Kampf dem faulen Fußball-Spiel
23:50 Minuten
Ob im Wettbüro oder per Smartphone: Sportwetten sind aus dem deutschen Fußball nicht mehr wegzudenken. Mit der Wettbegeisterung steigt die Angst vor Spielmanipulationen. Ermittler und Spielervertreter fordern ein Umdenken.
"Ich weiß, der Gegner will weg, aber ich muss noch etwas loswerden. Und das ist eben Fußball: Wir haben eine sehr, sehr schwierige Situation vorm Spiel gehabt."
Freitag, der 30. November 2018. Der 18. Spieltag in der Regionalliga Nordost, kurz nach dem Abpfiff der Begegnung SV Babelsberg 03 gegen VfB Germania Halberstadt.
"Ich bin jetzt seit 1990 im Männerfußball tätig und so etwas ist mir noch nie passiert. Dass mich ein Spieler um 16.15 Uhr versucht ein paar Mal anzurufen. Und gewisse Dinge passieren, wo ich den Glauben an Fußball verliere."
Der damalige Babelsberger Trainer, Almedin Civa, ringt um Fassung. Seine Mannschaft hat gerade 3:1 gewonnen. Doch das spielt auf der Pressekonferenz, die im Internet übertragen wird, nur noch eine untergeordnete Rolle.
"Weil, es kann nicht sein, das muss ich jetzt erwähnen, es kann nicht sein, dass unsere Spieler, zwei Spieler hier angerufen werden und denen Geld angeboten wird, damit die die Füße hochlegen. Und dass ist eben das, was eben das alles trübt hier heute. Und das war eine sehr, sehr schwierige Situation für die jeweiligen Spieler, sehr, sehr schwierige Situation."
Plötzlich steht ein Vorwurf im Raum: Spielmanipulation.
Der Ombudsmann
Bielefeld, ein Bürogebäude an einer mehrspurigen Ausfallstraße. In einem Besprechungsraum mit gläsernen Wänden sitzt Dr. Carsten Thiel von Herff. Der Rechtsanwalt berät Unternehmen in Sachen Compliance - Regeltreue. Und er ist Ombudsmann, also "Vertrauensperson". Für große Firmen ebenso wie für den Deutschen Fußball Bund bzw. die Deutsche Fußball Liga.
"Meine Aufgabe ist es tatsächlich, Hinweise auf Spielmanipulationen entgegenzunehmen, ich bin Ansprechpartner für alle am Fußball Beteiligten, wenn sie das Gefühl haben, hier läuft etwas schief. Ich mache das nicht als Angestellter der DFL, auch nicht des DFB, sondern aus der eigenen Kanzlei heraus, extern, unabhängig, sodass ich einen vertraulichen Bereich bieten kann. Wenn sich Hinweisgeber an mich wenden, wissen sie: Das ist erstmal vertraulich und ich kann in Ruhe überlegen, beraten, Ratschläge geben und dann entscheidet der Hinweisgeber, wie ich mit dem Hinweis umgehen darf."
Um Betrugsversuche frühzeitig zu erkennen, arbeiten DFB und DFL seit 2005 mit "Sportradar" zusammen. Das Unternehmen versucht, anhand von Wettdaten mögliche Spielmanipulationen aufzudecken. Anlass für die Kooperation damals: Der Wettskandal um den bestochenen Schiedsrichter Robert Hoyzer. 2012 dann erarbeiteten DFB und DFL erstmals gemeinsam Präventionsmaßnahmen. Neben der Einrichtung der Ombuds-Stelle gehört auch eine Homepage dazu, die zum Thema "Matchfixing" aufklären soll. Titel: "Gemeinsam gegen Spielmanipulation".
Ermittelungen bis in die zweite Bundesliga hinein
Das ganze entstand unter dem Eindruck eines der weltweit größten Sportwett-Betrugsprozesse, der damals am Landgericht Bochum verhandelt wurde. Bei über 200 Sportveranstaltungen im In- und Ausland fanden die Bochumer Ermittler Anzeichen für Spielmanipulationen. Ermittelt wurde bis in die zweite Bundesliga hinein. Ist es seitdem ruhiger geworden?
