Der Expeditor der Kunstwelt
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In Norwegen ist Erling Kagge berühmt: als Abenteurer, der zu Nord- und Südpol wanderte. Und als Autor von Büchern über Stille oder das Gehen. Weniger bekannt: Kagge ist ein großer Kunstsammler. Ein Hausbesuch in Oslo.
"Hier hängen zwei Arbeiten von Matias Faldbakken, er hat diese Trolle gezeichnet. Damit haben wir in Norwegen ja eine lange Tradition. Wenn man im Wald ist, kurz bevor es dunkel wird oder ganz früh am Morgen, dann kommt es einem oft so vor, als sähe man Trolle. Sie zu zeichnen ist also eine Art kulturelles Erbe. Gleichzeitig haben Trolle durch das Internet noch eine andere Bedeutung bekommen. Die Bilder spielen also auf ganz traditionelle norwegische Kunst an und zugleich auf eines der größten Probleme unserer Zeit."
Kunst ist allgegenwärtig im Leben Erling Kagges, diesem norwegischen Abenteurer, Autor und Verleger. Nicht nur in seinem Wohnhaus und in diversen Museen, auch in den Räumen seines Verlags, der im Zentrum Oslos, zwischen Nationaltheater und Hafen residiert, finden sich an so gut wie jeder Wand Stücke aus seiner rund 800 Kunstwerke umfassenden Sammlung:
Kunst vor den trinkfreudigen Norwegern schützen
"Es muss schon große Kunst sein, damit ich es mit in den Verlag nehme. Aber ich muss mir dann auch gut überlegen, wie ich die Werke am besten schütze. Wir haben hier ja auch Buchvorstellungen und die Norweger trinken gern Wein – besonders, wenn er umsonst ist – und sind dann ein bisschen betrunken. Da braucht so ein Kunstwerk dann einen ordentlichen Rahmen und Glas, um sicher zu sein."
Über dem Kopierer hängt eine Fotografie des deutschen Bildhauers Michael Sailstorfer, der sein Gesicht – wie beim Kopieren - gegen eine Glasplatte presst. Neben dem großen Konferenztisch hängt eine großformatige, farbenfrohe Fotografie des Norwegers Torbjørn Rødland. Es sei nicht sein Lieblingsbild, aber das, was für ihn am besten ins Büro passe, sagt der 56-jährige Kagge:
"Hier stoßen gerade zwei Personen an – mit einem Rotwein- und einem Weißweinglas, die dann aber zerbrechen. Das ist sehr vielschichtig, ein großartiges Werk und ich bin froh, dass ich es hier habe, weil es neugierig macht. Und ich glaube, dass die Fähigkeit zu staunen wichtig ist im Leben."
"Es geht darum, sich einen Geschmack zu bilden"
Neugier und die Lust am Staunen haben Erling Kagge ins ewige Eis und auf den Mount Everest getrieben, aber auch zum Studium der Philosophie, ins Verlagswesen und in den Kunstbetrieb. Egal ob er in seinen Büchern über "Stille", "Gehen" oder über Kunst nachdenkt, es geht ihm vor allem um die Verfeinerung der Wahrnehmung, die Schulung der Sinne und des Geistes:
"Ich weiß noch, als ich zum ersten Mal, mit 13, eine Installation von Richard Long gesehen habe. Er hatte im Louisiana Museum in Dänemark Steine in einem Kreis ausgelegt, genau solche Steine wie es sie bei unserem Haus in Oslo gab. Damals fand ich das blöd. Aber nach einigen Jahren merkte ich, dass ich der Dumme war, während Richard Long ein fantastischer Künstler ist. Es geht einfach darum, sich einen Geschmack zu bilden – in jeder Hinsicht, beim Essen, in der Literatur, Musik, Kunst. Das müssen wir alle lernen, es ist gewissermaßen der Sinn des Lebens – zu versuchen, unser Potenzial zu entwickeln, und zwar so schnell wie möglich."
Kunst, die Fragen offen lässt
Erling Kagges eigene Bücher sind feinsinnige Spaziergänge durch Ideenlandschaften, voller Anekdoten aus dem Kunstbetrieb und gerade nicht das, was etwa der Untertitel von "Große Kunst für kleines Geld" verspricht: Sie sind keine "Anleitung". Der Norweger lässt einen einfach teilhaben an seinem Leben, seinen Expeditionen. Und macht so Lust, selbst etwas zu ändern. Beim Spazieren vielleicht mal den unbequemen Weg einzuschlagen, ihn auszuprobieren. Oder die nächste Kunstbetrachtung nicht gleich mit einem Blick ins Zentrum eines Bildes zu beginnen, sondern es sich von den Rändern aus zu erschließen. Denn Kunst, so Erling Kagge, ist vor allem dann reizvoll, wenn man sie nicht auf Anhieb versteht oder schön findet:
"Man kann natürlich immer versuchen, Kunst zu erklären, aber ich bewundere Kunst, bei der das gar nicht möglich ist. Also wenn ich mir das hier ansehe, kann ich einiges dazu sagen, aber es bleiben Fragen offen. Wir leben doch in einer Welt, in der alles erklärt und rationalisiert wird. Und das ist das, was ich an Kunst mag – sie gibt keine einfachen Antworten."
"Man kann natürlich immer versuchen, Kunst zu erklären, aber ich bewundere Kunst, bei der das gar nicht möglich ist. Also wenn ich mir das hier ansehe, kann ich einiges dazu sagen, aber es bleiben Fragen offen. Wir leben doch in einer Welt, in der alles erklärt und rationalisiert wird. Und das ist das, was ich an Kunst mag – sie gibt keine einfachen Antworten."