Korruptes Deutschland?
Bei der Korruptionsbekämpfung gibt es hierzulande noch viel zu tun, sagt Christian Humborg. Bei den Nebeneinkünften von Mandatsträgern gebe es zu wenig Transparenz, die Karenzzeiten beim Wechsel aus der Politik in die Wirtschaft seien nicht geregelt und noch immer fehle ein Lobbyisten-Register, kritisierte der Geschäftsführer von Transparency International Deutschland.
Deutschlandradio Kultur: Zu Gast in dieser Ausgabe von Tacheles ist Christian Humborg, der Geschäftsführer der Antikorruptionsorganisation Transparency International Deutschland. Ich begrüße Sie, Herr Homburg.
Reden wir also über Korruption. Ich falle mal gleich sozusagen mit der Tür ins Haus: Herr Humborg, wie korrupt ist Deutschland?
Christian Humborg: Da kann man so eine Glas-halb-voll- oder Glas-halb-leer-Perspektive einnehmen. Auf der einen Seite, wenn wir uns viele andere Länder in der Welt angucken, dann können wir sicher froh sein, dass wir hier leben und nicht dort, was Korruption angeht. Auf der anderen Seite, wenn man so erlebt, was alles hier schief läuft, dann gibt's noch viel zu tun. Und weltweit ist Deutschland in der Rangliste, die wir machen, zwar relativ weit oben, also gilt als nicht so korrupt, aber es gibt halt noch elf Länder, die noch besser sind. Und da muss man natürlich den Anspruch haben, da hinzukommen.
Deutschlandradio Kultur: Sie sagten es, dieser Korruptionsindex wird einmal im Jahr von Transparency International veröffentlicht, und Dritte-Welt-Länder wie der Sudan und totalitäre Staaten wie Nordkorea sind ganz hinten auf den letzten Plätzen. Und in den Top 10 dominieren die skandinavischen Länder und, ich glaube, auch Neuseeland. - Was machen denn beispielsweise Dänemark, Norwegen und Co. besser als Deutschland?
Christian Humborg: Die Methode des Index ermöglicht nicht, dass man direkt bestimmte Variablen isoliert und sagt, das eine hier ist besser oder das andere ist besser. Wir vermuten, dass es mit einer etwas anderen Kultur der Informationsfreiheit zu tun hat, einer Kultur der Offenheit.
Skandinavische Länder kennen viel länger Informationsfreiheitsgesetze als Deutschland. Diese Geschlossenheit von Verwaltung, dieses Amtsgeheimnis, das ist doch eher eine deutsche Tradition. Und das ist etwas, wo wir vermuten, dass das dazu führt, dass Deutschland da noch Nachholbedarf hat.
Deutschlandradio Kultur: Schauen wir mal etwas genauer hin, zunächst im Bereich der Politik. Am 1. September, also in gut einer Woche, tritt das novellierte Gesetz zur Abgeordnetenbestechung in Deutschland in Kraft. Das betrifft dann Bundestagsabgeordnete und in den Länderparlamenten die Parlamentarier. - Wie beurteilen Sie diese Gesetzesnovelle? Ist das ein Meilenstein oder doch eher ein Trippelschritt?
"Das hat Deutschland jetzt zehn Jahre lang verschlampt"
Christian Humborg: Ein Meilenstein ist es nur insofern, als dass es ermöglicht, dass Deutschland endlich die international wichtige Konvention der Vereinten Nationen gegen Korruption ratifizieren kann. Deswegen ist es ein Meilenstein, weil, das ist überfällig. Das hat Deutschland jetzt zehn Jahre lang verschlampt.
In der Materie selbst gibt es doch große Skepsis, ob diese Verschärfung scharf genug ist, hinreichend genug ist. Wir glauben, wir müssen jetzt erstmal abwarten. Wir müssen sehen, was passiert, ob es Ermittlungsverfahren geben wird und wie dann die Gerichte entscheiden. Und wenn man dann feststellt, dass man die Schrauben da doch noch nicht fest genug gedreht hat, dann wird man weiter drehen müssen.
Deutschlandradio Kultur: Ich habe mir das Stichwort aufgeschrieben: "Bestechung und Bestechlichkeit bei Abgeordneten wird künftig mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft". Das ist heftig.
Christian Humborg: Gut, man darf, glaube ich, nicht nur schauen, wie hart es bestraft wird, sondern man muss vor allen Dingen auch schauen, wie leicht es sein wird, dass Dinge, wo man sagt, na, das ist doch Bestechung, dass das die Staatsanwaltschaften dann auch nachweisen können. Also, wie hoch sind hier die Hürden? Da gibt es doch viele Fallstricke, die die Abgeordneten selbst eingebaut haben, um es noch ein bisschen schwieriger zu machen, damit es also noch komplizierter ist nachzuweisen. Also, schon mal alles, was den Verhaltensregeln des Bundestages entspricht, ist in Ordnung. Und dann hat man da eine Formulierung reingeschrieben: Im Auftrag oder Weisung muss man das machen. Also, wenn man nicht einen Auftrag oder eine Weisung nachweisen kann, dann soll der Abgeordnete auch straffrei ausgehen können. Also, das wird spannend, wie sich das jetzt entwickeln wird ab 1. September.
