Fit trotz Bürostress
"Keine Zeit für Sport", "Zu müde nach der Arbeit" - diese Ausreden hört man häufig. Dabei ist es durchaus möglich, Job und Bewegung miteinander zu vereinbaren. Und dies geht nicht nur durch Trainings privater Anbieter, sondern auch durch Bewegungsangebote in den Unternehmen.
Ein Park in Berlin morgens um 7.30 Uhr. Es ist ein grauer Wintertag mit eisigen Temperaturen. Hundehalter, die zügigen Schritts mit ihren Vierbeinern die erste Gassi-Runde gehen, sind unterwegs und auf einer Wiese zwei Männer. Der eine, Bernd Fastenrath, ist Manager.
"Ich arbeite bei einem Technologie-Unternehmen als Produktmanager. Mit vielen Reisen, langen Tagen, natürlich auch Kollegen in den USA, haben Kollegen in Asien. Das heißt ich bin früh morgens schon am Telefon oder dann auch spätabends. Ein großer Teil meiner Arbeit besteht darin entweder in einem Fahrzeug zu sitzen oder an meinem Schreibtisch zu sitzen und deswegen der Sport am Morgen für die Mobilität und für das gute Gefühl im Büro."
Doch vor dem guten Gefühl steht ein anstrengendes Training unter der Anleitung seines Personal Trainers Dr. Michèl Gleich. Der ehemalige Soldat einer Spezialeinheit arbeitete nach seiner Zeit bei der Bundeswehr als Akademieleiter in einem Automobilkonzern. Er kennt den Arbeitsalltag in Großkonzernen zur Genüge und ist überzeugt davon, dass regelmäßiges Training der Mitarbeiter immer auch dem Unternehmen zu Gute kommt.
"Unternehmen arbeiten ja letztlich auch in Anführungsstrichen mit Ausfallzeiten der Mitarbeiter. Und es ist natürlich klar, wenn die Mitarbeiter gesünder sind und was für die Gesundheit tun, dann haben sie auch dementsprechend weniger Krankheitstage im Jahr und stehen dem Unternehmen auch mehr und besser zur Verfügung. Da hat ein Umdenken stattgefunden, dass man sagt, wir legen nicht nur den Fokus auf die fachliche Weiterbildung der Mitarbeiter und Führungskräfte sondern auch letztlich auf die gesundheitliche Weiterbildung."
Dauerndes Sitzen vermindert die Lebenserwartung
Dass das unerlässlich ist, belegen Studien seit Jahren. Gesundheitsexperten und Wissenschaftler gehen z.B. laut einer britischen Studie davon aus, dass bereits bei 6 Stunden Sitzen am Tag die Lebenserwartung um 20% sinken kann. Und die Auswirkungen des Bewegungsmangels schlagen auch in der Wirtschaft deutlich zu Buche, sagt Michaela Hombrecher, Mitautorin der Bewegungsstudie der Techniker Krankenkasse in Hamburg:
"Bewegung ist wichtig, um den Körper fit zu halten aber auch, um Stress abzubauen. Und wir stellen einfach fest im Moment, im Schnitt ist jeder 15 Tage im Jahr krankgeschrieben und davon entfallen ungefähr knapp 20 Prozent auf Muskel-Skelett-Erkrankungen wie Rückenschmerzen. Also fast drei Tage im Jahr ist jeder statistisch gesehen krankgeschrieben wegen Rücken und Co. und weitere drei Tage aufgrund von psychischen Störungen, also Depressionen, Belastungsstörung, Angststörungen, also alles was so Stress verwobene Erkrankungen sind."
Auch wenn regelmäßiges Training Geld kostet: Die Investition in die Gesundheit sei unbezahlbar, und letztendlich nachgewiesener Maßen die günstigste Medizin - nicht nur für den Körper.
Personal Trainer Michél Gleich arbeitet mit denen, die das Heft selbst in die Hand nehmen. Viele seiner Kunden sind beruflich derart eingespannt, dass sie die wenige Zeit, die sie sich für Sport leisten, so effektiv wie möglich gestalten wollen. Er hat die Erfahrung gemacht, dass Menschen, die im Job zielstrebig und erfolgreich sind, sich oft auch leichter motivieren lassen, den inneren Schweinehund zu überwinden und z.B. auch bei widrigem Wetter an der frischen Luft zu trainieren.