"Ich kann Ihnen nichts über die Häufigkeit sagen, zumindest nicht detailliert. Ich kann sagen, dass ich durchaus Fragen und Hinweise erhalte. Ich hatte auch schon Hinweise, die zu konkreten sportrechtlichen aber auch staatsanwaltlichen Ermittlungen geführt haben. Aber es gibt auch die Situationen, wo der Team-Manager eine halbe Stunde vor Anpfiff bei mir anruft und sagt: Mensch, ich hab gehört, dass ein Spieler von uns angesprochen worden ist, der soll in diesem Spiel unbedingt eine gelbe Karte kriegen – darf der auflaufen?"
In der Saison 2014/2015 wurden die Maßnahmen gegen Spielmanipulation noch einmal verschärft. In den 36 deutschen Nachwuchsleistungszentren sind seitdem Schulungen rund ums Thema "Matchfixing" Pflicht. Einmal jährlich finden diese für rund 3000 Spieler zwischen 15 und 22 Jahren statt. Aus gutem Grund, findet der Ombudsmann.
Schon Jugendliche wetten mit
"Wir beobachten schon, dass Jugendliche, und da rede ich von 15-, 16-Jährigen, Wetten auf Spiele platzieren. Den Zugang haben, den Online-Zugang haben, auch wenn sie noch nicht volljährig sind. Und da haben wir natürlich dann auch die große Gefahr, dass Spieler darüber abhängig werden, süchtig werden, angefüttert werden können von der organisierten Kriminalität. So nach und nach über das erste Glücksspiel auf die schiefe Bahn geraten. Und da müssen wir rechtzeitig versuchen, wirklich versuchen, die Spieler auf dem richtigen Weg zu halten."
In den Schulungen sollen den Nachwuchsspielern Regeln und Meldepflichten vermittelt werden, wie sie etwa in der Rechts- und Verfahrensordnung des DFB festgelegt sind.
"Es darf nicht auf eigene Spiele gewettet werden, nicht auf Spiele der eigenen Mannschaft, nicht auf Spiele des eigenen Vereins und nicht auf Spiele des Wettbewerbs, an dem eine Mannschaft aus meinem Verein teilnimmt. Sprich: wenn Borussia Dortmund in der Champions League spielt, dann darf kein Dortmunder Spieler, auch kein Nachwuchsspieler, auch nicht aus der 2. Mannschaft, auf ein Champions League-Spiel wetten, auf gar keins, auch nicht auf Atletico Madrid gegen FC Porto."
"Wette nicht auf deinen Sport"
Klingt reichlich kompliziert. Der Ombudsmann nickt. "Halte ich nicht für richtig, sage ich ganz offen. Ich wäre für eine einfache Regel, die da lautet: Wette nicht auf deinen Sport."
Eine klare Regelung. Doch dazu kann sich der der organisierte Fußball bislang nicht durchringen. Ende letzten Jahres haben DFB und DFL ihre Präventions-Maßnahmen noch einmal überarbeitet. Jetzt ist auch eine sogenannte "Integrity-App" online, die sich jeder aus dem App-Store aufs Smartphone laden kann. Die App klärt nicht nur über Regeln und Vorschriften auf, mit ihrer Hilfe lassen sich vor allem auch anonyme Hinweise auf Spielmanipulationen an Carsten Thiel von Herff senden.
"Okay, haben wir konkrete Fragen zum Spiel?" Auf der Pressekonferenz Ende 2018, nach dem Spiel SV Babelsberg 03 gegen VfB Germania Halberstadt dreht sich plötzlich alles um die angebliche Spielmanipulation. Ein Reporter fragt nach: "Gehen sie davon aus, dass das jetzt mehr in Richtung Wettmafia geht – oder irgendwelche Anhaltspunkte?"
"Keine Ahnung. Ich weiß es nicht. Ich weiß nur eins: So wie das abgelaufen ist, der Vorgang der ist, dass die Spieler angesprochen haben, angeschrieben haben, konkret angeschrieben wurden. Aber die Spieler sich direkt bei mir gemeldet haben. Die wussten nicht, was machen. Und wir haben uns beraten. Und so wie das ist, wir haben die Anzeige an NOFV gestellt und jetzt geht es weiter."
"Keine Ahnung. Ich weiß es nicht. Ich weiß nur eins: So wie das abgelaufen ist, der Vorgang der ist, dass die Spieler angesprochen haben, angeschrieben haben, konkret angeschrieben wurden. Aber die Spieler sich direkt bei mir gemeldet haben. Die wussten nicht, was machen. Und wir haben uns beraten. Und so wie das ist, wir haben die Anzeige an NOFV gestellt und jetzt geht es weiter."
