Geisterbegegnungen und geschmierte Akteure
Mehr als sechs Milliarden Euro setzte die Sportwetten-Branche im Jahr 2016 allein in Deutschland um. Ein lukrativer Markt also, der natürlich auch Verbrecher anzieht. Die Ermittlungen sind aber immer noch so schwierig, dass viele Verfahren im Sande verlaufen. Ein Blick hinter die Kulissen.
Ein Bahnhof in Stuttgart. Am Bahnsteig hängen riesige Plakate mit einem Fußballer, der köpft. Daneben prangt der Slogan: "Das Leben ist ein Spiel." - Werbung für Sportwetten. Gleich um die Ecke, in einer Fußgängerzone, stehen drei Männer vor den zugeklebten Schaufenstern eines Wettbüros, rauchen.
Links steht ein Kaffeeautomat, geradeaus ein Tresen in L-Form, darüber hängen Flachbildschirme. Darauf laufen Spiele der türkischen Süperlig. Rechts geht's ein paar Stufen nach oben. Dort starrt gut ein Dutzend Männer auf Flachbildschirme, fachsimpelt. Andere bedienen blinkende Wettautomaten. Die einzige Frau im Laden sitzt hinter dem Tresen. Sie hilft einem Neukunden, ein Wettkonto zu eröffnen. Aus einem Nebenraum kommt ein kleiner, drahtiger Mann, ganz in Schwarz gekleidet. Er stellt Glasreiniger und Wischtuch auf den Tresen. Der 50-Jährige ist der Inhaber des Wettbüros, möchte aber anonym bleiben. Seit 35 Jahren ist er in der Spielbranche, erzählt er, seit 16 Jahren im Sportwettengeschäft:
"In der Spielbranche Betrügerei, Manipulieren, das und jenes, kenn ich mich schon gut aus. All die Jahre erlebt man auch Einiges und sieht man und erfährt man. Aber in dem größten Maße war es das erste Mal."
Der 50jährige erinnert sich noch gut an den Februar 2015: Ein paar ihm unbekannte Männer tauchen in seinem Laden auf. Wollen hohe Beträge setzen. Auf drei Spiele der ersten dänischen Fußball-Liga, eine sogenannte Kombinationswette:
"Die kamen her, ganz wildfremde Leute und wollten sie einfach 10, 15.000 Euro auf drei Spiele einsetzen. Und ich hab sie erlaubt 4.000 Euro Einsatz machen, mehr nicht. Haben sie gemacht, die sind raus. Halbe Stunde später sind sie wieder in den Laden rein. Obere Etage hab ich Terminal, Wett-Terminal und da haben sie auch knapp 8.000 Euro nochmal reingeschoben."
Und die Männer kommen noch einmal wieder. Dieses Mal ist der Wettbüro-Inhaber nicht da. Erst am nächsten Tag sieht er am Computer die Einsätze:
"Hab ich gesagt: Wer sind die, die wildfremden Leute und drei Dänemark-Spiele?"
Der 50-Jährige greift zum Telefon, wählt die Nummer von ein paar Kollegen. Man kennt sich in der Branche:
"Ich hab auch über die ein bisschen Informationen geholt - hab ich auch durch Bekannte, die Nachtleben leben, Zockerleben leben. Keiner arbeitet richtig in sein Leben, aber 10-12.000 Euro Einsatz zu machen - da hab ich gesagt: Jetzt stopp mal Jungs."
Die Unbekannten gewinnen die Wette. Einige zehntausend Euro müsste der Inhaber ihnen jetzt auszahlen. Doch er weigert sich, bietet an, die Wette rückabzuwickeln, die Einsätze zu erstatten.
"Das haben sie nicht akzeptiert, die wollten bis letzte Cent haben, sogar haben sie mich auch ein bisschen bedroht - 'sonst fließt hier Blut' und so weiter. Aber ich hab nicht so ernst genommen und gesagt: So, jetzt raus hier."
Doch die Männer wollen ihr Geld, wiederholen die Drohungen am Telefon. Was zu diesem Zeitpunkt keiner der Beteiligten ahnt: Die Mobiltelefone der vermeintlichen Wettbetrüger werden bereits abgehört. Aufgrund ihrer Drohungen entscheidet die Polizei auf Zugriff.