"Eine Sache fällt mir aber schon auf, gerade bei sehr erfolgreichen Führungskräften: Die beißen unheimlich im Training. Andererseits sind sie manchmal mit den Gedanken im Training woanders, wahrscheinlich schon im nächsten Meeting. Aber das ist einfach mein Job als Trainer sie dann wieder in die Sportler zurückzuholen."
Bernd Fastenrath trainiert immer, wenn es sein Terminplan erlaubt. Egal, ob es draußen stürmt oder schneit oder tropisch heiß ist. Zusätzlich zu seinem eigenen Training leitet er regelmäßig einmal in der Woche eine Laufgruppe für seine Kollegen – dennoch: Sein Job ist derart unberechenbar, dass die Zeit morgens vor der Arbeit die sichterste Möglichkeit ist, den körperlichen Ausgleich zu bekommen, den er sowohl für den Körper, als auch für den Geist zum Abschalten braucht.
"Ich hab keine Probleme mit dem Rücken nach dem langen Sitzen, auch, wenn ich abends aus dem Büro komme: Schmerzfrei! Dadurch, dass ich morgens schon etwas geleistet habe, gehe ich natürlich mit einer ganz anderen positiven Einstellung wiederum in meine Meetings und es gibt mir einen klaren Kopf."
Sport als Überdruckventil für den Arbeitsstress
Das Klischee des unter Strom stehenden Managers, der es nur schafft abzuschalten, wenn die Muskulatur brennt und er sportliche Herausforderungen zu bewältigen hat, scheint zu stimmen: Lauftrainer zitieren immer wieder gern eine Schätzung, nach der jedes zehnte Vorstandsmitglied börsennotierter Unternehmen bereits mindestens einen Marathon erfolgreich absolviert hat. Wird der Sport zum Überdruckventil für den Arbeitsstress?
In der aktuellen Bewegungsstudie der Techniker Krankenkasse geben auch 65% der erwerbstätigen Freizeitsportler an, Sport als aktive Entspannung zu benötigen. Bei Gutverdienern steigt diese Zahl auf 70%. Bei Befragten mit niedrigem Bildungsgrad spielt Sport als Entspannungsmöglichkeit eine untergeordnete Rolle – in dieser Bevölkerungsgruppe gibt nur jeder Fünfte an, körperliche Betätigung zur aktiven Regeneration für sich zu nutzen. Das mag teilweise aber auch daran liegen, dass in dieser Gruppe der Beruf genug körperliche Arbeit ist. Nicht zu unterschätzen ist auch die Struktur in den Betrieben und die Vorbildfunktion der Führungskräfte, sagt Michaela Hombrecher von der Techniker Krankenkasse.
"Führung ist ein ganz wesentliches Thema, wenn es um Gesundheit und Betrieb geht. Den Führungskräften ist das oft gar nicht klar, wie viel Einfluss sie auf die Gesundheit ihrer Beschäftigten haben. Das ist zum einen das Thema gutes Vorbild sein. Also wenn der Chef nicht raucht, der Chef Sport macht, wenn der Chef sagt, ich honoriere das, ich wertschätze das, wenn ihr euch bewegt, dann macht das mit den Mitarbeitern natürlich ganz viel, vielen Führungskräften ist das oftmals gar nicht so bewusst."
Bernd Fastenrath arbeitet als Manager in einer Firma, in der Sport eine wichtige Rolle spielt und in der den Mitarbeitern einige Angebote gemacht werden. Aber nicht nur die Firma macht Angebot, auch die Mitarbeiter zeigen Initiative.
"Wir haben bei uns im Büro ein eigenes Gym, und da gibt es sehr viele Kurse so um die Mittagszeit, die sind sehr, sehr gut besucht. Dann haben wir sehr viele Läufer." Autor: "Also heißt eure Mitarbeiter dürfen während der Arbeitszeit trainieren?" "Ja!" Autor: "Wie sieht das praktisch aus bei euch?" "Wir haben Kurse die direkt von uns angeboten werden, so Rückenschule oder Stretching und Pilates. Dann gibt es aber natürlich auch Initiativen, die von unseren Mitarbeitern selber gemacht werden, die dann so Dinge wie Power Boxen anbieten oder Aerobic anbieten."