Deutschlandradio Kultur: Sie sprachen eben schon die UN-Konvention gegen Korruption an. Die gibt es seit elf Jahren. Und Deutschland hat die bislang nicht ratifiziert. Jetzt wird der Weg frei, Sie sagten es. - Warum haben die deutschen Politiker so lange gezögert? Ist es wirklich so platt, dass die keine Lust hatten, sich auf die Finger gucken zu lassen?
Christian Humborg: Ich glaube, ja. Ich glaube, es ist wirklich so platt, dass genau das Gesetz, was sie selbst betrifft, wo sie Regeln verschärften mussten, unter die sie selbst fallen, dass genau diese Regeln sie nicht verschärfen wollen. Das war der wesentliche Grund.
Da gab's auch verschiedene Regierungen, die sich daran abgearbeitet haben. Erst hat das Grün-Rot nicht hingekriegt. Dann hat es Schwarz-Gelb nicht hingekriegt. Und jetzt am Ende ist es endlich soweit. Und da hat man das in einem Hauruck gleich am Anfang der Legislaturperiode gemacht, vielleicht auch gemancht, weil Angela Merkel, wenn sie dann nächstes Jahr zum G7-Gipfel in Deutschland einlädt, dann auch endlich nicht mehr noch diesen Flecken auf der Weste haben will, dass Deutschland ein sehr wichtiges Übereinkommen nicht ratifiziert hat.
Wo fängt Korruption an?
Deutschlandradio Kultur: Nun gibt's ja Korruptionen im Kleinen wie im Großen. Wenn ich jetzt als Journalist ein Unternehmensporträt mache und die Pressestelle lädt mich vorher zum Essen ein, ist das dann schon Korruption, wenn ich sage, ja gut, leckeres Essen nehme ich gerne?
Christian Humborg: Also, es ist schwierig, allgemein da klare Regeln für alle zu machen. Ich glaube, es hängt immer sehr viel von den Umständen ab. Aber wenn wir das Beispiel nehmen, das Sie gerade beschreiben, dann wäre für mich dann erstmal die Rückfrage: Na ja, ist das ein schickes Restaurant mit vier Sternen und gibt's dann drei Gänge?
Deutschlandradio Kultur: Oder die Betriebskantine?
Christian Humborg: Oder ist es die Betriebskantine? Und wenn es die Betriebskantine ist, dann würde ich sagen, na, ich glaub, dann ist das in Ordnung. Aber wenn es ein richtig schickes Restaurant ist, dann würde ich sagen, dann lassen Sie die Finger davon. Aber was man ja immer machen kann, gerade auch Journalistinnen und Journalisten, ist, dass man es offen legt und transparent macht.
Also, das empfehlen wir seit langem, wenn man eine Reiseberichterstattung macht und man wird eingeladen in bestimmte Ressorts und schreibt darüber, dann soll man auch unter den Artikel schreiben, "ich wurde hier eingeladen". Oder wenn man Finanzberichterstattung macht im Fernsehen und man wird eingeladen, auf Betriebsversammlungen gegen Entgelt solche Betriebsversammlungen oder Zusammenkünfte zu moderieren, dann kann unten im Fernsehen so ein Band durchlaufen: "Ich habe im vergangenen Jahr von folgenden Unternehmen Honorare über 1.000 Euro entgegen genommen". Ich glaube, dann würden sich auch die Verantwortlichen in den Sendern immer fragen: Ist das noch in Ordnung oder ist das uns ein bisschen unangenehm, wenn da unten so ein Band laufen würde? Und das zeigt, dass es vielleicht doch ein Problem ist.
Deutschlandradio Kultur: Ich musste in der Vorbereitung ein bisschen lächeln. Vielleicht finden Sie das naiv, dass ich gelächelt habe, als ich nämlich las, dass Transparency kürzlich gefordert hat, Abgeordnete sollten künftig alle Einladungen ablehnen, die mehr als 150 Euro wert sind, also zum Beispiel auch Luxus-Dinner mit Champagner und Kaviar. - Ist jemand bestechlich, der brutto 100.000 im Jahr verdient und sich für 150 Euro zum Essen einladen lässt? Geht das da schon los?
Christian Humborg: Ja gut, es gibt Leute, die in beide Richtungen lachen. Es gibt noch Leute, die sagen: Was, 150 Euro, da lachen wir drüber, das Transparency so eine hohe Grenze will. Die Grenze sollte bei 30 oder bei 50 Euro sein. Also gerade bei dieser Debatte um Wertgrenzen erleben wir, dass das oft sehr zugespitzte Debatten sind, wo die einen sich auf die eine Seite stellen und die anderen auf die andere.