Für Wetten sollen Fußballspiele verschoben worden sein
Landgericht Stuttgart, Anfang Februar. Kahl und weiträumig erstreckt sich der Flur vor dem Sitzungssaal der 8. Großen Strafkammer. Hier läuft zurzeit das juristische Nachspiel der Sportwette. Neben der Saaltür hängt eine Liste mit den Namen der fünf Beschuldigten, darunter der Tatvorwurf: Gemeinschaftlicher banden- und gewerbsmäßiger Betrug.
Was die Stuttgarter Staatsanwaltschaft den Beschuldigten konkret vorwirft, erläutert Pressesprecher Jan Holzner in einer Verhandlungspause:
"Der Hauptangeklagte, bei dem gehen wir davon aus, dass er spätestens Mitte 2014 den Entschluss gefasst hat, Fußballspiele zu manipulieren und anschließend auf diese manipulierten Spiele zu wetten und entsprechend den Gewinn einzufahren."
Zwei dänische Erstliga-Spiele sollen nachweislich verschoben worden sein. Die Partie zwischen dem FC Vestsjaelland und dem Esbjerg FB Anfang November 2014, sowie das Spiel zwischen dem FC Vestsjaelland gegen den FC Kopenhagen im Februar 2015. In beiden Fällen soll über einen Mittelsmann in Dänemark Kontakt zu Spielern des FC Vestsjaelland aufgenommen worden sein, um sie zu bestechen:
"Im ersten Fall, also des FC Vestsjælland gegen den Esbjerg FB, wissen wir auch nicht genau, welche Summe da geflossen sein soll. Im zweiten Fall, beim Spiel gegen den FC Kopenhagen, sollen es 60.500 Euro gewesen sein, die hier geflossen sind, an die Spieler. Und in beiden Fällen wurden anschließend Wetten abgeschlossen, dass der FC Vestsjaelland das Spiel verliert. Und im ersten Fall ein Gewinn von 18.000 und im zweiten Fall sogar Gewinne von insgesamt - es waren mehrere Wetten, die platziert wurden - von insgesamt knapp 200.000 Euro eingefahren."
Unter Manipulationsverdacht stehen nicht nur die beiden dänischen Erstliga-Spiele. Auch Partien der dritten deutschen Liga befanden sich offenbar im Visier der Angeklagten. Genauer: Eine Begegnung zwischen dem SG Sonnenhof Großaspach und dem MSV Duisburg im Dezember 2014. Dabei soll versucht worden sein, den damaligen Trainer der Großaspacher zu bestechen. Was dieser aber bestreitet.
90 Prozent des Umsatzes über Fußballwetten
Im Wettbüro lehnt der 50-jährige Inhaber am Tresen, steckt sich eine Zigarette zwischen die Lippen. Zündet sie aber nicht an:
"Manche Spielen - so wie letzte Mal - sind so eindeutig, dass man gleich sagen: Stopp jetzt, das Spiel ist manipuliert, das Spiel ist gekauft. Aber wir können nicht immer rauskriegen und sofort reagieren. Die letzten 12 Jahre in diese Laden habe ich so 6, 7 Mal so Kleingruppen erwischt, rausgeschmissen. Jede Sache landet auch nicht bei Polizei, erledigen wir auch unter uns."
90 Prozent seines Umsatzes mache er mit Fußball-Wetten, schätzt der 50-Jährige. Einfach, weil die Leute sich mit Fußball auskennen - oder das zumindest glauben.
"Also, es gibt sehr viele Leute, die leben von Wetten. Arbeitet in Daimler, verdient 2.200 Euro Lohn, aber hat er extra 7-8.000 Euro Einkommen von Wetten. Sie sind bisschen professionell Leute, die spielen gut und analysieren gut. Und das gibt auch so kleine Mafia-Gruppen, die kaufen Spiele, Mannschaften. Die zahlen 100.000 Euro zum Beispiel eine Mannschaft und sagen: Bruder, du sollst heute diese Spiel nicht gewinnen."
Der Wettbüro-Besitzer greift zu einem Plastikkorb auf dem Tresen. Zieht einen dicken Stapel geklammerter Kopien hervor - auf 67 Seiten Spiele und Tabellen. Sein Wochenangebot allein an Fußballwetten.