Bewegungsangebote als Entscheidungskriterium für Hochqualifizierte
Vor allem in jungen Unternehmen wird den Mitarbeitern oft eine derart hohe Flexibilität in Bezug auf Arbeitszeiten und Identifikation mit dem Unternehmen abverlangt, dass die Arbeitsstelle schnell zu mehr als nur einem Arbeitsort wird. Es findet eine Vermengung von Job und Freizeit statt. Das kann man kritisch betrachten, in vielen Bereichen ist es aber alltäglicher Standard. In der Start-Up, der Medien- und Kommunikationsbranche werden das Arbeitsumfeld und die Zusatzangebote im Büro so nicht selten zu einem Kriterium für hochqualifizierte Fachkräfte, sich für einen bestimmten Arbeitgeber zu entscheiden oder eben nicht.
"Es ist auf jeden Fall so, dass Angebote, die, sag ich mal, außerhalb des Gehalts liegen, immer wichtiger werden für Bewerber und damit auch für die Arbeitgeber, um sich selbst zu positionieren. Also die Generation, die jetzt in den Job startet, die guckt nicht nur darauf, was bietet mir der Arbeitgeber an Gehalt und Karriere an, sondern eben auch, was gibt es so drum rum. Dazu gehören zum Beispiel auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Sabbatical-Möglichkeiten und eben auch solche Sachen wie Bewegungsangebote. Aber man muss dann eben auch ein bisschen genauer hingucken, weil bei vielen dieser Startups ist es ja so, dass die versuchen eine Atmosphäre zu schaffen, dass die Leute quasi gar nicht mehr nach Hause gehen möchten. Dient es tatsächlich dazu, die Gesundheit der Beschäftigten zu fördern? Oder schaffe ich eben einfach nur ein Umfeld, was vielleicht dafür sorgt, dass die Grenze zwischen Arbeit und Freizeit ein bisschen durchlässiger werden?"
Unweit des Gendarmenmarktes in Berlin Mitte sitzt die Firma GameDuell. In modernen Büros arbeiten auf zwei Stockwerke verteilt junge Medienmacher, die sich hier im Herzen der Hauptstadt Computerspiele ausdenken, sie programmieren und über riesige Server in die ganze Welt verbreiten. Computerbildschirme, Tastaturen und Rechner dominieren das Bild – außer in der "Event-Lounge", einem großen Raum mit Parket, Sofas, einer Küche, einem Billardtisch und einer Tischtennisplatte.
"Ich finde total gut und wichtig, dass wir das machen können. Ich meine insgesamt Sport, weil irgendwann man ist man müde und möchte mal eine Ablenkung haben und Tischtennis ist das Beste für mich, weil ich Tischtennisspieler bin. Ich finde das total schön und wichtig dass man das machen kann. Einfach wenn man müde ist ein bisschen Taschenspielen, dann bist du hochmotiviert und kannst weiter arbeiten."
Sadegh Joka ist Datenwissenschaftler und spielt privat im Verein und in der Verbandsliga Tischtennis. Seit er in der Firma ist, ist die Tischtennisbegeisterung gestiegen und Sadek inoffiziell zum Trainer geworden.
"Es gibt so viele Leute, dass sie von Tischtennis begeistert sind und dann wollen sie gewinnen und haben mich gefragt: Kannst Du mir Tipp geben und dann habe ich Tipps gegeben."
Dreimal in der Woche wird die Tischtennisplatte aber zur Seite gerollt – 1x wird Yoga und zweimal in der Woche Rückenfitness angeboten:
Den Personal-Trainer stellt die Firma, die Trainingszeit wird nicht von den Pausen abgezogen, denn der Nutzen überwiegt, sagt Martina Cepek von GameDuell.
"Die Kurse finden von 12 bis 13 Uhr statt. Und es ist ja nur gut für uns als Game-Duell, wenn die Mitarbeiter fit sind, wenn sie darauf auch Lust haben und wenn sie agil bleiben, von daher unterstützen wir das."
