Programmtipp: In der Sendung Fazit - Kultur vom Tage sprechen wir ab 23:07 Uhr mit dem Kunsthistoriker und Museumskurator Florian Ebner. Er ist derzeit Leiter der Fotografie-Abteilung am Centre Pompidou Paris und lud 2015 als Kurator des Deutschen Pavillons Hito Steyerl zur Biennale Venedig ein.
Ist Hito Steyerl die einflussreichste Künstlerin der Welt?
Die deutsch-japanische Videokünstlerin Hito Steyerl ist vom britischen Kunstmagazin "ArtReview" zur derzeit einflussreichsten Persönlichkeit im internationalen Kunstbetrieb gekürt worden. Kolja Reichert, Kunstredakteur bei der "FAZ", schätzt den Widerstandsgeist ihrer Werke.
Die 1966 geborene Hito Steyerl ist Professorin für Experimentalfilm an der Universität der Künste Berlin - jetzt wählte die internationale Jury des Kunstmagazins "ArtReview" sie auf Platz eins der Rangliste "Power 100". Vor allem bei jungen Künstlerinnen und Künstlern genieße die in München geborene Künstlerin hohes Ansehen, sagt der Kunstkritiker Kolja Reichert im Deutschlandfunk Kultur:
"Ihr Werk ist sehr einflussreich für junge Künstler im Moment, dadurch dass sie Professorin ist. Ihre Klasse an der UdK in Berlin ist weltweit unter jungen Künstlern ein Ort, wo man gern sein möchte und mitarbeiten möchte. Sie empfiehlt sich nicht nur durch ihr Werk, sondern sie steht auch für eine gewisse Verschmelzung von Künstlerinnen und Widerstandskämpferinnen. Sie ist eine Art Identifikationsfigur für Kunstschaffende, Kunstliebhaber, die nicht einverstanden sind damit, wie die Welt organisiert ist."
Kritik an Mächtigen und Sexisten
In ihren Videos übt sie Kritik an den Mächtigen, den Unterdrückern, Patriarchen, Sexisten und Rassisten.
"Was Hito Steyerl auszeichnet, ist, dass sie nicht nur Mächtige an den Pranger stellt, sondern die strukturelle Intelligenz in ihrer Arbeit. Sie fragt: Wie verändert sich Macht, Kriegsführung, Stadtplanung, auch Immobilienplanung und wie verzahnt sich das alles durch digitale Technologien. Sie hat in den letzten Jahren angefangen, CGI-Technik intensiv einzusetzen, die Generierung von Motiven in einer 3D-Umgebung am Computer. Also digitale Grafiken, wo man quasi Avatare als Regisseur oder als Künstlerin durch beliebige Welten steuern kann."
Fühlen wie ein Avatar
Zur Kunstbiennale in Venedig 2015 hatte sie im Deutschen Pavillon mit ihrer Videoinstallation "Factory of the Sun", einem vermeintlichen Videogame, Aufsehen erregt. Diese Arbeit ist auch Kolja Reichert besonders in Erinnerung geblieben:
"Der Screen hatte eine mitreißende Erzählung geschaffen aus Youtube-Danceclips und Widerstandskämpferinnen, die zurückschauen auf ihren eigenen Tod. Die kämpfen gegen die Deutsche Bank oder das künftige Regime in China. Und war als Zuschauer umgeben von einem Raster aus blauglimmenden Leuchtstoffröhren in einem schwarzen Raum und konnte sich selbst geradezu fühlen wie eine digital generierte Figur, wie eine verfügbare, programmierbare Biomasse. Mit solchen Installationen macht Steyerl, was man von guten Werken und so einer Setzung wie im Deutschen Pavillon auf der Biennale erwartet. Sie erweitert die Vorstellungskraft, was künstlerisch möglich ist – und zwar nicht nur ideologisch, sondern auch in der künstlerischen Form."
Eine "politische Setzung"
Dennoch sei die "Power 100"-Liste des Kunstmagazins "ArtReview" eine Wunschliste, urteilte der "FAZ"-Redakteur:
"Um eine Wunschliste hat es sich immer zu einem bestimmten Teil gehandelt, aber niemals so sehr wie in diesem Jahr. Hito Steyerl auf Platz eins zu setzen, ist eine ganz subjektive Entscheidung von einer Jury, die den Anspruch hat, objektiv zu urteilen. (...) Hito Steyerl ist eine ganz politische Setzung. Es ist der Wunsch, dass Positionen an Zuspruch gewinnen, die intervenieren, die politisch Wirkung zeigen und der schwer einzulösende Wunsch, dass Kunst politisch sein kann und Einfluss bekommt."
(cosa)