Bezahlter Schlaf in Japan

Honorar fürs Nickerchen

Eine Frau liegt im Bett und zieht angsterfüllt die Bettdecke bis unter die Augen.
Schlaf ist in Japan Mangelware - die Agentur Crazy Wedding hat dafür eine Lösung gefunden. © Alexandra Gorn | Unsplash
Von Udo Schmidt |
Japans Angestellte sind gestresst, überarbeitet und übermüdet. Daher gehen Firmen jetzt dazu über ihre Mitarbeiter zu belohnen, wenn sie ausreichend schlafen. Die Agentur Crazy Wedding ist Vorreiter: Wer lange schläft, bekommt Bonuspunkte.
Die 60 Angestellten von Crazy Wedding wirken bei der Begrüßung des Reporters hellwach. Crazy Wedding ist eine Agentur, die ganz besondere Hochzeitsfeiern organisiert. Dass die jungen Kreativen, die hier arbeiten, so wach erscheinen, ist durchaus nicht selbstverständlich.

Punkte für Schlafstunden

Japans Gesellschaft ist nicht nur überaltert, sondern auch überarbeitet. Für ihr Unternehmen tun Angestellte etwa in Tokio nahezu alles, zehn bis zwölf Stunden täglich arbeiten, den sowieso knappen Urlaub, häufig nur 15 Tage, nicht nehmen, in der Woche die Familie kaum sehen, weil es nach dem Büro noch mit dem Chef auf ein Bier oder zum Karaoke geht. Übermüdung ist die Regel, Tod durch Überarbeitung hat im Japanischen einen eigenen Begriff: Karoshi. Kein Zufall.
Also hat Crazy Weding-Firmenchef Kazuhiko Moriyama den Schlaf für seine Belegschaft zur Pflicht gemacht:
"Japaner haben generell ein Problem mit zu wenig Schlaf. Eine Umfrage in meiner Firma hat ergeben, dass es hier auch so ist. Also wollte ich etwas verbessern."
Mehr als sechs Stunden Schlaf täglich werden belohnt, fünf Tage in der Woche müssen die Mitarbeiter die lange Ruhephase durchhalten, dann bekommen sie Punkte. Und für die gibt es in der firmeneigenen Kantine Abendessen, Getränke, Kaffee und Kuchen. Überwacht wird der Schlaf mittels einer App, die auf Bewegung beziehungsweise auf Nicht-Bewegung reagiert.

Um die Wette schlafen

Also wird bei Crazy Wedding jetzt um die Wette geschlafen. Der 26-jährige Grafiker Takuya Shiomi ist der derzeitige Schlafmeister der Firma:
"Schlaf ist auf meiner Prioritätenliste ganz oben gelandet. Im Moment schaffe ich über sieben Stunden jede Nacht und habe bereits 1000 Punkte gesammelt."
Ein Vorbild also, etwa für die 31-jährige Yuka Morihira. Ja, sagt die junge Frau, die das Marketing leitet, inzwischen ist es ein Gesprächsthema, wie viel jeder in der letzten Nacht geschlafen hat:
"Ich würde auch gerne Schlafmeister werden. Ich bin fast neidisch. Zumal Takuya in einem Team arbeitet, das wirklich sehr viel zu tun hat."
Die junge Crazy- Wedding-Crew lebt jetzt etwas gesünder zumindest. Und die Arbeit wird im Zweifel noch besser, freut sich Firmenchef Moriyama:
"Ich denke, in anderen Firmen hält man uns für etwas verrückt, deswegen heißen wir ja auch crazy. Bezahlter Schlaf, Bio-Essen in der Kantine, das können viele nicht verstehen. Aber uns hier tut es gut. Ich halte meine Angestellten auch an, mal einen längeren Urlaub zu nehmen."

Vorbild für die Arbeitskultur

Aber nicht allen fällt die Langschläferei so leicht. Natsuko Sawada, 23, steht in der Kantine und erzählt, das sie sich bemüht. Aber noch ohne große Erfolg:
"Im Oktober habe ich es nicht geschafft mehr zu schlafen. Jetzt im November habe ich es im Griff und gehe manchmal schon um neun Uhr ins Bett."
Das gemeinsame Kantinenessen ist beendet. Die jungen Leute wischen die Tische ab und stellen das Geschirr weg. Es herrscht so eine Art Schullandheim-Atmosphäre. Vielleicht eignet sich Crazy Wedding deshalb so gut als Schlaf-Labor. Und als eine Art Vorbild für Japans sonst so gehetzte Arbeitskultur.
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