Personal Trainer stark gefragt
Der Personal-Trainer ist Daniel Grüner. Er macht seinen Job seit rund 6 Jahren und die Branche boomt, sagt er.
"Mittlerweile kommen die Firmen auf einen zu und haben selbst erkannt, dass es sehr wichtig ist, mittel- und langfristig auch ihre Mitarbeiter gesund zu halten und das zu fördern. Ist auf jeden Fall gestiegenen, der Bedarf."
Aus der Start-Up-Szene sind Sportangebote offenbar nicht mehr wegzudenken.
"Das gehört mit zum Standard, dass den Mitarbeitern so etwas angeboten wird in der digitalen Branche."
Und so gewöhnen sich auch die Mitarbeiter schnell an das Angebot. Mariano Zelke arbeitet in der Forschung und Entwicklung und ist zufrieden mit seinem Arbeitsplatz. Er trainiert 3x in der Woche mit den Kollegen.
"Ich muss schon sagen, ich würde es nicht missen wollen. Also, wenn ich mich jetzt woanders umgucken wollen würde, dann würde ich darauf achten, dass es so ein Angebot auch gibt. Ja ich merke zum Einen, dass es meinem Körper gut tut, wenn man den ganzen Tag am Schreibtisch sitzt, dann ist es ganz gut mal ein bisschen hoch zu kommen und das andere ist, es macht tatsächlich den Kopf ein bisschen frei. Ich merke danach, dass ich wirklich schneller denke, andere Ideen hab, mir fällt das Denken danach leichter."
Und nebenbei: Vor allem in den Kreisen jüngerer Arbeitnehmer taucht heutzutage in Befragungen bezüglich der Motivation zum Sport bei knapp der Hälfte der Befragten auch das Streben nach einer besseren Figur auf. Der durchtrainierte Körper, der einstmals als Zeichen harter körperlicher Arbeit und unterem Bildungsniveau abgestempelt wurde, gilt zunehmend als Zeichen von Zielstrebigkeit und Erfolg. Geprägt von Medien- und Werbebildern wird er zum integrativen Bestandteil von Identitäten.
Streben nach guter Figur
Man kennt die hollywoodgleich inszenierten Werbespots der Sportartikelhersteller:
"Durchtrainierte Frauen und Männer joggen durch spektakuläre Landschaften, stemmen entschlossen schwere Hanteln, springen auf Kisten, schlagen martialisch gegen Sandsäcke. Der Schweiß läuft, die Kamera zeigt Großaufnahmen kontrahierender Muskeln. Das alles in schnellen Schnitten und mit Adrenalin-geschwängerter Musik als Soundtrack der Werbebotschaft: Mit der Ausrüstung von X-Y-Z kannst auch Du so sein."
Doch die Werbemaßnahmen der Hersteller verändern sich – es sind nicht mehr nur aufwändig produzierte Spots und Plakate, die in spektakulären Bildern auf die Produkte aufmerksam machen sollen.
"Wir alle reagieren relativ reaktant auf werbliche Maßnahmen. Immer wenn Unternehmen uns kontaktieren und wir merken, die wollen uns was verkaufen, die betreiben hier das, was der Laie als Marketing bezeichnet, dann reagieren wir ablehnend und sagen: Geht weg."
Prof. Dr. Sebastian Uhrich vom Institut für Sportökonomie und Sportmanagement der Deutschen Sporthochschule Köln.
"Sie müssen sich was einfallen lassen, um ihre Leistung unterscheidbar zu machen, um einen Zusatznutzen zu vermitteln, d.h. was man versucht ist, man versucht den potentiellen Kunden Aktivitäten anzubieten, die nicht vordergründig kommerziell ausgerichtet sind, die ihnen Spaß machen, die sie in ihren Interessen berühren. Man versucht letztlich Teil ihres Lebens zu werden und so etwas subtiler etwas vorsichtiger das eigene Unternehme, die eigene Marke zu platzieren."
So werden Marken zum Ausdruck eines bestimmten Lebensstils und zu Statussymbolen.
