Bewaffnetes Ballett
Immer wieder die gleichen Bewegungen: Karabiner rauf, runter, rauf, runter. Damit Staatsgäste mit militärischen Ehren empfangen werden können, müssen die Wehrpflichtigen des Wachbataillons tagelangen Drill auf sich nehmen.
"So, jetzt noch mal für den Bundespräsident. Jedes Wort für sich, gestochen scharf! Tag, Soldaten."
"Tag, Herr Bundespräsident!"
"Marine-Teile nicht ganz so schnell! Jedes Wort für sich. Noch einmal. Tag, Soldaten."
"Tag, Herr Bundespräsident!"
"Ehrenformation, rührt Euch! Ausschütteln!"
Bewaffnetes Staatsballett - wie das Wachbataillon der Bundeswehr einen Staatsgast empfängt. Eine Reportage von Philip Banse.
"Bequem stehen, hersehen! Wir werden jetzt durchführen das Vorüben für den Einsatz heute 12 Uhr 30 im Schloss Bellevue für den König von Norwegen. Ablauf wie folgt: Wir machen einmal den Aus- und Einmarsch und dann den kompletten Ablauf durch."
Die Sonne geht auf hinter den Gebäuden der Julius-Leber-Kaserne nahe des Berliner Flughafens Tegel. Die Wipfel der Fichten leuchten gelb im Morgenlicht. Im Schatten der Bäume liegt schwarz und rutschig vom Raureif der Exerzierplatz, groß wie ein Fußballfeld und asphaltiert wie ein Parkplatz.
350 Soldaten des Wachbataillons stehen stramm, in drei Reihen hintereinander, Blicke geradeaus. Sie tragen dunkle Hosen, dunkle Mäntel, weiße Handschuhe, den hölzernen Karabiner - 1935 Standardwaffe der Wehrmacht - neben dem Stiefel auf den Asphalt gestemmt. Generalprobe für einen Staatsbesuch. Ein Soldat liest die Regieanweisungen: "Bundespräsident und der König von Norwegen betreten den Schlossgarten!" Zwei Soldaten steigen auf ein rotes Holzpodest, spielen König und Bundespräsident, oder wie sie hier sagen: "König und BuPrä."
"Druck auf die Karabiner! Das Gewehr über! Wieder! Letzter Mann, Marine, erster Waffenzug! Halt die Pause fest!"
Das Wachbataillon der Bundeswehr soll im Krisenfall die Bundesregierung schützen. In Friedenszeiten begrüßen die 1800 Soldaten Staatsgäste, stehen stramm am roten Teppich, wenn Politiker an ihnen vorüber gehen und kommen so oft ins Fernsehen. Der König von Norwegen bekommt heute das volle Programm: 19 Soldaten schon am Flughafen, Salutschüsse aus Feldhaubitzen. Im Garten des Schloss Bellevue beim Bundespräsidenten dann die größte Ehrenformation: Das Wachbataillon und der Stabsmusikchor: 380 Soldaten.
Am Rande es Übungsplatzes reiben sich Matthias Kühn und Sebastian Kunze in glänzenden Stiefeln, dunklem Mantel ihre kalten Hände. Spöttisch lächelnd beobachten die beiden Gefreiten mit roten Wangen ihre Kameraden. Das Wachbataillon muss nicht viel mehr machen, als einmarschieren, das Gewehr vom Boden an die Schulter nehmen, wieder absetzen, hochheben und abmarschieren.
Wäre da nicht das Motto der Truppe: "Semper talis", lateinisch für "stets gleich", so stand es schon auf den Mützen der Riesengarde des Soldatenkönigs, Friedrich Wilhelm I. von Preußen. Dieser Schlachtruf ist auch bei den Gefreiten Kühn und Kunze auf den Oberarm gestickt. Die Bewegungen der Soldaten sollen synchron ablaufen, zackig, aus einem Guss, sagt der 19-jährige Matthias Kühn:
"Und das ist die hohe Kunst, die Perfektion zu erreichen, dass wirklich alle zur selben Zeit die selbe Bewegung mit dem Karabiner ausführen, dass es am Ende einen Schlag ergibt, einen Knall und eine Bewegung."
Weil die Soldaten sich gegenseitig jedoch kaum sehen, ist jede Bewegung in drei bis vier Takte unterteilt. Der Paradedienstfeldwebel muss seine Jungs vor dem Besuch des Königs noch mal auf einen gemeinsamen Rhythmus einschwören:
"Wenn wir jetzt das Kleine aber Feine noch rausbekommen, das wäre nicht schlecht. Wenn ihr das Drei greift, wippt Euer Körper nach, das ist Scheiße. Nur mit den Armen arbeiten, der Körper bleibt gerade stehen. Nichts wippt nach, null! Das ist professionell!"
Die Hände in weißen Handschuhen auf dem Rücken, das glattrasierte und in der Morgensonne braun glänzende Kinn vorgestreckt - Oberstleutnant Frank Schuster, Chef des Wachbataillons beobachtet seine Jungs. "Erster Einsatz nach dem Urlaub?", fragt er und schüttelt den Kopf. Wenn 350 Karabiner auf den Asphalt donnern, soll es einen Schlag geben, nicht 350. Das Wort vom bewaffneten Ballett hört der Oberstleutnant nicht gerne.
"Ballett hieße, dass es eine Show-Truppe wäre, das ist es eigentlich nicht. Es soll die Streitkräfte repräsentieren und letztlich auch die Präzision, mit der die Streitkräfte allgemein arbeiten können. Das ist die Botschaft, die rüber gebracht werden soll. Ein Zeichen von Stärke, von Souveränität und eben, dass man diese Stärke und Souveränität einem Staatsgast zu Teil werden lässt. Ich würde nicht sagen, dass das Ballett ist, absolut nicht."
"Ins Präsentieren. Erster Waffenzug Heer - wahnsinnig, oder was?"
"Einer ist gerade hängen geblieben an seiner Jacke, dadurch ist der Karabiner unten geblieben, er hat ihn nicht richtig hochgezogen und wenn da nur einer ist - und dann noch im ersten Glied - fällt das sofort auf."
