scholl: Ist ein Wandel in Burma möglich? Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit Lindsey Merrison. Sie hat eine Filmschule in der Hauptstadt Yangon gegründet. Wir haben natürlich hier die Vorstellung, Frau Merrison, dass ein autokratisches System wie Burma keine künstlerische Freiheit zulässt, wie wir sie verstehen und immer fordern würden – wie steht es damit? Sie sagten schon vorhin so in einem Nebensatz, Sie sind überrascht, wie viel Sie eigentlich machen können.

Merrison: Ja, man muss natürlich vorsichtig sein. Ich denke, dass wir niemals auf die Barrikaden gehen. Die Themen, die wir uns aussuchen, sind Allerweltsthemen – das sind Frauen in Myanmar, Kinder in Myanmar. Natürlich gibt es auch Themen, mit denen wir uns auch beschäftigen so wie Kinderarbeit, aber das sind nicht Sachen, die wir an die große Glocke hängen. Und es kommt darauf an nicht nur, was man macht, sondern das Wie in Burma. Man muss natürlich softly, softly … Also ich glaube eigentlich an die Politik der kleinen Schritte, Willy Brandt ist für mich ein ganz großer Held. Also ich glaube, das, was wir machen, ist in sozialem Bereich sehr wichtig.

Also das gibt den Studenten die Möglichkeit, sich doch auszudrücken, sich miteinander auszudrücken, daran teilzunehmen, also es geht um einen Dialog – also nicht nur zwischen den internationalen Tutoren und den Studenten, sondern die Studenten untereinander. Es gibt … Das Problem mit einer autokratischen Regierung ist, dass es eine autokratische Kultur unter sich entwickeln lässt, und wir versuchen, dass die Studenten unter sich also mehr Kritik aneinander ausüben, natürlich nicht Gehässigkeiten, aber dass die wissen, was ist eine Filmanalyse, was ist ein guter Film, dass sie einen guten Film erkennen und dass sie behutsam an ihrem eigenen Volk diese Annäherung vornehmen. Und das kann eigentlich nur Dokumentarfilm.

Scholl: Seit sechs Jahren betreiben Sie die Schule – was würden Sie sagen, wie hat sich diese Arbeit entwickelt, vielleicht auch, ja, verändert durch den gesellschaftlichen Prozess?

Merrison: Also für mich ist es sehr schwierig, die gesamte Gesellschaft zu sehen, weil ich sehe nur einen ganz kleinen Teil. Wahrscheinlich ist es auch, ja, ich will nicht sagen privilegiert, aber das sind Großstädte, mit denen wir meistens zu tun haben. Obwohl wie gesagt, wir versuchen aus den ethnischen Minderheiten aus den ländlichen Gebieten auch Studenten ranzuholen. Aber ich denke, dass unsere Studenten haben über die Zeit sehr viel mehr an Selbstsicherheit gewonnen, und die haben auch das Werkzeug von uns bekommen, wie sie sich filmisch mit ihrem Land auseinandersetzen können und wie sie eigentlich den Menschen helfen, indem sie zum Beispiel Filme in der Entwicklungsarbeit sich hineinfügen und Filme über verschiedene Entwicklungsprojekte zeigen, die wirklich etwas bewegen können.

Zum Beispiel: Wir haben einen Film über eine Wasserpumpe, das hat geradezu eine Revolution für die Bauern in den trockenen Gebieten Myanmars … das hat dazu, also diesen Ankauf von, weil das wird ja nicht geliehen oder gegeben, die Bauern, die kaufen dieses Gerät an, und die haben, seitdem wir unseren Film darüber produziert haben und sie sehen, wie erfolgreich das Gerät ist, haben über 80.000 Bauern das Gerät jetzt gekauft. Und dadurch gehen sie von einem feudalistischen System in etwas, was wirklich machbar ist. Also zwei Stunden am Tag dann nur über dieses Stepper-Gerät können sie ihre Reisfelder dann bewässern, und früher waren das acht Stunden am Tag schwerster Arbeit. Also das ist ein ganz, also für mich ein brisantes Beispiel, dass Film wirklich was bewegen kann und das Leben für einfache Menschen auch ändern kann.

Aber es gibt auch andere Gebiete, also Gesundheit zum Beispiel. Wir haben Filme über die psychosoziale Auswirkung von Aids-Kranken in Burma gemacht, und diese Filme sind sehr wichtig, dass die Menschen nicht isoliert werden. Und ich würde sagen, dass unsere Arbeit überhaupt wichtig ist, weil wir versuchen, Burma vor dieser Abschottung zu retten. Und das ist für mich ganz wichtig.

Scholl: Übermorgen, am Mittwoch, wird die Heinrich-Böll-Stiftung hier in Berlin eine Tagung zur Situation in Burma abhalten, auch gerade unter dem Aspekt einer neuen Entwicklung hin zu mehr Freiheit. Sie, Lindsey Merrison, werden auch auftreten. Wie wird eigentlich dieses Auslandsengagement, das ja viele Organisationen und viele engagierte Menschen außerhalb von Myanmar, außerhalb von Burma für das Land machen, wie wird das eigentlich im Land wahrgenommen? Wirkt das ins Land hinein oder ist es nicht auch ein wenig vielleicht auch gefährlich für gerade die Akteure?

Merrison: Also jede Nichtregierungsorganisation, die im Lande arbeitet, die müssen alle ihre Freiräume selbst erschaffen, genau wie die Menschen in Burma. Der Fehler des Westens ist, das immer so polarisiert zu sehen, also dass auf einer Seite diese dämonisierte, verhasste Regierung ist und auf der anderen Seite sind die Guten, die nur für Demokratie kämpfen, und das wird sakralisiert. Und es gibt überhaupt nichts dazwischen. Und es gibt aber sehr wohl sehr viel dazwischen.

Jeder Mensch in Burma muss jeden Tag seinen Freiraum erkämpfen, und das machen sie manchmal mit großem Erfolg, also auch die Künstler, auch die Geschäftsleute. Und wenn das alles zusammenwirken würde, also leider in Burma ist die Tendenz, diese Spaltung ist sehr verbreitet, und das Problem ist, es muss mehr zusammen, miteinander gearbeitet werden. Und wir versuchen durch unsere Arbeit – und sicherlich die anderen NGOs – mehr Solidarität einfach zu unterstützen und mehr, ja, Exchange und Teilnahme. Und ja, ich glaube, dadurch kann man was wirklich bewirken.

Scholl: Alles Gute für Ihre Arbeit, Lindsey Merrison, die Gründerin der Yangon Film School in Burma war bei uns zu Gast. Herzlichen Dank für Ihren Besuch!

Merrison: Bitte, gern!

Informationen zu dem Film "Our Burmese Days" von Lindsey Merrison
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