Ich glaube, es geht ja auch nicht nur darum, dass man alleine prüft, ist dadurch konkret eine Bestechungshandlung damit verbunden, sondern es sind zwei Aspekte, die, glaube ich, wichtig sind. Das eine ist: Wird man einer Vorbildfunktion gerecht, die man auch hat auch für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter? Also, wie will man vermitteln, wenn der Chef sagt, ich lass mich einladen, aber ihr dürft euch nicht einlassen, weil, für euch wird das relativ mehr und dann ist es nicht mehr in Ordnung? Da, finde ich, braucht man eine klare Linie. Und wenn man da Führungsverantwortung hat, muss man auch eine klare Linie durchziehen.
Und das Zweite ist, dass es ja oft mehr so ein Netzwerk, Geflecht ist an Gefälligkeiten, wo man natürlich nicht durch die Einladung bestochen wird, aber wo man doch durch eine angenehme Umgebung bestimmten Dingen dann offener vielleicht gegenübersteht als anderen. Und da geht es darum, auch hier einen Riegel vorzuschieben.
Deutschlandradio Kultur: Es gibt ein weiteres spannendes Thema, an dem Transparency immer dran ist, nicht nur Transparency, aber eben auch und gerade - das Thema Transparenz bei Politikereinkünften. Da gibt's beispielsweise den CSU-Bundestagsabgeordneten Peter Gauweiler, der allein im vergangenen Jahr als Rechtsanwalt über eine Million Euro verdient hat. Und da stellt sich unter anderem die Frage, inwieweit der Bayer da noch seiner natürlich auch bezahlten Tätigkeit als Volksvertreter nachgehen kann. - Wie sieht man diese Problematik bei Transparency?
Christian Humborg: Zunächst mal ist es wichtig, dass wir überhaupt erstmal genau wissen, wie die Nebeneinkünfte sind. Die Zahl, die Sie genannt haben, eine Million, das ist ja ein Mindestbetrag. Wahrscheinlich sind die Einkünfte ja viel höher, weil man aufgrund dieser Stufenregelung immer nur die Mindestbeträge annehmen kann.
Offenlegung auf Heller und Pfennig
Deutschlandradio Kultur: Zehn Stufen und die oberste geht, glaube ich, ab 250.000 Euro los. Aber die kann dann auch 1,5 Millionen sein.
Christian Humborg:Genau. Und da man das nicht genau weiß, sind die Werte, die dann genannt werden - andere Bekannte waren Walter Riester oder Guido Westerwelle oder Peer Steinbrück, das waren alles welche, die sehr viel Geld kassiert haben -, aber man wusste nie, wie viel es wirklich war, sondern nur die untere Grenze. Das heißt, hier brauchen wir erstmal eine Offenlegung auf Heller und Pfennig.
Deutschlandradio Kultur: Wenn Sie sagen - und ich würde mich dieser Meinung anschließen -, dass man sicherlich auch nicht völlig unabhängig ist, wenn man so viel Geld noch anderswo verdient. Dann kann es ja immer Interessenkonflikte geben. Im konkreten Fall Gauweiler gab's den möglicherweise auch. Aber ich will auch mal die andere Seite zu Wort kommen lassen - Peter Gauweiler spricht sicherlich für viele seiner Kollegen, wenn er sagt: "Eine erfolgreiche Berufstätigkeit eines Abgeordneten ist Voraussetzung für die Unabhängigkeit der Mandatsausübung."
Was entgegnen Sie dieser Argumentation? Es hat ja was. Wenn ich aus dem Bundestag ausscheide eines Tages, weil ich nicht wiedergewählt werde, und in meinem eigentlichen Brotberuf fasse ich nicht wieder Fuß, dann bin ich draußen. Und möglicherweise beeinflusst das ja auch vorher meine Abgeordnetentätigkeit, dass ich mich so verhalte, dass ich dann eben sozusagen genug Geld auf der Seite habe oder eine Zukunft im Beruf.
Christian Humborg: Zunächst müssen wir uns hier mal anschauen, wie kam das überhaupt mit den Diäten und mit der Unabhängigkeit. Vor mehr als hundert Jahren war es so, da gab's überhaupt gar kein Geld, wenn man im Parlament war. Und dann waren es nur die Unternehmer, die im Parlament saßen. Da waren es beispielsweise gerade die Sozialdemokraten, die es sich nicht finanziell erlauben konnten. Und dann hat man Diäten eingeführt mit genau dieser Begründung, um die Unabhängigkeit der Abgeordneten zu sichern. Deswegen finde ich es erstmal komisch, wenn man genau dieses Unabhängigkeitsargument dann rumdreht.
Natürlich ist es so, dass man dann auch weiter im Auge behalten muss, wie man ins Berufsleben zurückkehrt. Bloß, zwei Dinge sind doch klar. Erstens, ich glaube nicht, dass man in dem Ausmaß als Rechtsanwalt tätig sein muss, um sich seinen Job als Rechtsanwalt noch warm zu halten. Ich bin, davon abgesehen, auch gar nicht sicher, in welchem Lebensalter sich Herr Gauweiler befindet, also, ob es da noch Notwendigkeiten gibt, am Ende der Legislaturperiode aus finanziellen Gründen nochmal zurückzukehren.