Gefreiter Sebastian Kühn, 20, blickt zu seinen Kameraden hinüber.
"Also im Einsatz darf so was nicht passieren, dass der Karabiner unten stehen bleibt, dann ist sofort Note sechs, durchgefallen. Wenn einer so einen Fehler macht, dürfen alle nach dem Einsatz noch mal eine Runde üben. Und dass ist dann nicht sehr angenehm."
"Die Marinemützen sind sehr, sehr anfällig was die Hauben angeht und da ist es besser, wenn man einen kleinen Schutz drüber hat."
Matthias Kühn hält die Marinemütze in der Hand, "Wachbataillon" steht in Gold auf der Krempe. Die Stube der Gefreiten Kühn und Kunze. Block der zweiten Kompanie, Ebene drei, Zug, Zimmer 311. Zwei Doppelbetten aus Stahl. Im Schrank hängen Uniformen aller drei Teilstreikkräfte der Bundeswehr: Heer, Marine, Luftwaffe. Denn das Wachbataillon soll alle Truppenteile repräsentieren. Sebastian Kühn trägt stets andere Uniformen, je nach Anlass. Die Türken zum Beispiel wollen von Soldaten in Marineuniformen begrüßt werden. Auch für den König aus Norwegen sind Kühn und Kunze Marinesoldaten.
"Jetzt haben wir unsere Marinekleidung angelegt. Das ist die Matrosenhose, dann hier das weiße Matrosenhemd mit dem weiten, blauen Kragen. Und vorne kommt dann noch der Marineknoten, der kommt erst später."
Normalerweise stehen Sebastian Kühn und Matthias Kunze auch in der Ehrenformation. Aber heute haben sie eine besondere Aufgabe: Erstmals sind sie als Epos eingeteilt, Ehrenposten, die links und rechts des Haupteingangs zum Schloss stehen. Zwischen Kühn und Kunze wird der König hindurchgehen. Dann werden die beiden stramm stehen, den Karabiner an der Schulter, das leere Magazin zum Gast als Zeichen der Freundschaft. So werden sie stehen bis der König das Schloss wieder verlässt. Das kann Stunden dauern.
In die Stube kommt Oberfeldwebel Schönrock, Bürstenhaarschnitt, schmale Augen. Patrick Schönrock betreut Kühn und Kunze bei ihrem ersten Einsatz als Ehrenposten. Die beiden sind ausgewählt worden, sagt der Oberfeldwebel ernst, weil nur wenige die Karabiner-Akrobatik so sicher beherrschen wie die Kameraden Kühn und Kunze.
"Ehrenposten bekommen die besten Greifer des Zuges. Ehrenposten ist schon eine sehr ehrenvolle Aufgabe. Viele verkennen das immer ein bisschen, sehen immer nur die lange Stehzeit, den Nachdienst, so wie nachher 16:45 Uhr bis 17:15 Uhr noch mal im Bundeskanzleramt zu stehen, das sehen viele als lästig an, andere sehen das aber als ehrenvolle Aufgabe, die Gäste auch mal hautnah zu erleben, weil so nah wie die beiden kommen nicht viele an den König von Norwegen ran und von daher denke ich schon, dass es eine gute und sinnvolle Aufgabe ist."
Sebastian Kunze und Matthias Kühn sind wie fast alle Soldaten des Wachbataillons Wehrpflichtige. Gleich bei der Musterung war klar, sie erfüllen alle Voraussetzungen: Kein Bart, keine Brille, kein Bauch, körperlich fit und zwischen 1,78 m und 1,96 m groß. Drei Monate durften sie ihn kennenlernen, ihren Karabiner 98k, Gewicht: fast vier Kilo.
"Das äußert sich beispielsweise, dass man am Tag 600, 700 Mal den Karabiner anhebt und wieder abstellt. Also, zu Beginn der Ausbildung immer nur diese eine monotone Bewegung. Bis ihn wirklich alle zur gleichen Zeit anheben und zur gleichen Zeit wieder fertig sind."
"Jetzt ist das Leben ein bisschen lockerer. Man feilt natürlich noch an der Technik, weil hundertprozentig perfekt ist es fast nie zu erreichen, weil immer noch kleine Fehler gesehen werden. So übt man noch an einigen Tagen, bereitet seine Anzüge vor, Bügeln ist häufiger Bestandteil, Schuhe putzen, auf Hochglanz polieren, das sind die häufigsten Tätigkeiten."
Immerhin gut 500 Einsätze hat das Wachbataillon jedes Jahr, also jeden Tag ein bis zwei Mal aufmarschieren, stramm stehen, Karabiner rauf und runter - ein und zwei und drei. Sebastian Kunze muss lächeln.
"Am Anfang der Ausbildung hat man sich überlegt, für was macht man hier den ganzen Drill? Für was steht man jeden Tag früh auf und übt bis abends immer dasselbe? Bis dann unsere Ausbilder gesagt haben: Ihr werdet den Lohn für Eure Arbeit noch bekommen."
"Wo ist der Reiz der Arbeit? Dass man die Möglichkeit hat, diese hohen Persönlichkeiten mal live zu sehen. Weil, näher als wir, kommt eigentlich kaum einer."
"Ja, bitte? Ja. Für einen König nur einen 16er? Wunderbar."
16er heißt: Der König wird am Flughafen nur von 16 Soldaten empfangen, nicht von 19, wie geplant. Das Flugzeug seiner Majestät ist kleiner als erwartet, 19 Soldaten würden merkwürdig aussehen. Hauptmann Hohmann ist der Chef von Kühn und Kunze. Er rollt den Schreibtischstuhl hinter seinem Schreibtisch hervor, schlägt die Beine übereinander. 40 Tage hat der Hauptmann mit jungenhaftem Gesicht Zeit, um aus ungedienten Zivilisten protokolltaugliche Gardesoldaten machen.