"Auf den Maschinen, auf den Rechnern hat man noch 150, 180 Spielmöglichkeiten, Variationen zu tippen, zu spielen."
Man kann auf die 1. und 2. Bundesliga setzen, auf die englische Premier League oder die türkische Süper Lig. Aber auch auf die Regionalliga Südwest, die 2. aserbaidschanische Liga oder die 4. israelische.
"Ägypten, dritte Liga spielen oder Togo, Dorfmannschaften. Heute ist der englische Betradar, Quotenmacher, Wettanbieter, die sind so groß geworden, die kontrollieren sogar Dorfveranstaltungen und die setzen alles auf Listen, kann man darüber wetten. Ja, also die Branche ist sehr, sehr gewachsen, sehr groß geworden."
Fast alle Bundesliga-Vereine haben einen Wettanbieter als Sponsor
Über sechs Milliarden Euro setzte die Branche 2016 allein in Deutschland um. Wettbüroinhaber wie der 50-Jährige sind dabei nur Franchise-Nehmer, die die Sportwetten vermitteln. Die tatsächlichen Anbieter sind große Unternehmen, sogenannte Buchmacher, die die Quoten berechnen, die Wetten halten und zig Millionen ins Marketing stecken. So haben auch fast alle Bundesliga-Vereine einen Wettanbieter als Sponsor:
"Die Firmen werden immer größer, stärker, zum Beispiel so eine Wochenende schätze ich mal in Europa drei bis vier Milliarden Euro wechselt Tasche, also das ist gigantische Summe, das man nicht mehr vorstellen kann, wirklich."
Gigantische Summen, die wiederum Kriminelle auf den Plan rufen. International agierende Wettbetrüger, unterschiedliche Mafia-Gruppen, organisierte Kriminalität, Geldwäsche.
Der Nachweis einer Straftat ist bei Wettbetrug schwierig
Die Bochumer Staatsanwaltschaft befindet sich in der Viktoriastraße. Mit dem Fahrstuhl geht es in den 6. Stock. Die Glastür lässt sich nur per Magnetkarte öffnen. Dahinter ein dunkler, schmaler Flur mit Wägelchen voller Akten und unzähligen Türen. Hinter einer sitzt Oberstaatsanwalt Dr. Andreas Bachmann in einem winzigen Büro. Von hier aus hat er einen der größten Sportwettbetrugsprozesse weltweit zur Anklage gebracht. 2009 wurde das Verfahren eröffnet, über fünf Jahre wurde verhandelt und noch heute wird weiter ermittelt:
"Das heißt es gibt immer noch aktuelle Sachverhalte, die festgestellt werden und es ist unseres Erachtens genauso wie beim Drogenhandel, es geht um viel Geld, es ist sehr lukrativ, der Nachweis der Straftat ist sehr schwierig und es wird immer weitere Delikte dieser Art geben."
Zu den Hochzeiten ermittelten in der Soko "Flankengott" 30 Polizeibeamte gegen mehr als 300 Beschuldigte im In- und Ausland. Darunter auch gegen Ante Sapina, der bereits im sog. Hoyzer-Fall 2005 als Drahtzieher fungierte. Die Spuren führten die Bochumer Fahnder nach Ungarn und Kroatien, in die Schweiz und die Türkei, nach Slowenien und Italien sowie nach Asien, wo die großen Wettpaten sitzen. "Matchfixing", wie es im Englischen heißt, ist ein internationales "Geschäft".
"Das war das Besondere in diesem Verfahren, dass wir pro Sportereignis teilweise Millionenbeiträge hatten, die gewettet worden sind und die eben zur Verfügung gestellt worden sind, nicht von lokalen deutschen Tätern, sondern von Leuten aus dem Ausland, die wieder andere Personen kontaktiert haben, wieder andere Personen beeinflusst haben, Wetten zu setzen, sodass man von einem weltweiten Geflecht sprechen kann. Das hatten wir so in diesem Zusammenhang so noch nicht, weil es vorher nicht so aufgeklärt worden ist."