Deutschlandradio Kultur: Es gilt für Gauweiler sicherlich nicht. Der ist alt genug und hat genug Geld verdient. Aber es gibt auch andere Abgeordnete, die vielleicht 200.000 Euro für Nebentätigkeiten haben und erst Mitte 40 sind. Da stellt sich die Frage.
Christian Humborg: Genau. Das ist der zweite Punkt, der, glaub ich, wichtig ist, dass wir es zunehmend erleben, dass es bei Abgeordneten da noch ein Anspruchsdenken gibt; das Denken, nach vier oder acht Jahren bin ich eine so wichtige Person geworden, dass sie es sich selbst kaum vorstellen können, in ihren Beruf als Oberstudienrat oder als Beamter im gehobenen Dienst zurückzukehren, sondern für sich in Anspruch nehmen, dass sie dann auch einen Job haben, der bedeutend wichtiger ist als das, was sie vor ihrer Mandatstätigkeit haben.
Also, ich finde, auch diesen Aspekt muss man doch im Auge behalten, dass, wenn sie reklamieren, wir wollen zurück in unseren Beruf, ja dann wollen wir doch mal gucken, wer denn überhaupt dann immer wieder so in den Beruf zurückgeht, und wer nicht als Lobbyist irgendwo anheuert, damit er in Berlin bleiben kann und viel Geld verdienen kann.
"Wir brauchen endlich eine Karenzzeit"
Deutschlandradio Kultur: Herr Humborg, ein weiteres wichtiges Thema, nicht nur für Transparency, sind die Wechsel von Spitzenpolitikern in die Wirtschaft. Nur zwei aktuelle Beispiele, Sie kennen die natürlich: Ex-Bundesminister Niebel von der FDP geht demnächst als Lobbyist in die Rüstungsindustrie. Ex-Kanzleramtsminister Pofalla von der CDU verdient sein Geld künftig in einem Top-Job bei der Deutschen Bahn. Die so genannten Karenzzeiten beim Übergang von der Politik in die Wirtschaft sind nicht geregelt. Auch die amtierende Bundesregierung hat da bislang nichts unternommen. - Was empfehlen Sie? Wie sollte man mit diesem Thema umgehen? Beispielsweise eine Karenzzeit von 18 Monaten, wie das, glaube ich, die SPD vorgeschlagen hat?
Christian Humborg: Also, wir brauchen endlich eine solche Karenzzeit. Eine solche Karenzzeit gibt es auch schon für alle Beamten in Deutschland, aber es gibt sie eben nicht für die Minister und für die Parlamentarischen Staatssekretäre. Das ist der einzige Teil, der nicht dieser Regelung unterworfen ist. Deswegen sagen wir: Hier sollte man die gleichen Regeln haben wie für alle Beamten in diesem Land. Was man durchaus überlegen kann, ist, dass man vielleicht die Fristen etwas kürzer setzt. Bei den Beamten sind es fünf Jahre. Wir sprechen uns für drei Jahre aus. Das finde ich aber die weniger wesentliche Frage, ob es jetzt drei oder zwei Jahre sind oder 18 Monate, wie Sie sagen.
Wichtig ist, dass wir vernünftige Regeln haben, die endlich eingeführt werden und dann auch konsequent umgesetzt werden und vor allen Dingen auch, dass dieser Abstand gerechnet wird von dem Ausscheiden aus dem Amt und der Unterschrift unter dem Arbeitsvertrag. Es gibt gerade so eine neue Tendenz, dass man sagt, ...
Deutschlandradio Kultur: ... siehe Pofalla, siehe Niebel ...
Christian Humborg: ... genau. Man scheidet so aus, man unterschreibt, und dann sagt man, ich fange in einem Jahr erst an. Aber dann hat ja die vermutete Gegenleistung, die ja eben zu diesem Interessenkonflikt führen könnte, ja schon sehr zeitnah nach dem Ausscheiden stattgefunden. Und das ist ja eigentlich genau das, was man verhindern will. Insofern wird es spannend sein, wenn jetzt das Innenministerium - die sind damit ja beauftragt, da einen Entwurf vorzulegen -, wenn De Maiziere dann einen Entwurf vorlegt oder der Bundestag, reinzuschauen, wie diese Zeitspanne definiert sein wird.
Deutschlandradio Kultur: Und wir wollen, das nochmal zur Verklarung, Herrn Niebel nichts unterstellen, aber wer Mitglied des Bundessicherheitsrates und damit an der Genehmigung oder eben Nichtgenehmigung für die Rüstungsexporte beteiligt war, auch für seine künftigen Arbeitgeber Rheinmetall ...
Christian Humborg: Wenn ich das noch ergänzen darf, das ist ganz wichtig. Also, wir sind überhaupt nicht dafür, dass man grundsätzlich diese Wechsel verbietet, keinesfalls. Es geht darum, dass sie nur dann nicht möglich sind, wenn es einen ganz klaren Sachzusammenhang zwischen im Amt getroffenen Entscheidungen gibt und der zukünftigen Tätigkeit. Und das ist, glaube ich, bei Niebel und bei Pofalla auch auf der Hand liegend und absolut der Fall.