"Am liebsten wäre es uns natürlich, wenn ein Soldat, der zu uns kommt, durch die familiäre Erziehung, die schulische Erziehung, kein Problem damit hat, Disziplin auszuführen und das zu tun, was man ihm sagt. Weil wir uns darauf verlassen müssen, wenn ein man vorne ’Das Gewehr über!’ sagt, dass nicht ein Mann - ich sag es salopp – alt-68er-mäßig sagt: Ne, ich mach das jetzt nicht, weil wir das Bild der Bundesrepublik Deutschland nach außen vertreten und das können wir uns nicht erlauben, dass da einer sagt, ich mach jetzt nicht mit."
Hohmanns Blick ruht fest auf seinem Gegenüber. Er weiß: Auch ohne den Einfluss linksalternativer Eltern kann der Dienst im Wachbataillon eintönig, ja langweilig erscheinen.
"Würde ich sagen: Jawohl, kann ich nicht gegen reden. Weil, wenn ein Soldat bei uns die Protokollgrundausbildung durchführt, 40 Tage lang und hier acht Stunden auf dem Ex-Platz steht, dann ist das langweilig. Im Endeffekt merkt der Soldat erst, wenn er protokollausgebildet ist und seine Großeltern, Eltern, Freunde in anrufen, weil man ihn im Fernsehen gesehen hat, dass da das Feedback kommt: stolz, dass man ihn gesehen hat, gut, dass er dabei war. Die Jungs sehen dann auch: Jawohl, ich sehe unsere Bundeskanzlerin, den Bundespräsidenten: heute für meine Jungs das erste Mal, da sind die stolz."
"Für mich ist es schon eine Ehre. Ich würde nichts anderes mehr machen wollen. Andere müssen um diese Zeit mit dem Panzer irgendwo herumfahren oder durch den Dreck kriechen bei der Kälte und wir dürfen uns hier in Schale werfen und dürfen den König sehen - ist schon cool, freut man sich."
Ehrenposten Sebastian Kunze lehnt in seiner dunklen Marine-Uniform am Türrahmen und schaut auf den Flur. 19 Soldaten stellen sich vor ihrem Zugführer auf, das Ehrenspalier rückt gleich zum Flughafen aus. Ihr Chef schreitet die Reihen ab und mustert seine Jungs wie eine Mutter vor dem Abschlussball.
"”Jetzt werden die Anzüge überprüft. Also Stiefelputz, Hosensitz, Krawattensitz ist immer sehr wichtig, weil, es muss auch der Zug einheitliche Größe haben vom Krawattenknoten.""
"Warten ist immer, Warten ist der einzige Negativ-Aspekt hier beim Wachbataillon. Da heißt es immer viel: Warten, warten. Na ja."
Doch so langsam müssen auch Kunze und Kühn runter zum Bus.
"Aufgeregt kann man nicht sagen. Bisschen Lampenfieber vielleicht. Ist ja nun der erste Einsatz für mich und für den Kameraden Kühn als Ehrenposten und für die anderen eigentlich auch der erste richtig große Einsatz, ja, aber ich denke mal, es wird schon alles klappen."
Sebastian Kunze blickt an seiner schwarzen Hose hinunter, eine scharfe Bügelfalte, dann die glänzenden Stiefel. Nervös machen ihn Gedanken an die lange Treppe hoch zum Eingang des Schloss Bellevue.
"Man sieht halt nicht, wo man hintritt genau. Man muss sich langsam rantasten an die Treppen. Man darf halt nicht abrutschen. Beim runtergehen ist es schon vorgekommen, dass einer hängen bleibt und dann ist der eine schon unten und der andere noch nicht. Das muss schon einheitlich wirken, ist sehr heikel die Sache."
Vor den Reise-Bussen sind Kreidestriche auf den Asphalt gezogen. Die Soldaten stellen sich auf, durchzählen, einsteigen. Jeder trägt einen Mantelsack mit dem dunklen Colani vorsichtig vor sich her.
Oberfeldwebel Schönrock, der Ehrenpostenführer, sitzt am Steuer. Seine Epos Kühn und Kunze hocken schweigend auf dem Rücksitz, kneten ihre weißen Handschuhe und schauen aus dem Fenster: Berlin Mitte, Reichstag, Schloss Bellevue. Der Kleinbus mit den Ehrenposten wird durchgewunken, man kennt sich.
Sebastian Kunze greift sich eine blaue Tasche mit Schuhputzzeug und weißen Ersatzhemden. Die drei Soldaten gehen durch eine Toreinfahrt und kommen in den Vorgarten des Schloss Bellevue, das eierschalenfarben in der Sonne leuchtet. Oberfeldwebel Schönrock steuert direkt auf den Haupteingang mit der schweren, braunen Holztür zu.
"So, da sind eure Treppen."
"So viel!"
"Ja, da werden wir gleich noch mal schick vorüben."
"Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben: Wir werden anpeilen die fünfte Reihe."
Patrick Schönrock zählt die Fliesenreihen neben der Treppe und legt fest, auf welcher Fliesenkante Kühn und Kunze in Richtung Treppe marschieren sollen, um dann zur braunen Eichentür hochzugehen, sich einmal zu drehen und auf der gelben Kreide-Markierung Posten zu beziehen.
Sebastian Kunze und Matthias Kühne schreiten mehrmals alle Stellen ab. An den Stufen nach oben zur Tür kommt Sebastian aus dem Tritt, stolpert fast.
"Warst du hängen geblieben?"
"Ja. Ist nicht so einfach. Mitzählen, sonst hat man verloren, und das habe ich vorhin nicht gemacht."
Oberfeldwebel Schönrock will auch, dass die Schritte gut zu hören sind, satt klingen.
"Bei hoch war schön laut und bei runter war gar nichts zu hören. Da muss die Resonanz passen, ja?"
Generalprobe. Patrick Schönrock beschreibt die Szene.
"Fahrzeugkolonne Gast nährt sich. Ehrenposten! Still gestanden! Fahrzeugkolonne kommt zum Stehen, Gast steigt aus. Achtung! Präsentiert das Gewehr! Augen rechts! Gast und Gastgeber laufen den Teppich hoch, verschwinden im Gebäude."
