Besuch auf der Krim

Ein Jahr nach der Annexion

Kunst in der Hafenstadt Kertsch auf der Kr‎im erinnert an die russisch-ukrainischen Beziehungen.
Kunst in der Hafenstadt Kertsch auf der Kr‎im erinnert an die russisch-ukrainischen Beziehungen. © Deutschlandradio / Gesine Dornblüth
Von Gesine Dornblüth |
Vor einem Jahr stimmten die Bewohner der Krim in einem Referendum für den Anschluss an Russland. Umstritten vor allem, weil die Abstimmung unter Waffen stattfand - und weil nur die Krim beteiligt war, nicht die ganze Ukraine. Ein Besuch vor Ort.
Bagerowo auf der Krim. Die Straße zieht sich schnurstracks durch den Ort. Rechts und links kleine Häuser. Matsch am Straßenrand und auf dem Asphalt. An der Haltestelle wartet die Rentnerin Ljudmila Alexejewna auf den Bus.
"Ich finde, dass sich viel zum Positiven verändert hat, seit die Krim zu Russland gehört. Wir haben hier in Bagerowo nur einen Brunnen und nur drei Tage in der Woche Wasser."
Jetzt bekommen wir einen zweiten Brunnen. Gebe Gott, dass wir zum Frühlingsbeginn ständig Wasser haben. Und wir hoffen auch, dass die Straßen besser werden. Denn die sind ein Problem. Und es gibt auch Probleme mit dem Nahverkehr. Sie sehen ja, was für Busse bei uns fahren. Die sind völlig klapprig und überfüllt. Gerade ist der Bus in die Gegenrichtung durch den Ort gefahren. Er hat eine Abgaswolke hinterlassen. Eine weitere Anwohnerin kommt hinzu, sucht einen trockenen Platz zwischen den Pfützen an der Bushaltestelle.
"Wir hoffen, dass es besser wird. Was konkret? Wissen Sie, ich persönlich brauche gar nichts Großartiges, Neues. Und das geht vielen Leuten hier so. Wir wollen Ordnung. Das reicht uns schon."
90 Prozent der Bewohner zufrieden
Die Äußerungen der beiden Frauen geben ungefähr die Stimmung auf der Krim wieder. Umfragen zufolge sind mehr als 90 Prozent der Bewohner zufrieden damit, jetzt Bürger Russlands zu sein. Und das trotz wirtschaftlicher Schwierigkeiten. In den Ferienorten an der Küste bleiben die Urlauber weg. Russland hat Probleme, die Halbinsel zu versorgen. In den Apotheken fehlen Medikamente. Die Lebensmittel sind ein Jahr nach der Annexion um bis zu 50 Prozent teurer als zuvor. Die Frauen in Bagerowo zucken mit den Schultern.
"Preissteigerungen gibt es überall. Wir kommen damit zurecht. Hauptsache, wir haben Frieden."
"Auch in der Ukraine wird alles teurer. Und die Ukraine, die wir kennen, gibt es sowieso nicht mehr. Außerdem gefällt mir die Politik Russlands besser als die der Ukraine mit ihrem Faschismus und ihren Bandera-Helden."
Im Zentrum von Simferopol, der Hauptstadt der Krim, renovieren Bauarbeiter die Alexander Newskij Kathedrale, verlegen letzte Gehwegplatten. Die Kirche untersteht dem Moskauer Patriarchen. Ein Schild verkündet: "Wiederaufgebaut unter der Schirmherrschaft des Präsidenten der Russischen Föderation." In Großbuchstaben: "Wladimir Putin". Davor parkt ein Bentley.
Ein paar Straßenecken weiter geht Artjom Jewtuschenko durch eine Fabriketage. Sie steht voller Nähmaschinen, aber lediglich drei Frauen arbeiten. Auf einer Kleiderstange hängt, was die Firma näht: Kampfanzüge in Flecktarn, eine Polizeiuniform. Jewtuschenko ist um die dreißig, Sprecher der Näherei und außerdem Vorsitzender des Unternehmerverbandes der Krim. Er verbindet große Hoffnungen mit Russland und dem russischen Markt. Nur eines bereitet ihm Sorge: Das Gebäude, in dem die Näherei untergebracht ist, ist kürzlich verstaatlicht worden. Und jetzt muss sich der Betrieb neue Räume suchen.
"Die Mietpreise, die uns die Vermieter jetzt vorschlagen, sind an den Dollarkurs gekoppelt und für uns so nicht akzeptabel. Sie sind fünf Mal so hoch wie unsere jetzige Miete. Im Augenblick hängen rund 45 Mitarbeiter in der Luft. Wenn wir kein Gebäude finden, schließen wir, und dann verliert die Krim noch einen Betrieb."
Jewtuschenko geht zu einem Regal und zeigt einen Wimpel. In das Dreieck ist ein Elitesoldat in voller Kampfmontur eingestickt, dazu eine Katze.
"Das hier sind unsere 'höflichen Menschen'. Man sagt doch, Schönheit rettet die Welt. Die Krim hat die Höflichkeit gerettet. Dank der Höflichkeit konnten wir der Russischen Föderation beitreten."
Die Alexander Newskij Kathedrale in Simferopol untersteht dem Moskauer Patriarchat und wird unter Putins Schirmherrschaft renoviert.
Die Alexander Newskij Kathedrale in Simferopol untersteht dem Moskauer Patriarchat und wird unter Putins Schirmherrschaft renoviert.© Deutschlandradio / Gesine Dornblüth
Kein Geld zum Heizen
Die sogenannten "höflichen Menschen" waren in Wirklichkeit russische Soldaten. In der ukrainischen Kirche in Simferopol kocht Erzbischof Kliment Tee. Er trägt eine Fellweste über dem Gewand, die Gemeinde hat kein Geld zum Heizen. Gerade hat er die mehrstündige Morgenandacht gehalten. Es waren nur wenige Gläubige da.
"Zwei Drittel meiner Gemeindemitglieder haben die Krim verlassen. Sie leben jetzt auf dem ukrainischen Festland. Geblieben sind die, die nicht wussten, wohin: Rentner, Menschen mittleren Alters. Die Jugend ist fast komplett weg."
Erzbischof Kliment ist dem Kiewer Patriarchen unterstellt. Er gehört zu den wenigen verbliebenen Menschen auf der Krim, die die Annexion der Halbinsel offen als Unrecht bezeichnen.
"Die Menschen auf der Krim sind benebelt. Sie sagen immer nur: Gut, dass es hier keinen Krieg gibt. Aber es sind doch nicht wir Ukrainer, die den Krieg begonnen haben."
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