"Der Laufschuh von Reebok, von Nike, von Adidas, von New Balance, die sind in ihren funktionalen Fähigkeiten wahrscheinlich alle relativ ähnlich, wenn ich es aber schaffe als Marke noch etwas zusätzlich zu bieten, nämlich z.B. eine Laufgemeinschaft, dann kann das der wesentliche Grund sein, warum gerade mein Schuh und kein anderer gekauft wird."
Auf diesen Zug sind längst nicht nur Sportartikelhersteller aufgesprungen. Den Sport als verbindendes Element zum Konsumenten zu nutzen, ist ein gängiges Model. Kosmetikfirmen veranstalten Frauenläufe, Energiekonzerne Team-Staffelläufe, Autofirmen sponsern Marathon-Veranstaltungen. Es gibt Krafttrainingseinheiten oder "Workouts" in Großgruppen und und und. Fast keine Sportart, die von den Großkonzernen nicht auf ihre Vermarktbarkeit geprüft wird. Die Wirtschaftsunternehmen erhoffen sich dadurch ein dynamisches, gesundes Image und letztendlich eine positive Grundeinstellung zur Marke und lassen sich das einiges kosten.
"Wenn man sich aber überlegt was klassische Werbemaßnahmen wie klassische Fernsehwerbung, auch Werbung in Printmedien kostet und ins Verhältnis setzt: Wie sind die Wirkungsgrade dieser beiden Maßnahmenkategorien, dann ist dieser Event-Marketing Ansatz in der Tendenz kein schlechter, denn den Kosten stehen auch sehr, sehr gute Effekte gegenüber. Denn über solche Veranstaltungen kann man die Leute viel, viel besser kontaktieren. Die Qualität des Kontakts ist viel intensiver. Den Leuten macht es Spaß, sie sind Teil einer Aktivität, sie lernen das Unternehmen in einem Freizeitkontext kennen. Während ein Werbespot Teil eines Werbeblogs (ist). Wir reagieren ablehnend darauf und was da an Wirkung übrigbleibt, ist in der Tendenz eher Null."
Kundenbindung ist das Zauberwort – Kundenbindung durch persönliche Erfahrungen.
"Man kann mit einiger Sicherheit davon ausgehen, dass die Werbewirkung solcher Maßnahmen deutlich höher ist als die klassischer Werbemaßnahmen, wie wir sie von früheren Zeiten kennen."
"Man kann mit einiger Sicherheit davon ausgehen, dass die Werbewirkung solcher Maßnahmen deutlich höher ist als die klassischer Werbemaßnahmen, wie wir sie von früheren Zeiten kennen."
Sport trägt zum Bruttoinlandsprodukt bei
Mit dem sog. "Sportsatellitenkonto" wird seit 2013 in einer Zusammenarbeit des Bundeswirtschaftsministerium und des Bundesinstituts für Sportwissenschaft gemeinsam mit Wirtschaftsforschungsunternehmen und dem Statistischen Bundesamt genauer auf die Bedeutung des Sports geguckt. Den aktuellen Zahlen nach trägt der Sport 2,3 Prozent zum gesamtwirtschaftlichen Bruttoinlandsprodukt bei, das entspricht knapp 70 Milliarden Euro. In Deutschland werden pro Jahr, wie es heißt, "sportbezogene Güter und Dienstleistungen" im Wert von um die 114 Milliarden Euro produziert. Für die Sportartikelhersteller ist aber besonders interessant, dass private Haushalte pro Jahr um die 65 Milliarden Euro für sogenannten "sportbezogenen Konsum" ausgeben - das motiviert, neue Wege der Kundenbindung zu gehen und auch, in diese zu investieren.
Adidas Runbase, Berlin Kreuzberg an einem ganz normalen Wochentag um 12.30 Uhr. Ein moderner, lichtdurchfluteter Raum, gebaut aus Stahl- und Holzbalken und komplett verkleidet mit milchglasartigen Wandpanelen. Der Boden ist aus Hartgummi, in schweren Stahlgestellen stehen Langhanteln, Gewichte und anderes Sportgerät. In dieser stylischen "Sport-Folterkammer" lassen sich ca. 12 Männer und Frauen von durchtrainierten Trainerinnen zu Höchstleistungen antreiben - und das in der Mittagspause. Die Trainingsteilnehmer kommen aus den umliegenden Firmen und aus der Nachbarschaft und sind von Mitte zwanzig bis Ende vierzig. Trainerin Kaya Retz:
"Das sind genau die Leute, die arbeiten, die aber ihre Mittagspause hier bei uns verbringen und trainieren. Mittags kommen die einfach nur egal, welcher Trainier da ist, einfach um zu trainieren und das sind Leute, wo ich am Anfang dachte, die sehen gar nicht so sportlich aus, die liefern hier aber eine Leistung, das ist unglaublich."