Der Rest des Wachbataillons samt Stabsmusikchor marschiert in den Schlossgarten, vorbei an Gärtnern, die Laub haken und dabei telefonieren. 380 Soldaten drehen eine große Runde im Park und bleiben vor der Terrasse stehen. Im Pflaster eingravierte Linien zeigen den richtigen Standort. Ein Mann im grauen Anzug putzt mit einem Staubwedel an einer langen Stange Fensterrahmen und Fassade. Die norwegische Flagge weht träge im Wind, der Himmel ist blau. Die goldenen Standen des roten Teppichs glänzen in der Sonne. Kaiserwetter für den König.
Auf dem kurzen Edel-Rasen vor der Treppe zum Haupteingang haben sich Fernsehteams und Fotografen ihre Plätze gesichert. Erste Limousinen fahren vor, Staatssekretäre eilen die Stufen hoch.
12:13 Uhr: Rechts der Treppe stehen die beiden Ehrenposten Kühn und Kunze und schlagen sich Fussel von der schwarzen Hose. Weiße Marinemütze, schwarzer Mantel, glänzende Stiefel, brauner Karabiner. In zwei Minuten sollen sie auf ihrem Posten neben der Tür stehen.
"Wird schon klappen. Selbst wenn mal ein paar Ungereimtheiten sein sollten, nichts anmerken lassen, die meisten Fehler fallen gar nicht auf."
Oberfeldwebel Patrick Schönrock zieht die Mäntel seiner Jungs unter dem breiten Gürtel nach hinten.
"Ich führe jetzt noch mal durch eine sogenannte Anzugsüberprüfung. Da wird der Anzug noch mal hin und her gezupft, für den ersten Eindruck. Wenn man erstmal gegriffen hat und die Arme hochgenommen wurden, passt das eh nicht mehr. Aber für den ersten Eindruck versucht man die Falten von vorne nach hinten zu ziehen, wo sie der Gast nicht so schnell sieht."
Dann beziehen die beiden, beobachtet von den wartenden Journalisten, ihren Posten neben der Eingangstür zum Schloss.
"Achtung! Marsch!"
Bundespräsident Horst Köhler tritt mit Gattin aus der Tür, wartet auf der Treppe, keine zwei Meter von den Ehrenposten entfernt. Beide starren geradeaus, Kunze hat seine Beine zu weit auseinander. Dann fährt König Harald V. von Norwegen vor.
Der Bundespräsident begrüßt seine Exzellenz, führt in die Treppe hoch ins Schloss. Die Ehrenposten beachtet niemand. Ihre Blicke folgen dem König; dann Augen gerade aus, stramm stehen und Karabiner halten.
Im Garten hinter dem Schloss steht das Wachbataillon aufgereiht. Heer in grauer Uniform mit grünem Barett, die Marine in schwarzem Colani und weißer Mütze, die Luftwaffe blau. König Harald V. und Bundespräsident Horst Köhler stehen auf einem Podest und beobachten das bewaffnete Staatsballett.
"Das Gewehr über! Achtung! Präsentiert das Gewehr! Zur Meldung Augen rechts!"
König Harald V. und Bundespräsident Köhler drehen eine Runde im Park, durch eine Kordel getrennt von handverlesenen Gästen, meist Frauen und Kinder.
Köhler und König ziehen sich ins Schloss zurück. Das Wachbataillon marschiert ab, beobachtet von einem Mann im Schatten des Schlosses. Er trägt graue Uniform und rotes Barett. Protokollfeldwebel Torsten Leo hat heute Morgen die Übung geleitet. Der Auftritt seiner Jungs vor dem König war nicht synchron, sagt er:
"Nicht hundertprozentig, für den Laien nicht zu erkennen, aber wenn man das jeden Tag macht, fällt einem das schon auf. Es waren Kleinigkeiten am Griff von der Einheitlichkeit her, das macht die Masse eigentlich aus, weshalb der Einsatz nicht mit einer ’sehr gut’ bewertet werden kann."
Nach drei Stunden rauscht die Limousine mit dem König vom Schloss-Hof. Am hohen Eisenzaun haben sich etwa dreißig Schaulustige versammelt. Sie winken, der König winkt zurück. Drei Stunden haben die Ehrenposten Kunze und Kühn reglos, den schweren Karabiner im Arm, neben der Schlosstür gestanden. Aus zweihundert Meter Entfernung beobachten die Passanten am Zaun jetzt, wie die Gefreiten die Treppe hinunterschreiten. Niemand bemerkt ihre Fehler, die Begeisterung hält sich dennoch in Grenzen.
"Ein bisschen altmodisch. Ein Ritual, das Anfang des 21. Jahrhunderts etwas befremdlich wirkt."
"Unmenschlich finde ich das, asozial, weil, sozial ist das nicht, dass die über Stunden da still stehen müssen."
"Um Gäste willkommen zu heißen, mag es seinen Sinn geben. Frage ist, gäbe es Alternativen dazu. Ich habe manchmal den Eindruck, bei Empfängen in anderen Ländern, dass es da ein bisschen freier wirkt, nicht so formell."
Mit roten Köpfen, die Mäntel über der Schuler, schlurfen die beiden Ehrenposten Sebastian Kunze und Matthias Kühn hinter ihrem Anführer her zurück zum Kleinbus am Nebeneingang des Schlosses. Ihr erster großer Einsatz für das Wachbataillon verlief nicht gut: die Treppe.
"”Da sagt wohl besser der Ehrenpostenführer was dazu.""
"Für den ersten Einsatz war es echt nicht verkehrt. Aber ich bin ein bisschen bedient über das gesamte Ablaufen, weil: Wir haben es vorgeübt, vorgeübt, vorgeübt und dann passieren so banale Dinge, dass sie die Treppe runter stolpern so halb, das darf einfach nicht passieren. Für den ersten Einsatz war es okay, aber da es benotet werden muss, ist es nicht besser als vier zu bewerten."
Sebastian Kunze legt den Karabiner in den Kofferraum, wirft seine Tasche mit dem Schuhputzzeug hinterher. Monatelanger Drill, früh aufstehen, immer wieder Karabiner rauf, runter, rauf, runter, stundenlang, tagelang. Für was? "So nah wie wir, kommt kaum jemand an die Mächtigen heran”, hatte Sebastian Kunze gesagt.