Deutschlandradio Kultur: Herr Humborg, seit Jahren fordert Transparency, ich meine, es ist seit Jahren, ein Lobbyistenregister. Wir wissen, es gibt Tausende von Lobbyisten, die in Berlin in der Nähe des Reichstags sind und Einfluss nehmen auf Dinge, was per se zunächst einmal nicht schlecht ist, nur es muss kontrolliert werden. Dieses Lobbyistenregister, warum kommt das nicht zustande? Und wenn es zustande käme, was würde es bewirken?
Christian Humborg: Ja gut, warum es nicht kommt, müsste man natürlich die Regierung fragen, weil die es ja nicht umsetzt ...
Deutschlandradio Kultur: ... aber man ahnt es ...
Christian Humborg: Ja, ich bin da eigentlich auch immer ein stückweit verblüfft, dass das nicht umgesetzt wird, weil wir immer wieder diese Debatten um Lobbyismus haben. Und dann bekommen die Politiker oft einen drauf, aber die Lobbyisten kommen da eigentlich immer gut weg in dieser Debatte. Also, insofern ist es eigentlich auch im Interesse der Politik selbst, dass sie auf der anderen Seite - also die, die Zuwendung gibt, die Dinge anbietet -, dass sie auch die Seite besser reguliert.
Stattdessen diskutieren wir fast nur über die Regulierung auf Seiten der Politik. Wir glauben halt, auf beiden Seiten sollte reguliert werden. Und dieses Lobbyistenregister hätte im Wesentlichen zwei Funktionen. Erstens würde es ermöglichen, dass man sieht, wer sind eigentlich diese Personen, die Einfluss nehmen. Wie viel Geld steht denen zur Verfügung? Gibt es da Querverbindungen zu anderen Organisationen? Und die zweite Funktion, die dieses Register hat, ist, dass es mit einem Verhaltenskodex gekoppelt sein muss, damit Fehlverhalten, Verstöße gegen einen solchen Fall eines Kodex dann auch sanktioniert werden könnten.
Mehr Schutz für Informanten
Deutschlandradio Kultur: Andres spannendes Thema: Whistleblower. Vordergründiger Anlass ist natürlich der Fall Edward Snowden. Seitdem reden wir alle von Whistleblowern. Und Ihre Organisation fordert schon seit längerem einen besseren Schutz für diesen Personenkreis. - Wie geschützt oder ungeschützt sind denn hierzulande Insider in Wirtschaft und Politik, die mit ihrem Wissen über dunkle Machenschaften an die Öffentlichkeit gehen? Und wie sollte ein Schutz aussehen, der Ihnen vorschwebt?
Christian Humborg: Transparency hat vor einigen Jahren mal eine Studie gemacht, wie der Schutz von Hinweisgebern in den Ländern der Europäischen Union im Vergleich aussieht. Da hat Deutschland nicht gut abgeschnitten und daran hat sich eigentlich seitdem auch nichts geändert.
Wir haben nach wie vor die Situation, dass Angestellte im Privatsektor als auch Angestellte im öffentlichen Sektor quasi keinen Schutz genießen. Einzige Ausnahme sind die Beamten. Hier gibt es bei bestimmten Straftatbeständen die Möglichkeit, auch nicht den Dienstweg einzuhalten. Aber das ist sehr reduziert und auch mit vielen "Wenns" verbunden. Insofern ist hier dringend Handlungsbedarf notwendig. Deutschland hat sich auch schon auf einem G8-Gipfel, damals hießen die noch G8-Gipfel, dazu verpflichtet. Da ist nichts passiert. Und jetzt liegt es auf dem Tisch von Bundesministerin Nahles, die als Arbeitsministerin für dieses Thema in der Bundesregierung zuständig ist und die jetzt sehen muss, wie sie damit umgeht. Sie hat einen Prüfauftrag, so ist es im Koalitionsvertrag festgehalten. Und da sind wir eigentlich ganz gespannt und neugierig zu sehen, was daraus wird.
Deutschlandradio Kultur: Aber noch ist gar nichts passiert?
Christian Humborg: Bisher ist noch nichts passiert. Es gibt natürlich auch viele, die Vorbehalte haben. Gerade der Arbeitgeber hat immer die Sorge, dass dann Arbeitnehmer, die möglicherweise nicht zufrieden sind, ihr Fehlverhalten nach außen tragen an Medien, an Staatsanwaltschaften. Aber das Prinzip muss natürlich eigentlich sein, dass die Einhaltung des Rechtes hier wichtiger ist als die Loyalität in einem Unternehmen. Es geht ja auch nicht darum, dass - wenn eine kleine Verletzung von Recht irgendwo stattfindet - das geschützt werden muss, sondern wir reden über massive Gesetzesverstöße in Unternehmen, Behörden oder anderen Organisationen.