Bei über 600 Sportveranstaltungen im In- und Ausland fanden die Ermittler Anzeichen für Manipulationen. Die Matchfixer gingen dabei durchaus unterschiedlich vor:
"Teilweise werden Sportler selbst beeinflusst auf andere Sportler einzuwirken, teilweise werden Sportler mit Gewalt dazu gezwungen Sportereignisse zu beeinflussen, teilweise sind Sportler richtig auf den Gehaltslisten von Manipulateuren aufgelistet worden. Teilweise treten Manipulateure als Spielervermittler auf, das heißt also die vermitteln die Sportler an verschiedene Vereine und wenn dort entsprechend erfolgreich in Anführungsstrichen manipuliert worden ist, werden diese Sportler weitervermittelt."
Und das alles passiert keineswegs nur in den dritten und vierten Ligen europäischer Randstaaten.
"Wir hatten teilweise Fußballspieler aus der 2. Bundesliga, die zum Beispiel Wettschulden hatten bei den Tätern. Es sind dann besondere Sportler, die dann auch so ein bisschen die Neigung haben, auf Sportereignisse selber zu wetten, obwohl das nach den Arbeitsverträgen verboten ist, aber die machen es trotzdem und man versucht, den Sportlern auch möglichst viel Geld zukommen zu lassen, um dann einen Schuldenberg zu haben und dieser Schuldenberg kann dann durch das eigene Einkommen des Spielers nicht mehr abgebaut werden."
"Dann hängt der Spieler am Fliegenfänger", wie Oberstaatsanwalt Bachmann formuliert. Er wird erpressbar. Besonders im Visier der Matchfixer: Torwart und Abwehrspieler. Manchmal steht aber auch die ganze Mannschaft auf der Gehaltsliste:
"Wir hatten auch einen Erstliga-Verein aus dem Land Bosnien-Herzegowina, der komplett gekauft worden ist, mit Geldern aus Wettgewinnen und diese Fußballspieler sind dann auf verschiedene Fußballreisen geschickt worden, um Fußball-Turniere zu spielen und da eben im Sinne der Manipulateure zu agieren."
Eine ganze andere Methode des Sportwettbetrugs sind sogenannte Geisterspiele. Im Februar 2015 etwa konnte man weltweit auf den Ausgang der Partie zwischen dem weißrussischen Verein FC Slutsk und dem benachbarten Schachtjour Soligorsk tippen. Einige asiatische Wett-Unternehmen boten gar Live-Wetten an. Die Partie aber fand niemals statt. Betrüger hatten den Wettanbietern ein fiktives Duell schmackhaft gemacht und die Homepage der beiden Vereine manipuliert.
Viele Wettbetrug-Ermittlungen verlaufen im Sande
Die Bochumer Staatsanwaltschaft gilt auch heute noch bundesweit als d i e Anlaufstelle in Sachen Sportwettbetrug. Doch die Soko ist so gut wie abgewickelt, das Wissen droht verloren zu gehen. Dabei erreichen die Behörde immer noch zahlreiche Strafanzeigen. Das Gros aber muss weitergeleitet werden, an die zuständigen Polizeibehörden und Staatsanwaltschaften in den einzelnen Bundesländern. Dort aber verlaufen die Verfahren zumeist im Sande. Auch weil die Ermittlungen schwierig sind.
"Wir haben immer dieses Hase-und-Igel-Spiel, gerade bei diesen Ermittlungen, weil eben unsere Täter hochmobil sind, die wechseln die Kontinente, verfügen über hohe Liquidität und sind in der Lage kontinent-übergreifend Wetten zu platzieren und nicht nur bei zugelassenen Buchmachern, sondern auch bei nicht zugelassenen Buchmachern, sodass wir letztendlich nachweisen müssen, dass ein manipuliertes Fußballspiel im Ruhrgebiet dann eben im asiatischen Raum bewettet wird."
Auch rechtlich ist der Nachweis hochkompliziert, selbst für ausgebildete Juristen. Ein neuer Straftatbestand könnte die Arbeit künftig ein wenig erleichtern. Anfang März hat der Bundestag den Sportwettbetrug unter Strafe gestellt. Nun drohen auch Sportlern, Schiedsrichtern und Trainern bis zu fünf Jahre Haft, sollten sie Manipulations-Verabredungen treffen. Die Sportverbände aber - da macht sich Bachmann keine Illusionen - sind mit der Aufklärung in Sachen Wettbetrug überfordert:
"Wir bekämpfen ein Deliktfeld der organisierten Kriminalität und machen das mit Hausdurchsuchungen, wir machen das mit Telefonüberwachung oder teilweise auch mit verdeckten Ermittlern, das sind ja Mittel, die einem Fußballverband gar nicht zur Verfügung stehen."