Konfrontiert mit dem Vorwurf der versuchten Spielmanipulation ringt auch der Gäste-Trainer aus Halberstadt um Worte: "Ich bin schockiert. Möchte natürlich auch genau wissen, wie dieser Vorgang jetzt ist. Ist hart! Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ich würde die beiden Namen gerne wissen. Das frage ich meinen Kollegen unter vier Augen. Aber wenn da was dran ist – das ist natürlich, Puuuh, ja…"
Chinesischer Sportvermarkter mit Sitz in Wernigerode
Halberstadts Sportdirektor soll, so der Vorwurf, kurz vor Spielbeginn zwei ihm bekannte Babelsberger Spieler angerufen und ihnen Geld für schlechtes Spiel in Aussicht gestellt haben. Später wird bekannt: Auch der Chemnitzer FC, damals Tabellenführer der Regionalliga Nordost, wird im Dezember 2018 kontaktiert.
Medienberichten zufolge Folge soll ein chinesischer Sportvermarkter mit Sitz in Wernigerode bei dem Verein vorstellig geworden sein, um im Stadion eine VIP-Loge anzumieten. Danach hätte der Sportvermarkter über eine "Refinanzierung" sprechen wollen. Woraufhin Chemnitz das Gespräch abbrach.
Mit just diesem chinesischen Sportvermarkter aber kooperiert auch Germania Halberstadt. Schnell steht der Verdacht im Raum, die chinesische Wettmafia versuche die 4. Liga zu manipulieren. Noch beschäftigt der Verdacht die Staatsanwaltschaften. Fest steht aber: Matchfixing hat sich in den vergangenen Jahren zu einem weltweit verbreiteten Phänomen entwickelt. Via manipulierter Sportwetten versucht die organisierte Kriminalität Einnahmen zu generieren und Gelder zu waschen.
Soko "Flankengott"
"Das war ein Hinweis aus Schweden, den ich bekommen habe, da ging es aber um laufende Ermittlungen, deshalb kann ich da jetzt eher weniger zu sagen." In Bochum legt Kriminalhauptkommissar Michael Bahrs sein Smartphone beiseite. Der 46-Jährige im blauen Kapuzenpullover sitzt in einem winzigen Büro. Kinderzeichnungen und Fanartikel hängen an den Wänden. "Ich bin seit ich krauchen kann HSV-Fan. Der wahre Fan bleibt bei der Raute!"
Jahrelang leitete Bahrs die Bochumer Soko "Flankengott". Sie deckte 2009 einen der weltweit größten Wettskandale auf. Europaweit waren über 200 Fußballspiele betroffen. 32 allein in Deutschland, bis hinauf in die 2. Liga. Auch wenn die Soko "Flankengott" nicht mehr existiert, bekommt Bahrs weiterhin Tipps.
"Weil in den Jahren hat man sich ja auch irgendwo ein Netzwerk aufgebaut, sei es auf der guten als auch auf der bösen Seite und die kontaktieren einen. D.h. man bekommt auch Hinweise zu möglichen manipulierten Spielen, man bekommt Hinweise zu möglichen Tatverdächtigen, man bekommt zu kriminellen Gruppen Hinweise.
Das ist die eine Seite. Man bekommt aber auch Hinweise von anderen Ermittlungsbehörden, die sagen: Pass mal auf, wir haben hier irgendwelche Dinge, das könnte in diesen Bereich hineinspielen. Ist dir das bekannt? Wie könnten wir uns aufstellen. Oder was würdest du jetzt vielleicht machen? Jegliche Art, aus allen Bereichen."
Mafia, Glücksspiel, Geldwäsche
Seit einer Gesetzesnovelle 2017 stehen Spielmanipulation und Sportwett-Betrug im Profi-Sport unter Strafe. Sportlern, Trainern oder Schiedsrichtern drohen bis zu fünf Jahre Haft, sollten sie Manipulations-Verabredungen treffen. Die Gesetzesänderung sei zwar gut, sagt Bahrs, doch die Ermittlungsarbeit bleibe kompliziert. Gehe es doch um organisierte Kriminalität, international agierende Wettbetrüger, gigantische Summen, unterschiedliche Mafia-Gruppen, Glücksspiel und Geldwäsche.
