"Ich schreibe sogar gerne Einkaufszettel"
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Mit "Der Vorleser" wurde Bernhard Schlink vor über 20 Jahren auf einen Schlag berühmt. Der Bestsellerautor spricht mit uns über seine Liebe zum Schreiben und seine Zeit als Student während der 68er-Bewegung.
"Der Vorleser" wurde vor über 20 Jahren ein Weltbestseller und mit ihm wurde Bernhard Schlink auf einen Schlag berühmt. Auch die Verfilmung der Geschichte eines Jugendlichen, der sich unversehens in eine NS-Täterin verliebt, wurde zu einem internationalen Kassenschlager.
Das Thema des Buchs ist das Thema seines Lebens und vieler seiner Romane, Erzählungen, Essays: Der Umgang mit Schuld und historischer Verstrickung, die Frage von Verstehen und Verurteilen.
"Verstehen heißt nicht vergeben - und verstehen und verurteilen ist beides nötig und beides möglich, aber es steht in einer Spannung. Die Spannung muss ausgehalten werden."
Der 72-jährige Juraprofessor lehrt bis heute Recht und Rechtsphilosophie an verschiedenen Universitäten in den USA und Deutschland.
Geprägt vom protestantischen Pastorenhaus
"Das Recht war mir immer wichtig und ist mir wichtig. Und das Unterrichten ist eine gute Weise mit dem Recht weiter umzugehen und ich kann mir ja auswählen, was ich unterrichte und mit den Fragen in Verbindung bleiben, die mich besonders interessieren: Fragen der Grundrechte, Fragen des Verfassungsrechts, aber auch Fragen von Gerechtigkeit, Recht und Moral."
Bernhard Schlink ist Sohn eines Theologieprofessors und erfuhr eine sehr protestantische Erziehung.
"Die ganze Prägung von Haus und Familie war die des protestantischen Pastorenhauses mit den Lesungen, der Losung der Brüdergemeinde am Morgen beim Frühstück und den Chorälen am Sonntag und der gemeinsamen Bibellektüre nach dem Abendessen und der häuslichen Liturgie an manchen hohen Feiertagen. Und auch der Wert, der aufs Lesen, auf die Hausmusik gelegt wurde - und ich hab das auch gemocht. Auch im Rückblick denke ich gern daran zurück."
Intensive Konflikte mit dem Vater
Später allerdings, als Student zur Zeit der 68er-Bewegung, hatte er heftige Auseinandersetzungen mit seinem Vater, der damals noch in Heidelberg lehrte.
"Es gab furchtbare, erbitterte Auseinandersetzungen zu Hause um die Universität und die Reform der Universität, über Politik und den Vietnamkrieg und Adenauer und Willy Brandt. Das waren intensive und schmerzhafte und manchmal geradezu zerstörerische Auseinandersetzungen."
Zum literarischen Schreiben fand Bernhard Schlink, der schon als Kind Gedichte und Geschichten verfasste, erst mit Ende 30. Damals habe er gemerkt, dass ihm etwas fehle.
"Ich bin selten so glücklich, wie wenn ich schreibe. Also eine Geschichte, ein Roman, es ist vielleicht auch ein kleines Fluchtmoment dabei. Ich fliehe gerne in die Welten über die ich schreibe. Ich bin den Gestalten meiner Geschichten, meiner Romane sehr nah. Ich lebe mit Ihnen. Also kurzum: Für mich war Schreiben - auch das wissenschaftliche Schreiben - nie eine Qual wie man ja manchmal hört, dass manche es erleben, sondern ich schreibe wirklich gerne."
Er schreibe sogar "gerne Einkaufszettel", sagt Schlink.
(Das Gespräch ist eine Wiederholung vom 30.9.2016)