"Sportradar" analysiert den Wettmarkt
In seinem Haus am Stadtrand von München hockt Andreas Krannich vor dem Laptop und scrollt durch eine Präsentation. Neben ihm liegen zwei Krücken, sein rechtes Bein ist nach einer OP in eine Schiene gezwängt:
"Hier ist jetzt mal ein Überblick über die verschiedenen Partner, die wir haben. Das sind über 60 Sportverbände."
Auf dem Bildschirm erscheinen die Logos der verschiedenen Verbände: Des DFB, der Deutsche Fußball Liga, der italienischen Liga Pro, des englische Cricket-Boards, der UEFA, aber auch kleinerer Organisationen:
"Motor GP ist dabei, also Motorrad-Rennen. Hier die erste österreichische Eishockey- Liga."
Andreas Krannich arbeitet für "Sportradar", ein Dienstleistungs-Unternehmen in Sachen Sport- und Wettdaten mit Sitz in der Schweiz. Genauer: Krannich ist Chef des sogenannten "Integrity Services", eine Art Betrugserkennungssystem für Spielmanipulationen. Dieses System fußt auf zwei Säulen, einer quantitativen und einer qualitativen Analyse:
"Auf der einen Seite ist das, was wir Fraud Detection-System nennen, das heißt, wir erfassen den weltweit relevanten Wettmarkt. Auch hier ganz, ganz wichtig: Nicht nur legale Buchmacher, nicht nur staatliche Buchmacher, Lotterien, wir erfassen den gesamten privatrechtlich organisierten Buchmachermarkt, wir erfassen lizensierte, nicht-lizensierte Buchmacher, wir erfassen insbesondere auch in Asien die gesamten, relevanten Underground-Buchmacher."
Milliarden von Daten, die das Unternehmen analysiert. Täglich. Spezielle Filtersysteme schlagen bei auffälligen Quotenänderungen Alarm. Dann folgt ein mehrstufiger Prozess, indem abgeklärt wird, ob die Änderung irgendwie erklärbar ist. Krannich nennt ein Beispiel:
"Wenn Barcelona gegen Celta Vigo spielt und es gibt kurz vor Spielbeginn einen massiven Quotenverfall, dann liegt es oft daran, dass der Messi sich verletzt hat. Oder dass es kurz vor Spielbeginn einen massiven Regenschauer gab, wodurch die Platzverhältnisse leiden, wodurch die Wahrscheinlichkeit, dass Barcelona, die einen technisch versierten Fußball spielen, dass die gewinnen, reduziert wird. Also ändern sich die Quoten."
Ein weltumspannendes Netz von Mitarbeitern liefert diese Informationen. Alle werden gebündelt und analysiert. Nach maximal 72 Stunden steht fest, ob ein Spiel manipuliert wurde oder nicht. Sein Wissen stellt Sportradar den Sportverbänden beziehungsweise den Ermittlungsbehörden zur Verfügung. Ende der 2000er Jahre wurde das System modifiziert, sagt Krannich:
"Seitdem haben wir über 2.800 stark manipulationsverdächtige Spiele identifiziert in den verschiedenen Sportarten. Wenn wir sagen 'manipulationsverdächtig', dann sind wir zu 110 Prozent von jedem einzelnen Spiel überzeugt, dass es manipuliert wurde."
Auch beim Tennis wird zunehmend manipuliert
2.800 - die absolute Zahl klingt unglaublich, betrifft aber weniger als ein Prozent aller Spiele, die Sportradar auf dem Schirm hat. Neben dem Fußball scheint zunehmend auch der Tennis-Sport betroffen: Match Fixing im Tennis ist vergleichsweise einfach. Schließlich muss nur ein einzelner Spieler geschmiert werden. Und der muss das Spiel noch nicht einmal komplett verlieren: Sportliche Leistung plus stattlicher Gewinn, beides ist möglich:
"Wir haben eine ganz übliche Manipulationsart, erschreckend zunehmend, dass sie im Tennis das Manipulationsmuster haben, ein Favorit spielt gegen einen Außenseiter und der Favorit verliert den ersten Satz und gewinnt die nächsten beiden. Wettet aber darauf oder lässt aber über Personen darauf wetten, dass er den ersten Satz verliert."