"Ich stell mir jetzt ein banales Beispiel vor: Es kommt jemand zu einer Polizeiwache und sagt: Ich hab Hinweise, dass ein Spiel manipuliert ist. So. Dann sitzt der arme Kollege da und sagt: Okay, ich habe einen Strafverfolgungszwang, also werde ich diesen Hinweis erstmal aufnehmen und eine Straftat daraus machen, aber dann kommt ja das eigentliche Problem, wie fang ich denn an zu ermitteln?"
Hinweise auf Spielmanipulationen muss Bahrs weiterleiten an die jeweils zuständigen Polizeibehörden, ob in Bayern oder Berlin. Auch wenn dort gar nicht die notwendige Expertise vorhanden ist. Der Ermittler fordert deshalb Schwerpunktstaatsanwaltschaften wie sie bereits im Bereich Doping existieren.
Michael Bahrs sieht aber nicht nur die Behörden in der Pflicht. Auch der organisierte Sport müsse das Problem "Matchfixing" deutlich ernster nehmen, fordert er von DFB und DFL:
Flyer reichen als Prävention nicht aus
"Na klar kann man sagen, wir peppen unsere Homepage auf, die kleistern in den Stadien noch Poster an die Wand und wir verteilen Flyer – alles gut, aber ist das zielführend und so effektiv, dass man sagt, damit haben wir es, zumindest halbwegs, in die richtigen Bahnen gelenkt. Und da, glaube ich, da müsste man die Prävention auf andere Schwerpunkte verlagern."
In den Vereinen vor Ort solle das Bewusstsein geschärft und auf die Gefahr deutlicher hingewiesen werden, fordert Bahrs. Der Ermittler bezweifelt, dass sich Spieler an Carsten Thiel von Herff wenden, wenn sie von Kriminellen angesprochen werden. Schließlich sei der Ombudsmann für sie eine wildfremde Person. Bahrs schlägt deshalb vor, dass die Vereine Ansprechpartner aus den eigenen Reihen benennen, denen sich Spieler anvertrauen können. Die Ermittlungen der "Soko Flankengott" hätten aber auch gezeigt, wie einfach es für Kriminelle sei, einen Club zu vereinnahmen, insbesondere die notorisch klammen.
Trainer im Dienste des Matchfixers
"Wenn ich jetzt der Kriminelle bin und habe Kohle, dann kann ich mich relativ simpel auch in solche Fußballvereine einkaufen. Und hinterher werde ich da den einen oder anderen Spieler von mir noch da unterbringen, weil ich sage: Pass auf, ich werde euch ganz groß machen als Verein. Jetzt habt ihr schon viel Kohle von mir bekommen, dafür erwarte ich aber, dass ihr auch mal den oder den spielen lasst. Möglicherweise wird das dahin führen, dass man auch auf den Trainer Einfluss nimmt. Euer Trainer – ihr seht ja, wo ihr da rumkraucht, der hat bisher nichts bewirkt, aber ich hab hier einen guten."
Der alte Trainer wird gegen einen neuen ausgewechselt. Was der Verein nicht weiß: Der neue steht im Dienste des Matchfixers. Und so brauche es nur zwei, drei Leute aus dem kriminellen Umfeld und schon sei ein Verein unterwandert, argumentiert Bahrs.
"Spielmanipulationen im großen Stil – darum ging es gestern bei einer Razzia in Spanien. Mehrere Partien waren unter Verdacht geraten, darunter ein Spiel aus der ersten Liga von vor 10 Tagen. Francisco Prado von der spanischen Nationalpolizei": "Insgesamt wurden neun Personen festgenommen, diese Operation ist noch nicht beendet. Betroffen sind Spiele der ersten, zweiten und dritten Liga."
"Die Liga selbst spricht von 18 Partien die verdächtig seien, zu den Festgenommenen soll auch ein früherer Spieler von Real Madrid gehören."
Sprachrohr und Service-Stelle der Spieler
Duisburg, Sportschule Wedau. Hier hat auch die Spielergewerkschaft VdV ihre Büroräume. VdV – die Abkürzung steht für "Vereinigung der Vertragsfußballer", gegründet 1987 von ehemaligen Profispielern wie Ewald Lienen oder Benno Möhlmann. "Wir sind Sprachrohr der Spieler, wir sind aber auch Service-Stelle, also es geht um Politik, um Verbesserung der Arbeitsbedingungen, immer aber auch mit dem Interesse den Fußball positiv für alle weiterzuentwickeln."