Deutschlandradio Kultur: Lassen Sie uns einen Blick werfen auf Korruption in der Wirtschaft jenseits der Politik oder jedenfalls teilweise jenseits der Politik, etwa bei der Vergabe staatlicher Aufträge. Die Kaukasus-Republik Georgien nimmt seit drei Jahren alle Beschaffungen durch öffentliche Stellen elektronisch vor. Im entsprechenden Internetportal herrscht, so war zumindest zu lesen, "totale Transparenz". - Wäre das ein gangbarer Weg auch für Deutschland?
Christian Humborg: Ja. Es ist auch nicht so, als ob da noch nichts passiert wäre. Viele Vergabeentscheidungen sind langsam schon ins Netz gewandert.
Deutschlandradio Kultur: In Hamburg kommt das Hamburger Transparenzregister ab Oktober.
Christian Humborg: Ja. Das ist sicher auch ein Aspekt des Hamburger Transparenzgesetzes, aber es gibt immer noch sehr viele Vergabeentscheidungen, die nicht im Netz sind. Und vor allen Dingen, das ist die noch entscheidendere Frage, wenn ich es elektronisch mache, welche Informationen kommen da rein. Und das ist dann eher meistens der Knackpunkt.
Wir sagen: Der Auftragnehmer, der den Auftrag bekommen hat, soll auch dann im Netz aufgeführt werden und auch die Auftragssumme. Wenn die Öffentliche Hand hier Steuergelder ausgibt, dann muss das auch klar werden, weil doch die Erfahrung zeigt, dass die Wettbewerber, die auch gern diesen Auftrag hätten, das sind meistens die viel besseren Aufpasser als die Bürokratie. Weil, wenn die sehen, dass hier immer wieder der Gleiche den Auftrag kriegt zu von außen kaum nachvollziehbaren Summen, dann ist das oft vernünftiger als komplexe bürokratische Verfahren, um das dreimal abstrakt zu prüfen.
Siemens-Skandal - ein Weckruf für die deutsche Wirtschaft
Deutschlandradio Kultur: Seit Jahren gibt es in Deutschland für Unternehmen umfängliche Programme zu Corporate Governance und auch vorbildliche Compliance-Strukturen. - Wie sauber ist die deutsche Wirtschaft im internationalen Vergleich?
Christian Humborg: Der Siemens-Skandal 2006 war doch ein Weckruf für die deutsche Wirtschaft. Und ich glaube, man muss schon anerkennen, dass sich viel seitdem getan hat. Wir analysieren jedes Jahr die Bemühungen der großen Exportnationen weltweit, wie sehr sie Bestechung im Ausland strafverfolgen. Und hier schneidet Deutschland in den letzten Jahren zusammen mit Norwegen, der Schweiz und den USA in der Top-Gruppe ab. Insofern, glaube ich, kann man im Vergleich zunächst mal feststellen, dass es nicht mehr so ist wie vor zehn Jahren, als Unternehmen eigentlich nicht so eine große Sorge haben mussten, dass es entdeckt wird oder dann auch konsequent ...
Deutschlandradio Kultur: Und man konnte es steuerlich absetzen bis 1999.
Christian Humborg: Genau. Wenn man noch weiter zurückgeht, konnte man es sogar steuerlich absetzen. Das ist jetzt 15 Jahre her. Aber da mussten die Unternehmen auch umlernen. 99 wurde das Gesetz geändert, aber irgendwie ist dann sieben Jahre nichts passiert bis zum Siemens-Skandal. Und dann hat sich einiges geändert.
Das heißt natürlich nicht, dass es jetzt überhaupt gar keine Korruption mehr gäbe von Unternehmen aus Deutschland im Ausland. Es wäre naiv anzunehmen. Von bestimmten Sektoren liest man ja auch immer wieder davon. Gerade der Waffen- und Militärsektor ist wieder sehr in die Schlagzeilen gekommen. Das sind auch oft Familienunternehmen in Deutschland, wo möglicherweise auch die Anforderungen, die von außen kommen, noch nicht so ausgeprägt sind, wie das bei börsennotierten Aktiengesellschaften der Fall ist.
Deutschlandradio Kultur: Kann man Bereiche nennen - Sie nannten schon den Bereich der militärischen Güter und andere Bereiche -, die besonders anfällig sind für Korruption? Energiewirtschaft vielleicht?
Christian Humborg: Also, wir sind immer sehr zurückhaltend, bestimmte Sektoren da zu benennen, weil es dann gleich heißt, aha, der Sektor ist korrupt. Und wenn, dann reden wir nur über die Korruptionsanfälligkeit. Ich glaube, es gibt abstrakte Kriterien, woran man es festmachen kann. Erstens, wenn öffentliche Auftraggeber im Spiel sind, gerade auch im Ausland, dann ist das sicherlich ein Risikofaktor. Und das Zweite ist auch: Was hat man? Was verkauft man? Also, wenn man ein Produkt hat, wo der Preis völlig klar ist, wo ich Kick-back-Zahlungen leiste, also Zahlungen, die dann zurückfließen an andere, da kann ich die natürlich viel schwieriger verstecken, als wenn ich ein Produkt habe, wo sowieso unklar ist: Was kostet ein Staudamm, das weiß ja niemand. Das heißt, wenn ich da nochmal ein bisschen was drauf lege, um Kick-back-Zahlungen zu verstecken, kann ich das bei einem Staudamm sicherlich ja einfacher machen, weil es bei Autos, wo ja doch ein gewisser Listenpreis bekannt ist und auffallen würde, dass die signifikant teurer würden, obwohl man vom Markt her weiß, dass die normalerweise nur einen anderen Preis haben.