"Vorher stellt man sich vor, wie das ist. Und wenn es dann soweit ist, na ja, dann ist es auch nicht so besonders. Ist eigentlich auch nur ein Mensch."
"Tag, Herr Bundespräsident!"
"Marine-Teile nicht ganz so schnell! Jedes Wort für sich. Noch einmal. Tag, Soldaten."
"Tag, Herr Bundespräsident!"
"Ehrenformation, rührt Euch! Ausschütteln!"
Bewaffnetes Staatsballett - wie das Wachbataillon der Bundeswehr einen Staatsgast empfängt. Eine Reportage von Philip Banse.
"Bequem stehen, hersehen! Wir werden jetzt durchführen das Vorüben für den Einsatz heute 12 Uhr 30 im Schloss Bellevue für den König von Norwegen. Ablauf wie folgt: Wir machen einmal den Aus- und Einmarsch und dann den kompletten Ablauf durch."
Die Sonne geht auf hinter den Gebäuden der Julius-Leber-Kaserne nahe des Berliner Flughafens Tegel. Die Wipfel der Fichten leuchten gelb im Morgenlicht. Im Schatten der Bäume liegt schwarz und rutschig vom Raureif der Exerzierplatz, groß wie ein Fußballfeld und asphaltiert wie ein Parkplatz.
350 Soldaten des Wachbataillons stehen stramm, in drei Reihen hintereinander, Blicke geradeaus. Sie tragen dunkle Hosen, dunkle Mäntel, weiße Handschuhe, den hölzernen Karabiner - 1935 Standardwaffe der Wehrmacht - neben dem Stiefel auf den Asphalt gestemmt. Generalprobe für einen Staatsbesuch. Ein Soldat liest die Regieanweisungen: "Bundespräsident und der König von Norwegen betreten den Schlossgarten!" Zwei Soldaten steigen auf ein rotes Holzpodest, spielen König und Bundespräsident, oder wie sie hier sagen: "König und BuPrä."
"Druck auf die Karabiner! Das Gewehr über! Wieder! Letzter Mann, Marine, erster Waffenzug! Halt die Pause fest!"
Das Wachbataillon der Bundeswehr soll im Krisenfall die Bundesregierung schützen. In Friedenszeiten begrüßen die 1800 Soldaten Staatsgäste, stehen stramm am roten Teppich, wenn Politiker an ihnen vorüber gehen und kommen so oft ins Fernsehen. Der König von Norwegen bekommt heute das volle Programm: 19 Soldaten schon am Flughafen, Salutschüsse aus Feldhaubitzen. Im Garten des Schloss Bellevue beim Bundespräsidenten dann die größte Ehrenformation: Das Wachbataillon und der Stabsmusikchor: 380 Soldaten.
Am Rande es Übungsplatzes reiben sich Matthias Kühn und Sebastian Kunze in glänzenden Stiefeln, dunklem Mantel ihre kalten Hände. Spöttisch lächelnd beobachten die beiden Gefreiten mit roten Wangen ihre Kameraden. Das Wachbataillon muss nicht viel mehr machen, als einmarschieren, das Gewehr vom Boden an die Schulter nehmen, wieder absetzen, hochheben und abmarschieren.
Wäre da nicht das Motto der Truppe: "Semper talis", lateinisch für "stets gleich", so stand es schon auf den Mützen der Riesengarde des Soldatenkönigs, Friedrich Wilhelm I. von Preußen. Dieser Schlachtruf ist auch bei den Gefreiten Kühn und Kunze auf den Oberarm gestickt. Die Bewegungen der Soldaten sollen synchron ablaufen, zackig, aus einem Guss, sagt der 19-jährige Matthias Kühn:
"Und das ist die hohe Kunst, die Perfektion zu erreichen, dass wirklich alle zur selben Zeit die selbe Bewegung mit dem Karabiner ausführen, dass es am Ende einen Schlag ergibt, einen Knall und eine Bewegung."
Weil die Soldaten sich gegenseitig jedoch kaum sehen, ist jede Bewegung in drei bis vier Takte unterteilt. Der Paradedienstfeldwebel muss seine Jungs vor dem Besuch des Königs noch mal auf einen gemeinsamen Rhythmus einschwören:
"Wenn wir jetzt das Kleine aber Feine noch rausbekommen, das wäre nicht schlecht. Wenn ihr das Drei greift, wippt Euer Körper nach, das ist Scheiße. Nur mit den Armen arbeiten, der Körper bleibt gerade stehen. Nichts wippt nach, null! Das ist professionell!"
Die Hände in weißen Handschuhen auf dem Rücken, das glattrasierte und in der Morgensonne braun glänzende Kinn vorgestreckt - Oberstleutnant Frank Schuster, Chef des Wachbataillons beobachtet seine Jungs. "Erster Einsatz nach dem Urlaub?", fragt er und schüttelt den Kopf. Wenn 350 Karabiner auf den Asphalt donnern, soll es einen Schlag geben, nicht 350. Das Wort vom bewaffneten Ballett hört der Oberstleutnant nicht gerne.
"Ballett hieße, dass es eine Show-Truppe wäre, das ist es eigentlich nicht. Es soll die Streitkräfte repräsentieren und letztlich auch die Präzision, mit der die Streitkräfte allgemein arbeiten können. Das ist die Botschaft, die rüber gebracht werden soll. Ein Zeichen von Stärke, von Souveränität und eben, dass man diese Stärke und Souveränität einem Staatsgast zu Teil werden lässt. Ich würde nicht sagen, dass das Ballett ist, absolut nicht."
"Ins Präsentieren. Erster Waffenzug Heer - wahnsinnig, oder was?"
"Einer ist gerade hängen geblieben an seiner Jacke, dadurch ist der Karabiner unten geblieben, er hat ihn nicht richtig hochgezogen und wenn da nur einer ist - und dann noch im ersten Glied - fällt das sofort auf."
Gefreiter Sebastian Kühn, 20, blickt zu seinen Kameraden hinüber.