Sagt Ulf Baranowsky, Geschäftsführer der VdV. Im Herbst 2016 hatte die Gewerkschaft bei den Klubs der ersten und zweiten Bundesliga nachgefragt, ob Präventionsveranstaltungen in Sachen Matchfixing stattfanden. 16 Erstligisten und zwölf Zweitligisten antworteten. Das erschreckende Ergebnis: Nur ein einziger Klub hatte eine kurze Veranstaltung durchgeführt. Die VdV machte daraufhin Druck, forderte Pflichtschulungen in den Vereinen. Vergangene Saison wurden diese von der DFL eingeführt. Zumindest in der ersten und zweiten Liga.
"Das war positiv, wir waren eben nicht glücklich als Spielergewerkschaft damit, dass dieser Auftrag vergeben wurde, an ein Unternehmen, was auch im Bereich der Wettindustrie dann tätig ist und würden uns wünschen, diesen Prozess weiter zu öffnen, wieder auch, für Spielervertreter aber auch für Wissenschaftler, aber auch Transparency und sonstige Integritätsorganisationen."
Mehr unabhängige Schulungen
Bislang führt allein "Sportradar" die Schulungen durch. Das Unternehmen ist Dienstleister in Sachen Sport- und Wettdaten, es arbeitet für die Wettindustrie, aber auch für nationale und internationale Sportverbände. VdV-Geschäftsführer Baranowsky wünscht sich mehr unabhängige Schulungen und das vor allem auch in den unteren Ligen:
"Weil das ja auch Ligen sind, wo wirklich nicht so viel verdient wird. Wo Spieler teilweise auch existentielle Sorgen haben, weil Gelder teilweise nicht bezahlt werden. Und solche Spieler sind dann natürlich wirtschaftlich ganz anders anfällig, und darum muss Prävention in diesen Ligen umso mehr ansetzen."
Derzeit ist man mit dem DFB im Gespräch über Präventionsveranstaltungen sowohl für die 3. Liga als auch für die 1. und 2. Frauenbundesliga. Der Bereich der Regionalligen bleibt bislang außen vor. Das sei nicht zu bezahlen, muss sich Ulf Baranowsky immer wieder anhören. Der Geschäftsführer schüttelt den Kopf.
"Und wenn wir jetzt sehen, wie wenig Geld Prävention jetzt eigentlich kostet und wenn wir auf der anderen Seite sehen, dass dieses System Profi-Fußball in Deutschland, nur Bundesliga und zweite Bundesliga, über vier Milliarden Euro im Jahr generiert, dann darf hier die Frage der Finanzierung nicht hinderlich sein, also nicht, wenn man es ernst meint."
Wenn man es ernst meint, mit dem Kampf gegen Spielmanipulation, müsse man aber auch noch etwas anderes ansprechen, betont der VdV-Geschäftsführer: Das Thema Spielsucht.
Spielsüchtige Spieler
"Die Spielsucht ist ein Einfallstor. Denn wir sehen hier schon klare Zusammenhänge. Wir haben Spieler, auch hier bei uns im VdV-Proficamp für die vereinslosen Profis gehabt, die selber dann auch Probleme hatten im Bereich Spielsucht. Spielsüchtig waren. Und später auch im Bereich Matchfixing aktiv waren. Und die Wettmafia schaut natürlich genau hin, wer ist anfällig. Und da sind natürlich Jungs, die spielsüchtig sind, ganz besonders anfällig. Die werden dann angefüttert. Dann schuldet man der Wettmafia einen Gefallen und dann sitzt man in der Falle. Und darum ist es ganz wichtig, hier schon diese Anwerbetricks auch frühzeitig zu erkennen."
Bei fast jedem Bundesliga-Spiel taucht irgendwo das Logo eines Sportwettanbieters auf. Oliver Kahn wirbt für Tipico. Bastian Schweinsteiger für die Deutsche Automatenwirtschaft. Und Lukas Podolski für den Sportwettanbieter XTip. So gut wie alle Erstliga-Vereine lassen sich von einem Sportwettanbieter sponsern. Und Tipico fungiert seit 2018 als Premiumpartner der DFL.
"Es ist natürlich ganz schwer für Spieler zu verstehen, dass sie selber nicht wetten dürfen, dass Schulungen stattfinden, wenn sie andererseits aber mit dem Logoaufdruck des Wettanbieters ihre Spiele bestreiten sollen auf dem Trikot."