Es steht ein sog. HIIT-Training auf dem Plan, ein High-Intense-Intervall-Training, eine Spielart des Krafttrainings, in der in nur 30 Minuten die Muskulatur des Körpers an ihre Grenze geführt wird und so den Impuls zum Muskelaufbau bekommt.
"Wir haben die Runbase Ende 2015 gestartet."
Wendelin Hübner. Auf seiner Karte steht: Adidas-Key-City-Manager. Als solcher ist er auch für die Verbindung der unterschiedlichen sportlichen Angebote der Firma und dem Verkaufssegment verantwortlich.
"Wir haben diesen Ort geschaffen, um wirklich eine nachhaltige Beziehung aufzubauen zu den Sportlern in Berlin. Es geht nicht mehr darum, in unregelmäßigen Abständen in die Stadt zu kommen und ganz laut zu sein mit Events oder großen Plakatwerbungen, sondern wir haben uns dahin entwickelt, dass wir wirklich nachhaltige Beziehungen aufbauen wollen, den Leuten ein positives Erlebnis vermitteln wollen mit Adidas im Hintergrund und sie als Sportler als Individuen in ihren unterschiedlichen Disziplinen fördern wollen."
Auf dem 2000 Quadratmeter großen Gelände in Berlin-Kreuzberg, unweit der Spree, gibt es zwei Trainingsräume, Räume für medizinische Untersuchungen, Konferenzräume, einen Raum in dem Laufanalysen durchgeführt werden, einen Präsentationsraum, in dem die neuesten Produkte ausgestellt und zum Test ausgegeben werden und und und. Das Herzstück und mit rund 450 m2 der größte Raum ist das sogenannte "Club-House". Es ist eine Mischung aus moderner Fabrikhalle, gemütlicher Bar, Wohnzimmer und eleganter Küche. Hier werden gesunde Mahlzeiten und Getränke angeboten. In diesem Bereich gibt es natürlich auch kostenlos W-Lan – denn die Verbindung, vor allem zu den sozialen Netzwerken, ist auch aus Marketingsicht nicht zu unterschätzen.
"Das Prägt, das trägt dazu bei, dass die Leute gern an diesen Ort denken, ihren Freunden davon erzählen und ein positives Bild von der Marke damit kreieren."
"Macht euch bereit und: Go! Knie zusammen, Oberschenkel Richtung Bauch ziehen…"
Das Angebot ist riesig, die Kurse gut besucht und das von früh morgens bis spät in den Abend, erzählt Trainerin Mari Dottschadis.
"Also wir haben neben Hiit Workouts auch Strengh and Skills Workouts, wo es auch ganz viel um Ausführung geht, wir haben Boxing-Workouts, Acro-Yoga, Running-Workouts, wo wir Training und Running verbinden, Yoga-Flow aber auch was, was in die Richtung Mindset geht, Mind and Mobility nennt sich das, Calistenics also es ist für jeden was dabei und wir bieten eine ganz vielfältige und breite Sportbasis hier."
Trainingseinheiten, die in den Alltag passen sollen
Hinter all diesen Begriffen verbergen sich kurze Trainingseinheiten, die in den Alltag eines Jeden passen sollen. Denn wer wirklich will, der schafft es immer, den Sport auch in einen anstrengenden beruflichen Alltag zu integrieren, davon ist die Firma überzeugt. Ebenso überzeugt ist man von dem langfristigen Nutzen der Sportangebote. Wendelin Hübner:
"Wir sind davon überzeugt, dass das der richtige Weg ist, um speziell in einer Stadt wie Berlin, wo die Konsumenten auch tagtäglich zugeschüttet werden von Werbebotschaften, wo viele Brands um Aufmerksamkeit konkurrieren, der richtige Weg ist, um diese nachhaltige Beziehung aufzubauen, die dann natürlich an irgendeinem Punkt auch zu einer Kaufentscheidung für Adidas führen sollte."