"Also im Einsatz darf so was nicht passieren, dass der Karabiner unten stehen bleibt, dann ist sofort Note sechs, durchgefallen. Wenn einer so einen Fehler macht, dürfen alle nach dem Einsatz noch mal eine Runde üben. Und dass ist dann nicht sehr angenehm."
"Die Marinemützen sind sehr, sehr anfällig was die Hauben angeht und da ist es besser, wenn man einen kleinen Schutz drüber hat."
Matthias Kühn hält die Marinemütze in der Hand, "Wachbataillon" steht in Gold auf der Krempe. Die Stube der Gefreiten Kühn und Kunze. Block der zweiten Kompanie, Ebene drei, Zug, Zimmer 311. Zwei Doppelbetten aus Stahl. Im Schrank hängen Uniformen aller drei Teilstreikkräfte der Bundeswehr: Heer, Marine, Luftwaffe. Denn das Wachbataillon soll alle Truppenteile repräsentieren. Sebastian Kühn trägt stets andere Uniformen, je nach Anlass. Die Türken zum Beispiel wollen von Soldaten in Marineuniformen begrüßt werden. Auch für den König aus Norwegen sind Kühn und Kunze Marinesoldaten.
"Jetzt haben wir unsere Marinekleidung angelegt. Das ist die Matrosenhose, dann hier das weiße Matrosenhemd mit dem weiten, blauen Kragen. Und vorne kommt dann noch der Marineknoten, der kommt erst später."
Normalerweise stehen Sebastian Kühn und Matthias Kunze auch in der Ehrenformation. Aber heute haben sie eine besondere Aufgabe: Erstmals sind sie als Epos eingeteilt, Ehrenposten, die links und rechts des Haupteingangs zum Schloss stehen. Zwischen Kühn und Kunze wird der König hindurchgehen. Dann werden die beiden stramm stehen, den Karabiner an der Schulter, das leere Magazin zum Gast als Zeichen der Freundschaft. So werden sie stehen bis der König das Schloss wieder verlässt. Das kann Stunden dauern.
In die Stube kommt Oberfeldwebel Schönrock, Bürstenhaarschnitt, schmale Augen. Patrick Schönrock betreut Kühn und Kunze bei ihrem ersten Einsatz als Ehrenposten. Die beiden sind ausgewählt worden, sagt der Oberfeldwebel ernst, weil nur wenige die Karabiner-Akrobatik so sicher beherrschen wie die Kameraden Kühn und Kunze.
"Ehrenposten bekommen die besten Greifer des Zuges. Ehrenposten ist schon eine sehr ehrenvolle Aufgabe. Viele verkennen das immer ein bisschen, sehen immer nur die lange Stehzeit, den Nachdienst, so wie nachher 16:45 Uhr bis 17:15 Uhr noch mal im Bundeskanzleramt zu stehen, das sehen viele als lästig an, andere sehen das aber als ehrenvolle Aufgabe, die Gäste auch mal hautnah zu erleben, weil so nah wie die beiden kommen nicht viele an den König von Norwegen ran und von daher denke ich schon, dass es eine gute und sinnvolle Aufgabe ist."
Sebastian Kunze und Matthias Kühn sind wie fast alle Soldaten des Wachbataillons Wehrpflichtige. Gleich bei der Musterung war klar, sie erfüllen alle Voraussetzungen: Kein Bart, keine Brille, kein Bauch, körperlich fit und zwischen 1,78 m und 1,96 m groß. Drei Monate durften sie ihn kennenlernen, ihren Karabiner 98k, Gewicht: fast vier Kilo.
"Das äußert sich beispielsweise, dass man am Tag 600, 700 Mal den Karabiner anhebt und wieder abstellt. Also, zu Beginn der Ausbildung immer nur diese eine monotone Bewegung. Bis ihn wirklich alle zur gleichen Zeit anheben und zur gleichen Zeit wieder fertig sind."
"Jetzt ist das Leben ein bisschen lockerer. Man feilt natürlich noch an der Technik, weil hundertprozentig perfekt ist es fast nie zu erreichen, weil immer noch kleine Fehler gesehen werden. So übt man noch an einigen Tagen, bereitet seine Anzüge vor, Bügeln ist häufiger Bestandteil, Schuhe putzen, auf Hochglanz polieren, das sind die häufigsten Tätigkeiten."
Immerhin gut 500 Einsätze hat das Wachbataillon jedes Jahr, also jeden Tag ein bis zwei Mal aufmarschieren, stramm stehen, Karabiner rauf und runter - ein und zwei und drei. Sebastian Kunze muss lächeln.
"Am Anfang der Ausbildung hat man sich überlegt, für was macht man hier den ganzen Drill? Für was steht man jeden Tag früh auf und übt bis abends immer dasselbe? Bis dann unsere Ausbilder gesagt haben: Ihr werdet den Lohn für Eure Arbeit noch bekommen."
"Wo ist der Reiz der Arbeit? Dass man die Möglichkeit hat, diese hohen Persönlichkeiten mal live zu sehen. Weil, näher als wir, kommt eigentlich kaum einer."
"Ja, bitte? Ja. Für einen König nur einen 16er? Wunderbar."
16er heißt: Der König wird am Flughafen nur von 16 Soldaten empfangen, nicht von 19, wie geplant. Das Flugzeug seiner Majestät ist kleiner als erwartet, 19 Soldaten würden merkwürdig aussehen. Hauptmann Hohmann ist der Chef von Kühn und Kunze. Er rollt den Schreibtischstuhl hinter seinem Schreibtisch hervor, schlägt die Beine übereinander. 40 Tage hat der Hauptmann mit jungenhaftem Gesicht Zeit, um aus ungedienten Zivilisten protokolltaugliche Gardesoldaten machen.
"Am liebsten wäre es uns natürlich, wenn ein Soldat, der zu uns kommt, durch die familiäre Erziehung, die schulische Erziehung, kein Problem damit hat, Disziplin auszuführen und das zu tun, was man ihm sagt. Weil wir uns darauf verlassen müssen, wenn ein man vorne ’Das Gewehr über!’ sagt, dass nicht ein Mann - ich sag es salopp – alt-68er-mäßig sagt: Ne, ich mach das jetzt nicht, weil wir das Bild der Bundesrepublik Deutschland nach außen vertreten und das können wir uns nicht erlauben, dass da einer sagt, ich mach jetzt nicht mit."