Auch der Präventionsforscher Dr. Jens Kalke kann nur den Kopf schütteln, wenn es um das Thema Sponsoring durch Wettanbieter geht. Gemeinsam mit Kollegen vom Institut für interdisziplinäre Sucht- und Drogenforschung des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf hat er rund 280 Spieler aus vier Nachwuchsleistungszentren befragt, was sie über Glücksspiele, Sportwetten und Spielmanipulation wissen.
Zocken per Smartphone
"Das ist erstmal rausgekommen, dass so im Mittel – ich werde hier keine vereinsinternen Ergebnisse nennen, sondern immer über alle – ungefähr 40 Prozent der Befragten Glücksspiele um Geld betreiben, spielen. Obwohl ein Großteil der Befragten noch unter 18 ist. Das ist verboten aus guten Gründen. Also Minderjährige in Deutschland dürfen nicht Glücksspiele um Geld betreiben, ein Großteil macht das."
Auch weil es so einfach ist. Man muss nicht mehr in ein Sportwett-Café gehen, sondern kann ganz einfach per Klick online spielen. Auf dem Rechner oder auf dem Smartphone. Hinzu kommen spezielle Risikofaktoren: Die Nachwuchsspieler verfügen meist – im Vergleich zu Gleichaltrigen – über ausreichend Geld und freie Zeit, etwa wenn sie auf dem Weg zu Auswärtsspielen stundenlang im Bus hocken. Und sie überschätzen ihr Wissen. "Kontrollillusion" nennt das der Forscher:
"Ein Teil dieser Spieler denkt nämlich – das haben wir sie auch gefragt – das sind ungefähr die Hälfte - die denken, dass sie durch ihr spezifisches Wissen über Fußball – die verfolgen dann auch 3. Liga Rumänien, 2. Liga Spanien, 1. Liga Norwegen, die kennen sich auch aus, weil das ja auch auf diesen ganzen Sportseiten sind ja oft die Live-Ticker oft mit Sportwetten verbunden. Die denken, weil sie ein besonderes Wissen haben über Fußball, dass sie auch besonders erfolgreich damit Sportwetten betreiben können. Und das ist fatal."
Profis wetten nicht besser als Laien
Denn diese Annahme ist schlicht falsch. Profis wetten nicht besser als Laien. Das haben Studien weltweit gezeigt. Eine vernünftige Prävention in Sachen Matchfixing setzt aber nicht nur beim individuellen Verhalten der Spieler an, betont Suchtforscher Kalke. Auch die Verhältnisse, unter denen gewettet wird, müssen sich ändern.
Das nächste Tor, die nächste Ecke, die nächste gelbe oder rote Karte: auf all diese Ereignisse lässt sich während des laufenden Spiels wetten: "Und ich kann ja solche Ereigniswetten auch viel schneller manipulieren. In der Regel muss ich nur den Schiedsrichter bestechen, wenn ich darauf wette, wer kriegt als nächstes die gelbe Karte?"
Um Matchfixern die Arbeit zu erschweren, wäre es wünschenswert, keine Ereigniswetten mehr zuzulassen, sagt Kalke. Sondern nur Wetten auf das End- oder das Halbzeitergebnis. Und auch die Spielklassen, auf die gewettet werden darf, sollte man einfach beschränken."Man kann ja auch auf Oberligaspiele wetten, das ist dann fünfte Liga bei einigen. Und da läuft häufig gar keine Kamera mit. Das ist ja ein gefundenes Fressen für Leute, die ein Spiel manipulieren wollen."
Plädoyer für vielfältige Maßnahmen
Ob ein Verbot von Wetten auf Regional- und Oberligaspiele, die Abschaffung der Ereigniswetten, Werbe-Beschränkungen für die Sportwettanbieter sowie ein Wettverbot auf die eigene Sportart – eine vernünftige Prävention von Spielmanipulation umfasst immer viele Bausteine. Für ein ganzes Maßnahmen-Bündel plädiert auch der Bochumer Ermittler Michale Bahrs.
"Es geht doch darum möglicherweise, den Ganoven das Leben so schwer wie möglich zu machen. Man muss sich einfach nur damit auseinandersetzen, dass diese Spielmanipulation mittlerweile ein kriminelles Deliktsbereich ist wie auch Mord, Totschlag, Einbruch, Diebstahl usw. Es ist also ein weiteres Deliktsfeld hinzugekommen und jetzt muss ich gucken, wie kann ich es am sinnvollsten präventiv behandeln."