"Bestimmte Politiker versuchen antideutsche Phobien auszunutzen"

Der polnische Journalist Basil Kerski hat die Besuchs-Absage von Warschaus amtierendem Bürgermeister Kazimierz Marcinkiewicz wegen der Vertriebenen-Ausstellung in Berlin als "absolut nicht angemessen" bezeichnet. Kerski verwies in diesem Zusammenhang darauf, dass eine private Organisation, der Bund der Vertriebenen (BdV) mit seiner Vorsitzenden Erika Steinbach, die Schau organisiert habe. In der polnischen Politik gebe es Versuche, "antideutsche Phobien" populistisch auszunutzen.
Auszug aus dem Gespräch:

Jürgen Liebing: Herr Kerski, verstehen Sie diese Reaktion?

Basil Kerski: Nein, sie ist absolut nicht angemessen. Das ist hier eine private Initiative, eine private Ausstellung, und ich bin sehr verärgert. Denn der Berliner Senat, der Wowereit-Senat, hat in den letzten Jahren Frau Steinbach massiv kritisiert, hat sie nicht unterstützt. Es gab von ihr Versuche auch, Liegenschaften Berlins zu kaufen, Gebäude zu kaufen für diese Ausstellung. Diese Unterstützung fand sie nicht. Das ist also wirklich eine pauschale Gleichsetzung aller politischen Akteure in Deutschland und aller Persönlichkeiten, die sich zu dem Thema in den letzten Jahren gemeldet haben.

Liebing: Gleichwohl, Herr Kerski, die Reaktion von Marcinkiewicz ist ja nicht die wiederum eines Privatmanns, sondern die eines früheren Ministerpräsidenten. Passt das in die polnische politische Landschaft?

Kerski: Ja, leider. Es gibt einen Versuch der Partei, der Herrn NN angehört, das ist die jetzige Regierung, diese Partei stellt auch den Staatspräsidenten Lech Kaczynski, es gibt den Versuch, zweigleisig außenpolitisch zu fahren: Gute Beziehungen zu fast allen Nachbarn und zur Europäischen Union aufzubauen - selbst nach Moskau sucht man jetzt einen Draht und den Dialog - und antideutsche Phobien auszunutzen, populistisch auszunutzen, um sich als Wächter der Erinnerung an die polnische Opferrolle im 20. Jahrhundert zu profilieren. Das ist, muss ich sagen, ein doch neues Phänomen in der Geschichte, in der jungen Geschichte der polnischen Demokratie nach 1989.

Liebing: Sie sagten, ein neues Phänomen. Sie sind, wie ich erwähnte, Herausgeber der deutsch-polnischen Zeitschrift 'Dialog'. Hat es schon Zeiten eines Dialoges gegeben?

Kerski: Ja, die Dialogversuche gab es im deutsch-polnischen Bereich, und dieser Bereich ist wirklich herausragend, sehr, sehr früh schon, unmittelbar nach dem Krieg. Der souveräne Dialog von Staaten, von Demokratien, ist ja erst seit 1989 möglich, und da hatten wir in den 90er Jahren die Tendenz zu einer enormen Offenheit und keine Berührungsängste. Und vor allem diejenigen, die das Thema, zum Beispiel Vertreibung von Deutschen, ehemals deutsche Gebiete in Mittel- und Osteuropa, auf die Agenda gesetzt haben, waren Polen. Nicht nur polnische Historiker, auch Lokalpolitiker, zum Beispiel meiner Heimatstadt Danzig, die sich gefragt haben: Was war denn die Geschichte dieses Ortes vor 45? Wie können wir in Kontakt treten mit den Familien, die dort gelebt haben? Wie können wir so etwas wie eine Kontinuität der Erinnerung herstellen, etwas was wír vor 89 nicht durften. Und ich muss sagen, in den 90er Jahren sind diese Stimmen in Deutschland unerhört geblieben. Es dominierte noch das Tabu: Na ja, wer sich mit dem Thema deutsche Ostgebiete befasst, ist ein alter Revisionist. Ich muss auch sagen, dass ist ein trauriger Aspekt dieser Geschichte. Auch Frau Steinbach und der BdV haben sich um diesen Aspekt der Lokalgeschichte der Schaffung einer neuen komplexen Identität auch kaum gekümmert. Aufgewacht ist man in Deutschland, auch der BdV, nach den schlimmen Erfahrungen in Ex-Jugoslawien, in dem Balkankrieg, als man gemerkt hat, Vertreibung ist ein Instrument der Politk in den Kriegen. Und das hat der BdV sehr gekonnt genutzt, um das Thema der deutschen Vertreibung zu enttabuisieren.