"Letzte Minute, richtig Gas geben jetzt..."
Viele der Angebote in der Runbase sind kostenlos. Z.B. die Nutzung von Duschen und Umkleiden. Außerdem können Sportler Produkte testen, Laufanalysen vornehmen lassen, in Workshops und Vorträgen spezielle Aspekte des Trainings kennenlernen und vieles mehr.
"Wir haben hier einen orthopädischen Chirurgen, der hier Assessments am Montag anbietet, das nennen wir Medical Monday. Wir haben zwei Physiotherapeuten, die hierherkommen, die auch eigene Praxen haben hier in Berlin und hier sich um unsere Sportler und Läufer kümmern."
Wer regelmäßig die Kurse in der Runbase besuchen will, der zahlt dafür einen Preis, der sich von denen gängiger Fitnessstudios nicht unterscheidet. Dennoch: Der Mehrwert scheint die Kunden zu überzeugen: Bis zu 4000 Besucher nutzen die Runbase im Monat, so wie Anke, Architektin. Sie verbringt hier regelmäßig ihre Mittagspause, ebenso wie einige ihrer Kollegen.
Wer regelmäßig die Kurse in der Runbase besuchen will, der zahlt dafür einen Preis, der sich von denen gängiger Fitnessstudios nicht unterscheidet. Dennoch: Der Mehrwert scheint die Kunden zu überzeugen: Bis zu 4000 Besucher nutzen die Runbase im Monat, so wie Anke, Architektin. Sie verbringt hier regelmäßig ihre Mittagspause, ebenso wie einige ihrer Kollegen.
"Wir sind Architekten, also wir sitzen den ganzen Tag und deshalb ist die Abwechslung gut. Man kommt raus aus dem Büro, kann eine halbe Stunde sich bewegen, im Sommer ist es draußen an der frischen Luft und man hat danach genügend Energie, um weiter zu machen."
In dem Mittagspausentraining, dem Lunch-Workout an diesem Tag, trainieren einige in Sportkleidung anderer Marken: Under Armour, Reebok, Nike, Puma – geht das Konzept doch nicht auf?
"Uns geht es nicht darum, dass die Leute hier schon perfekt mit Adidas ausgestattet einlaufen. Hier ist jeder willkommen, egal welche Marke er aktuell präferiert, egal, was für Schuhe er im Schrank hat und unser Kalkül ist eben, dass wir hier ein Angebot schaffen, was so langfristig genutzt wird von dem jeweiligen Sportler, dass er irgendwann an dem Punkt ist, dass er bei der nächsten Kaufentscheidung gar nicht mehr darüber nachdenkt, was er kauft, sondern dass er schon so viele positive Erlebnisse mit uns hatte als Marke, dass er dann natürlich zum Adidas-Schuh greift."
Sportartikelhersteller setzen auf "Marken-Communities"
"Marken-Community" heißt das Zauberwort der Marketing-Strategen. Prof. Sebastian Uhrich von der Deutschen Sporthochschule Köln:
"Das kennen wir schon seit Jahrzehnten. Beispielsweise Harley Davidson, also eine Motorrad Marke hat eine riesen Markencommunity. Es gibt auch eine gewisse Markencommunity rund um Apple aber auch um Sport Marken wie Adidas oder Nike und für die Marken ist das natürlich eine wunderbare Sache. Wenn als Kern dieser Community und der Gemeinschaft die Nutzung der Marke an sich steht, weil der Konsum der Marke damit im Prinzip Zugang zur Community bietet und den ganzen Wesensinhalt dieser Gemeinschaft ausmacht."
Bei Adidas wird dieser Gedanke seit rund fünf Jahren verfolgt. Los ging es mit den Adidas-Runners, Lauftreffs unter Anleitung professioneller Trainer. Die Vernetzung fand und findet größtenteils über das Internet statt. Und die Zahlen steigen. Laufen ist nicht mehr nur eine Runde Joggen im Park – für viele ist es Ersatzreligion und Lebensstil. Und die Firmen tun alles, um ein Teil dieses Lebensstils zu sein und passen sich entsprechend an.