Hohmanns Blick ruht fest auf seinem Gegenüber. Er weiß: Auch ohne den Einfluss linksalternativer Eltern kann der Dienst im Wachbataillon eintönig, ja langweilig erscheinen.
"Würde ich sagen: Jawohl, kann ich nicht gegen reden. Weil, wenn ein Soldat bei uns die Protokollgrundausbildung durchführt, 40 Tage lang und hier acht Stunden auf dem Ex-Platz steht, dann ist das langweilig. Im Endeffekt merkt der Soldat erst, wenn er protokollausgebildet ist und seine Großeltern, Eltern, Freunde in anrufen, weil man ihn im Fernsehen gesehen hat, dass da das Feedback kommt: stolz, dass man ihn gesehen hat, gut, dass er dabei war. Die Jungs sehen dann auch: Jawohl, ich sehe unsere Bundeskanzlerin, den Bundespräsidenten: heute für meine Jungs das erste Mal, da sind die stolz."
"Für mich ist es schon eine Ehre. Ich würde nichts anderes mehr machen wollen. Andere müssen um diese Zeit mit dem Panzer irgendwo herumfahren oder durch den Dreck kriechen bei der Kälte und wir dürfen uns hier in Schale werfen und dürfen den König sehen - ist schon cool, freut man sich."
Ehrenposten Sebastian Kunze lehnt in seiner dunklen Marine-Uniform am Türrahmen und schaut auf den Flur. 19 Soldaten stellen sich vor ihrem Zugführer auf, das Ehrenspalier rückt gleich zum Flughafen aus. Ihr Chef schreitet die Reihen ab und mustert seine Jungs wie eine Mutter vor dem Abschlussball.
"”Jetzt werden die Anzüge überprüft. Also Stiefelputz, Hosensitz, Krawattensitz ist immer sehr wichtig, weil, es muss auch der Zug einheitliche Größe haben vom Krawattenknoten.""
"Warten ist immer, Warten ist der einzige Negativ-Aspekt hier beim Wachbataillon. Da heißt es immer viel: Warten, warten. Na ja."
Doch so langsam müssen auch Kunze und Kühn runter zum Bus.
"Aufgeregt kann man nicht sagen. Bisschen Lampenfieber vielleicht. Ist ja nun der erste Einsatz für mich und für den Kameraden Kühn als Ehrenposten und für die anderen eigentlich auch der erste richtig große Einsatz, ja, aber ich denke mal, es wird schon alles klappen."
Sebastian Kunze blickt an seiner schwarzen Hose hinunter, eine scharfe Bügelfalte, dann die glänzenden Stiefel. Nervös machen ihn Gedanken an die lange Treppe hoch zum Eingang des Schloss Bellevue.
"Man sieht halt nicht, wo man hintritt genau. Man muss sich langsam rantasten an die Treppen. Man darf halt nicht abrutschen. Beim runtergehen ist es schon vorgekommen, dass einer hängen bleibt und dann ist der eine schon unten und der andere noch nicht. Das muss schon einheitlich wirken, ist sehr heikel die Sache."
Vor den Reise-Bussen sind Kreidestriche auf den Asphalt gezogen. Die Soldaten stellen sich auf, durchzählen, einsteigen. Jeder trägt einen Mantelsack mit dem dunklen Colani vorsichtig vor sich her.
Oberfeldwebel Schönrock, der Ehrenpostenführer, sitzt am Steuer. Seine Epos Kühn und Kunze hocken schweigend auf dem Rücksitz, kneten ihre weißen Handschuhe und schauen aus dem Fenster: Berlin Mitte, Reichstag, Schloss Bellevue. Der Kleinbus mit den Ehrenposten wird durchgewunken, man kennt sich.
Sebastian Kunze greift sich eine blaue Tasche mit Schuhputzzeug und weißen Ersatzhemden. Die drei Soldaten gehen durch eine Toreinfahrt und kommen in den Vorgarten des Schloss Bellevue, das eierschalenfarben in der Sonne leuchtet. Oberfeldwebel Schönrock steuert direkt auf den Haupteingang mit der schweren, braunen Holztür zu.
"So, da sind eure Treppen."
"So viel!"
"Ja, da werden wir gleich noch mal schick vorüben."
"Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben: Wir werden anpeilen die fünfte Reihe."
Patrick Schönrock zählt die Fliesenreihen neben der Treppe und legt fest, auf welcher Fliesenkante Kühn und Kunze in Richtung Treppe marschieren sollen, um dann zur braunen Eichentür hochzugehen, sich einmal zu drehen und auf der gelben Kreide-Markierung Posten zu beziehen.
Sebastian Kunze und Matthias Kühne schreiten mehrmals alle Stellen ab. An den Stufen nach oben zur Tür kommt Sebastian aus dem Tritt, stolpert fast.
"Warst du hängen geblieben?"
"Ja. Ist nicht so einfach. Mitzählen, sonst hat man verloren, und das habe ich vorhin nicht gemacht."
Oberfeldwebel Schönrock will auch, dass die Schritte gut zu hören sind, satt klingen.
"Bei hoch war schön laut und bei runter war gar nichts zu hören. Da muss die Resonanz passen, ja?"
Generalprobe. Patrick Schönrock beschreibt die Szene.
"Fahrzeugkolonne Gast nährt sich. Ehrenposten! Still gestanden! Fahrzeugkolonne kommt zum Stehen, Gast steigt aus. Achtung! Präsentiert das Gewehr! Augen rechts! Gast und Gastgeber laufen den Teppich hoch, verschwinden im Gebäude."
Der Rest des Wachbataillons samt Stabsmusikchor marschiert in den Schlossgarten, vorbei an Gärtnern, die Laub haken und dabei telefonieren. 380 Soldaten drehen eine große Runde im Park und bleiben vor der Terrasse stehen. Im Pflaster eingravierte Linien zeigen den richtigen Standort. Ein Mann im grauen Anzug putzt mit einem Staubwedel an einer langen Stange Fensterrahmen und Fassade. Die norwegische Flagge weht träge im Wind, der Himmel ist blau. Die goldenen Standen des roten Teppichs glänzen in der Sonne. Kaiserwetter für den König.