Deutschlandradio Kultur: Also, Kick-back heißt, der Staudamm kostet eigentlich nur 20 Millionen, du gibst mir 22, dann kriegst du eben zwei zurück.
Christian Humborg: Genau.
Deutschlandradio Kultur: Herrn Humborg, Ihre Organisation gibt es seit 1993. Wir haben jetzt einiges von Ihnen gehört, wie Sie Dinge beurteilen. Mich würde jetzt - und sicherlich auch die Hörerinnen und Hörer - interessieren, wie arbeiten Sie: Was machen Sie konkret gegen Korruption? Ich habe gelesen auf Ihrer Homepage: "Wir arbeiten nicht konfrontativ." - Also rein informativ?
Christian Humborg: Ja und nein. Was ist informativ? Also, zunächst mal ist es wichtig zu betonen, dass wir global agieren. Wir arbeiten nicht nur in Deutschland, sondern in über hundert Ländern weltweit. Wir haben einen sehr dezentralen Ansatz. Es sind immer Menschen in den Ländern, die arbeiten. Das unterscheidet uns von anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen, wo auch dann Spezialisten in andere Länder geschickt werden. Wir glauben, Korruption ist ein Phänomen, das kann immer nur durch die lokalen Gesellschaften selbst eigentlich geändert werden.
Und da ist unser Ansatz, wenn man Korruption an der Wurzel packen will, dass man oft mehr erreichen kann, wenn man nicht nur rumschreit und sagt, ja, das ist alles ganz schlimm, sondern dass man sich anschaut, wer sind eigentlich die Personen in bestimmten Organisationen, in Unternehmen, die das genauso stört wie einen selbst, und dass man dann überlegt, wie man mit denen gemeinsam Regeln oder Strukturen so ändert, dass Korruption weniger wahrscheinlich wird.
Ja, und wie machen wir das? Das Wichtige ist natürlich erstmal, Rahmen, Gesetzgebung, internationale Vereinbarungen, weil das natürlich Handeln von Personen auch in Organisationen determiniert. Die zweite Ebene ist, mit Organisationen und Unternehmen zu reden, zu sprechen. Und die dritte Ebene, das ist der Kontakt mit den Menschen, die Aufklärung; dafür zu sorgen, dass man überhaupt über Korruption reden kann. Das war vor 15 Jahren überhaupt nicht selbstverständlich. Da war das ein Wort. Wenn man da zu einer Veranstaltung eingeladen hätte, wo gesagt würde, wir reden über Korruption, da hätten alle gesagt, oh Gott, was ist denn das?
Deutschlandradio Kultur: Hat das mit Bestechung zu tun?
Christian Humborg: Ja. Und ich glaube, da müssen wir schon anerkennen, dass wir hier einen großen Wandel erreicht haben, dass man heute darüber reden kann, dass man über Wahrscheinlichkeit von Korruption reden kann und ganz nüchtern danach analysieren kann, was vernünftige Maßnahmen sind.
Deutschlandradio Kultur: Wie finanziert sich Transparency?
Christian Humborg: Die Finanzierung von Transparency ist unterschiedlich je in welches Land man schaut und auf der internationalen Ebene. In Deutschland haben wir ein Budget von knapp einer halben Million Euro. Die wichtigste Gruppe der Einnahmen, das sind rund 30 bis 35 Prozent, sind individuelle Mitglieder, die einen Jahresbeitrag zahlen und bei uns im Verein sind. Eine zweite wichtige Gruppe sind Unternehmen. Wir haben auch Unternehmen, die bei uns Mitglied sind. Das sind ungefähr 25 Prozent der Einnahmen. Dann haben wir Spender und Förderer, ein weiterer großer Block. Und dann haben wir noch zwei oder drei kleinere Blöcke. Das sind vielleicht mal Projektförderungen. Das sind aber auch Zuweisungen von Gerichten und auch kleinere Einnahmen, wenn wir Seminare veranstalten.
Deutschlandradio Kultur: Nun sollte man bei Ihnen ganz besonders hinschauen, eben weil Sie Transparency sind, denn Sie sagten es: Spenden auch von Unternehmen. Wie unabhängig ist man? Wie unabhängig kann man da sein?
Christian Humborg: Das ist eine Diskussion bei Transparency, die uns begleitet, seit wir bei uns Unternehmen auch dabei haben. Da ist es natürlich erstmal ganz wichtig, sich genau anzuschauen, mit wem man dort zusammen etwas macht.