"In den Anfangsjahren da waren die Bedürfnisse der Adidas Runners noch ganz andere. Da waren viele Anfänger dabei. Mittlerweile sind einige dabei, die schon ein paar Marathons in den Beinen haben, die sich wirklich super weiterentwickelt haben als Athleten und das eben im besten Fall durch persönliche Gespräche aber auch durch Social-Media nach außen tragen und neugierig machen auf die Marke und das, was wir tun."
Fotos, Trainings- und Wettkampfberichte – das Internet ist voller Erfolgsgeschichten, die auf den entsprechenden Kanälen verbreitet werden. Für Adidas scheint die Rechnung, auf persönliche Bindung zu setzten, aufzugehen. Seinen Höhepunkt hat das neue Marketingengagement derzeit in der Runbase in Berlin. Die Verbindung zum Kunden klappt gut, so scheint es. Besucher, die regelmäßig kommen, tragen vermehrt die drei Streifen. Architektin Anke auf die Frage nach der Marke ihrer Sportausrüstung:
"Die war mir völlig egal aber ich merke schon, dass ich jetzt manchmal gucke, wenn ich was kaufe, von welcher Marke das ist. Also es funktioniert scheinbar schon das Prinzip, was dahinter steckt."
Auf den Durchhaltewillen kommt es an
Beim Training im Stadtpark kämpft sich die Sonne durch die Wolken. Manager Bernd Fastenrath hat es bald geschafft. Eine der letzten Übungen verlangt ihm aber noch einmal enormen Kampfgeist und Durchhaltewillen ab: Sein Trainer Michèl Gleich demonstriert: Liegestütz-Haltung mit den Händen auf einem Ball und diese Position halten.
"Wir machen die statische Übung ‚Stütz auf dem Ball‘ und gehen die Pyramide hoch und machen 10, 20, 30, 40, 50, 60. Pause dazwischen… Ich mache solche Pyramidenspiele ganz gerne. Pyramide hoch, Pyramide runter…"
Eine Spannungsübung auf instabilem Untergrund, die nicht nur die Bauch- und Rückenmuskulatur fordert und fördert, sondern auch den Willen durchzuhalten – eine Fähigkeit, die auch im Beruf unerlässlich ist. Bei den ersten Runden wirkt Bernd Fastenrath noch äußerst entspannt, bei den letzten geht der Atem schwer. Die Muskulatur fängt an zu zittern, der Schweiß läuft, aber der Manager gibt nicht auf.
"Ich mach‘ das seit zwei Jahren morgens. Der Kopf ist noch frei. Und das Gefühl nach dem Sport ist immer das schöne Gefühl man hat was geleistet, man weiß, was man geleistet hat und man kann schon mal mit einer guten Leistung in den Tag starten."
"Ich mach‘ das seit zwei Jahren morgens. Der Kopf ist noch frei. Und das Gefühl nach dem Sport ist immer das schöne Gefühl man hat was geleistet, man weiß, was man geleistet hat und man kann schon mal mit einer guten Leistung in den Tag starten."
Trainer Michèl Gleich blickt auf die Stoppuhr und lächelt. Er ist zufrieden mit seinem Kunden und mit seiner persönlichen Entscheidung erst das Leben als Soldat bei der Bundeswehr und dann das als Führungskraft in der Automobilindustrie an den Nagel gehängt zu haben. Mit seiner Leidenschaft, dem Sport, hilft er nun anderen, nicht an den beruflichen und wirtschaftlichen Zwängen zu zerbrechen, die so oft an Körper und Geist zerren.
"Wenn ich nicht leistungsfähig bin, dann ist auch das Unternehmen nicht leistungsfähig. Und ich habe auch keinen Spaß an der Arbeit und auch keinen Spaß am Leben. Das heißt, ich sollte mir immer selbst zu allererst am nächsten sein und da spielt der Sport natürlich eine unheimlich große Rolle, weil ich mich halt im wahrsten Sinn des Wortes mit mir selber und mit meiner Gesundheit beschäftigte, weil ich habe nur dieses eine Leben und eine Gesundheit und darauf sollte ich wirklich achtgeben."