Auf dem kurzen Edel-Rasen vor der Treppe zum Haupteingang haben sich Fernsehteams und Fotografen ihre Plätze gesichert. Erste Limousinen fahren vor, Staatssekretäre eilen die Stufen hoch.
12:13 Uhr: Rechts der Treppe stehen die beiden Ehrenposten Kühn und Kunze und schlagen sich Fussel von der schwarzen Hose. Weiße Marinemütze, schwarzer Mantel, glänzende Stiefel, brauner Karabiner. In zwei Minuten sollen sie auf ihrem Posten neben der Tür stehen.
"Wird schon klappen. Selbst wenn mal ein paar Ungereimtheiten sein sollten, nichts anmerken lassen, die meisten Fehler fallen gar nicht auf."
Oberfeldwebel Patrick Schönrock zieht die Mäntel seiner Jungs unter dem breiten Gürtel nach hinten.
"Ich führe jetzt noch mal durch eine sogenannte Anzugsüberprüfung. Da wird der Anzug noch mal hin und her gezupft, für den ersten Eindruck. Wenn man erstmal gegriffen hat und die Arme hochgenommen wurden, passt das eh nicht mehr. Aber für den ersten Eindruck versucht man die Falten von vorne nach hinten zu ziehen, wo sie der Gast nicht so schnell sieht."
Dann beziehen die beiden, beobachtet von den wartenden Journalisten, ihren Posten neben der Eingangstür zum Schloss.
"Achtung! Marsch!"
Bundespräsident Horst Köhler tritt mit Gattin aus der Tür, wartet auf der Treppe, keine zwei Meter von den Ehrenposten entfernt. Beide starren geradeaus, Kunze hat seine Beine zu weit auseinander. Dann fährt König Harald V. von Norwegen vor.
Der Bundespräsident begrüßt seine Exzellenz, führt in die Treppe hoch ins Schloss. Die Ehrenposten beachtet niemand. Ihre Blicke folgen dem König; dann Augen gerade aus, stramm stehen und Karabiner halten.
Im Garten hinter dem Schloss steht das Wachbataillon aufgereiht. Heer in grauer Uniform mit grünem Barett, die Marine in schwarzem Colani und weißer Mütze, die Luftwaffe blau. König Harald V. und Bundespräsident Horst Köhler stehen auf einem Podest und beobachten das bewaffnete Staatsballett.
"Das Gewehr über! Achtung! Präsentiert das Gewehr! Zur Meldung Augen rechts!"
König Harald V. und Bundespräsident Köhler drehen eine Runde im Park, durch eine Kordel getrennt von handverlesenen Gästen, meist Frauen und Kinder.
Köhler und König ziehen sich ins Schloss zurück. Das Wachbataillon marschiert ab, beobachtet von einem Mann im Schatten des Schlosses. Er trägt graue Uniform und rotes Barett. Protokollfeldwebel Torsten Leo hat heute Morgen die Übung geleitet. Der Auftritt seiner Jungs vor dem König war nicht synchron, sagt er:
"Nicht hundertprozentig, für den Laien nicht zu erkennen, aber wenn man das jeden Tag macht, fällt einem das schon auf. Es waren Kleinigkeiten am Griff von der Einheitlichkeit her, das macht die Masse eigentlich aus, weshalb der Einsatz nicht mit einer ’sehr gut’ bewertet werden kann."
Nach drei Stunden rauscht die Limousine mit dem König vom Schloss-Hof. Am hohen Eisenzaun haben sich etwa dreißig Schaulustige versammelt. Sie winken, der König winkt zurück. Drei Stunden haben die Ehrenposten Kunze und Kühn reglos, den schweren Karabiner im Arm, neben der Schlosstür gestanden. Aus zweihundert Meter Entfernung beobachten die Passanten am Zaun jetzt, wie die Gefreiten die Treppe hinunterschreiten. Niemand bemerkt ihre Fehler, die Begeisterung hält sich dennoch in Grenzen.
"Ein bisschen altmodisch. Ein Ritual, das Anfang des 21. Jahrhunderts etwas befremdlich wirkt."
"Unmenschlich finde ich das, asozial, weil, sozial ist das nicht, dass die über Stunden da still stehen müssen."
"Um Gäste willkommen zu heißen, mag es seinen Sinn geben. Frage ist, gäbe es Alternativen dazu. Ich habe manchmal den Eindruck, bei Empfängen in anderen Ländern, dass es da ein bisschen freier wirkt, nicht so formell."
Mit roten Köpfen, die Mäntel über der Schuler, schlurfen die beiden Ehrenposten Sebastian Kunze und Matthias Kühn hinter ihrem Anführer her zurück zum Kleinbus am Nebeneingang des Schlosses. Ihr erster großer Einsatz für das Wachbataillon verlief nicht gut: die Treppe.
"”Da sagt wohl besser der Ehrenpostenführer was dazu.""
"Für den ersten Einsatz war es echt nicht verkehrt. Aber ich bin ein bisschen bedient über das gesamte Ablaufen, weil: Wir haben es vorgeübt, vorgeübt, vorgeübt und dann passieren so banale Dinge, dass sie die Treppe runter stolpern so halb, das darf einfach nicht passieren. Für den ersten Einsatz war es okay, aber da es benotet werden muss, ist es nicht besser als vier zu bewerten."
Sebastian Kunze legt den Karabiner in den Kofferraum, wirft seine Tasche mit dem Schuhputzzeug hinterher. Monatelanger Drill, früh aufstehen, immer wieder Karabiner rauf, runter, rauf, runter, stundenlang, tagelang. Für was? "So nah wie wir, kommt kaum jemand an die Mächtigen heran”, hatte Sebastian Kunze gesagt.
"Vorher stellt man sich vor, wie das ist. Und wenn es dann soweit ist, na ja, dann ist es auch nicht so besonders. Ist eigentlich auch nur ein Mensch."