Wir haben verschiedene Mechanismen, mit denen wir sicherstellen wollen, unabhängig zu bleiben. Und die haben sich eigentlich auch sehr bewehrt. Das ist erstens: Maximal 50 Prozent unserer Einnahmen von Unternehmen. Zweitens: Von keinem Unternehmen mehr als fünf Prozent der Einnahmen. Drittens: Offenlegung jeder Zuwendung über 1000 Euro, also totale Transparenz. Und der vierte Punkt: Wir haben ein Polster, ein Barvermögen, das so hoch ist, dass, wenn jetzt die Unternehmen quasi kollektiv uns erpressen wollten und sagen würden, Mensch, wenn ihr diese Linie weiter fahrt, dann treten wir morgen alle aus, dann könnten wir sagen: Ja, dann tretet doch alle aus. Wir haben dann ein Jahr lang genug Reserven, um uns andere Spenden zu akquirieren. - Und diese vier Mechanismen sind eigentlich die, die, glaube ich, unsere Unabhängigkeit sicherstellen.
Jährlich fließen eine Billion US-Dollar in dunkle Kanäle
Deutschlandradio Kultur: Kann man eigentlich quantifizieren, wie viel Geld Jahr für Jahr im globalen Maßstab in korrupte Kanäle fließen?
Christian Humborg: Das ist etwas, da gibt es viele wissenschaftliche Abhandlungen drüber. Wir als Organisation sind immer sehr zurückhaltend, uns auf eine Zahl festzulegen. Die Weltbank hat mal die Zahl eine Billion US-Dollar im Jahr in die Welt gesetzt.
Deutschlandradio Kultur: Billion?
Christian Humborg: Billion, also tausend Milliarden. Ich will das an einem Beispiel verdeutlichen, wie schwierig das ist, das zu beziffern. Wenn wir nochmal auf das Beispiel des Staudamms zurückkommen und sagen, okay, für einen Staudamm werden 25 Millionen gezahlt, obwohl der eigentlich nur 20 Millionen kostet. Da kann man sagen, okay, dann waren fünf Millionen Korruptionsgeld. Dann fehlen vielleicht wiederum fünf Millionen, die sonst in etwas in dem Land investiert worden wären, sagen wir, in eine Universität. Und da wäre dann wiederum Wirtschaftsleistung draus entstanden, weil Personen gut ausgebildet worden wären. Ist dann fünf Millionen eigentlich genug oder hat man dem Land nicht noch viel mehr gestohlen als nur diese fünf Millionen, die man korrupten Eliten in die Tasche gewirtschaftet hat?
Und das zeigt, dass es nicht einfach ist, das zu beziffern. Davon abgesehen gibt es natürlich ja auch ein unglaublich hohes Dunkelfeld. Allein in Deutschland geht das Bundeskriminalamt von einem Dunkelfeld von 90 Prozent aus.
Deutschlandradio Kultur: Wir kennen nur die Spitze des Eisbergs.
Christian Humborg: Das heißt, selbst wenn wir nur diese korrekten Zahlen nehmen oder diese nüchternen Zahlen, selbst da haben wir schon einen unglaublichen Unsicherheitsfaktor.
Deutschlandradio Kultur: Was meinen Sie? Kann man das zuverlässig sagen oder zumindest einschätzen: Hat Korruption im globalen Maßstab in den letzten 20 Jahren eher zu- oder eher abgenommen?
Christian Humborg: Also, ich tue mich schwer, das global einzuschätzen, weil ich dazu gerne auch in Ländern gelebt hätte, wo ich ein eigenes Gefühl dafür entwickelt hätte - ist die Situation besser oder schlechter. Aber in Deutschland oder in Europa ist mein Eindruck, ja, ich glaube schon, dass Korruption etwas zurückgegangen ist. Ich glaube, es ist schwieriger geworden. Und man muss ja auch sagen, nicht zuletzt hat die Diskussion um den Bundespräsidenten Wulff eigentlich gezeigt, wie gut dieses Land an der Stelle inzwischen funktioniert. Die Medien haben ihren Job gemacht. Sie haben vernünftig recherchiert. Es gab eine kritische Öffentlichkeit, die gesagt hat, für den Bundespräsidenten müssen die gleichen Maßstäbe gelten wie für die anderen Beamten.
Ja, und bei der Strafverfolgung, das ist der Bereich, da gibt es eine sehr unterschiedliche Diskussion, wo bewertet wird, ob das vernünftig war oder nicht. Ich glaube, der zuständige Staatsanwalt hätte Kritik abbekommen, egal, was er gemacht hätte, also, ob er ein Ermittlungsverfahren eingeleitet hätte oder nicht. Da gab es nur zwei Karten, mit denen man eigentlich nur verlieren kann.
Ich bin aber froh, dass er nicht davor zurückgeschreckt ist, dass es sich um den Bundespräsidenten gehandelt hat. Und ich habe bei vielen Reisen auch ins europäische Ausland festgestellt, dass zum Beispiel in Südeuropa oder in Osteuropa uns die Menschen dafür beneiden, dass bei uns die Staatsanwälte auch vor den Mächtigen nicht zurückschrecken. Das ist etwas, auf das man stolz sein kann.
Deutschlandradio Kultur: Vielen Dank, Herr Humborg.