Einen solchen Betrug nachzuweisen, ist extrem schwierig. Andreas Krannich und seine Kollegen setzen deshalb auch auf Prävention. Konkret sind das Workshops, E-Learning-Programme oder sogenannte "Integrity-Apps".
In Deutschland hatte die Spielergewerkschaft VDV zuletzt im Herbst 2016 bei den Klubs der Ersten und Zweiten Bundesliga nachgefragt, ob in der laufenden Spielzeit Präventionsschulungen zum Matchfixing stattgefunden hätten. 16 Bundesligisten und 12 Zweitligisten antworteten. Das Ergebnis: Nur ein Klub hatte eine kurze Schulung durchgeführt. Trotzdem ist Adrian Fiedler von der Antikorruptions-Organisation Transparency International zuversichtlich. Es gibt einen DFB-Ombudsmann und Workshops in den jeweiligen Jugend-Leistungszentren.
"Schwieriger ist es für kleinere Ligen, sagen wir, Eishockey, Basketball, die auch schon das Thema erkannt haben, aber vielleicht nicht die gleichen finanziellen Ressourcen haben wie der König Fußball und auch die olympischen Sportarten, die noch kleinere Strukturen, fehlt bisher, meines Erachtens, auch vom DOSB der erste Schritt in die richtige Richtung."
Transparency International sieht im Wettbetrug die größte Bedrohung für den Sport. Die Organisation begrüßt deshalb auch den neuen Straftatbestand:
"Allerdings bleibt bei uns ein bisschen die Befürchtung, dass wenn jetzt nicht die nächsten Schritte gegangen werden, wie auch zum Beispiel die Regulierung des Wettmarktes oder auch die Schaffung einer nationalen Plattform nach der Europarats-Konvention, dass das dann Symbolpolitik bleibt."
Bereits im Herbst 2014 hatte die Bundesregierung ein Übereinkommen des Europarates gegen die Manipulation von Sportwetten unterzeichnet. Die Konvention sieht vor, dass alle Mitgliedsländer sogenannte nationale Plattformen einrichten:
"Wir glauben, dass das einer der großen Schlüssel zum Erfolg sein kann, weil diese Plattform vorsieht, dass alle Beteiligten: Die Sportverbände, die Wettanbieter, politische Institutionen, die Staatsanwaltschaften ein gemeinsames Forum haben, wo man, soweit das rechtlich und datenschutzrechtlich zulässig ist, die Information austauschen kann und dadurch seine Kräfte bündeln kann."
Der Stuttgarter Wettbüro-Inhaber fürchtet, dass sich der Wettbetrug eines Tages geschäftsschädigend auswirken könnte. Er hoffte deshalb vor allem auf eins: klare gesetzliche Regelungen. Denn seit der Europäische Gerichtshof 2010 das deutsche Staatsmonopol bei Sportwetten gekippt hat, arbeiten die Wett-Anbieter in einer rechtlichen Grauzone.
"Meine Wunsch ist es, dass die Branche endlich mal unter Dach und Fach ein gesetzliche Rahmen kommt. Weil so lange das eine Grauzone ist, ist zu viele Schmarotzer, Diebe und Banditen schleusen sich da rein und nisten sich."
Gerade jetzt, im Frühjahr, das sei für den Fußball die gefährlichste Zeit, sagt er:
"März bis Ende Mai, weil Saison geht Ende, Mannschaften - man sieht es klar, welche Mannschaft kommt weiter, welche bleibt oder welche geht eine Liga runter. Und die in der Mitte bleibenden Mannschaften sind gefährlichste."
Weil sie nichts zu verlieren haben, so der 50-Jährige:
"Sie können gegen Ende der Saison von der Mafia, von den Wirtschaftsleuten sehr gut Geld kassieren. Dann sagen sie, okay, wir spielen dieses Spiel unentschieden. Ich brauche nicht zu gewinnen, ich werde sowieso nicht Meister und der Trainer sagt: Jungs, spielt nicht so hart heute. Unentschieden reicht uns."