Bezaubernd verstörendes Theater
Die russische Künstlergruppe "DEREVO" ist seit 1996 in Dresden verwurzelt. Dort hat ihr neues Stück "DIA GNOSE des ICH und des SEINS" am Dresdner Festspielhaus Hellerau Premiere. Es erzählt eine einfache Geschichte vom Mond und der Sonne, von Frauen und Männern, dem Tag und der Nacht.
Die Kulisse ist in gelbes und blaues Licht getaucht, Nebelschwaden durchziehen den Raum. Eine geheimnisvolle Spannung liegt in der Luft, ergreift Bühne und Saal.
Im Hintergrund zwei überdimensionale, gespreizte Beine, links eine riesige Sonne, gegenüber der Mond. Eine männliche Gestalt taucht langsam aus dem Nebel auf – kahlgeschorener Kopf, langer Ziegenbart, blutbeschmierte Beine, weiße Fellhose, nackter Oberkörper. Das Gesicht schmerzverzerrt, der Körper verkrampft. Unrhythmisch zuckend bewegt sich der Mann langsam über die Bühne – auf Knien, Füßen, Händen.
Aus dem Schoß der gespreizten Beine tritt ein weibliches Einhorn, ebenfalls kahlgeschoren, nackt, hager. Tänzelnd galoppiert es über die Bühne, bleibt abrupt stehen, läuft weiter. Beide Figuren bewegen sich wie Marionetten ohne Fäden. Starren Momenten folgen hektische Verrenkungen. Endzeitstimmung. "DEREVOS" neue Inszenierung "DIA GNOSE" beschreibt die Suche nach dem Ich und nach dem Sinn des Seins.
" Es ist ein sehr persönlicher Ansatz. Man muss sehr unvoreingenommen sein, um so etwas zu schreiben. Das Objektive, die Außenwelt, ist für mich im Moment nicht interessant. Ich möchte sehr subjektiv sein. Das ist schmerzhaft. Es geht um das, was in mir ist. Das möchte ich nach außen tragen. Es ist so, als würde ich mein Innerstes nach außen kehren. Bisher haben die Dinge immer von außen auf uns gewirkt, und wir haben versucht, das zu verarbeiten. Diesmal ist der Prozess genau andersherum. "
Kein großes Konzept, keine übernatürlichen Bilder. Eine einfache Geschichte vom Mond und der Sonne, von Frauen und Männern, dem Tag und der Nacht. Zwei Seiten, die in jedem von uns schlummern, meint Anton Adassinsky, der kreative Kopf und das Herz von "DEREVO". Der Regisseur ist gleichzeitig die zentrale Figur auf der Bühne, das neue Stück "DIA GNOSE" für ihn ein Rückblick auf Inszenierungen der vergangenen Jahre. Es ist seine Autobiografie und eine persönliche Kritik am zeitgenössischen Theater, an den Geschichten, die er und andere Künstler erzählen.
" Ich hatte in diesem Jahr wirklich viele Gelegenheiten, Arbeiten von anderen Künstlern zu sehen. Und ich musste feststellen, dass ich vieles nicht verstanden habe. Das beängstigt mich, weil ich nicht begreife, was diese Leute mir sagen wollen. Deshalb ist für mich jetzt der richtige Zeitpunkt, wieder die einfachen Dinge auf die Bühne zu bringen und einfache Geschichten zu erzählen. Die Besucher sollen ganz genau verstehen, worum es geht und warum ich als Künstler, als Tänzer auf der Bühne stehe. "
"DEREVOS" Welt ist kompliziert, sinnlich und zugleich martialisch, farbenfroh und düster, schön und verstörend. Gefühle und Gedanken werden zu einem Chaos voller Licht und Schatten, einem Kampf, den wir weder gewinnen noch kontrollieren können.
Diesen Kampf verarbeitet das Ensemble in einer Mischung aus Akrobatik und Leichtigkeit neben tiefen emotionalen Bildern und fast depressiven Momenten. Der Mensch geht mit gesenktem Haupt durchs Leben, gefangen in gesellschaftlichen Zwängen. Obwohl er jederzeit ausbrechen könnte, tut er es nicht, meint Elena Jarowaja, Gründungsmitglied der Gruppe, zu der mittlerweile über zehn Tänzer gehören.
" Es ist ein wenig so, wie wenn du dir einen Wettkampf in einem Stadion anschaust. Menschen rennen im Kreis, Runde für Runde für Runde. Und da sind Menschen, die dabei zusehen. Die Läufer legen aber keine wirklichen Entfernungen zurück, weil sie sich nur im Kreis bewegen. Sie könnten aus dem Stadion hinauslaufen, aber sie tun es nicht. Sie versuchen einfach nur schneller zu sein als die Anderen. Das ist ein Kampf wie im wirklichen Leben. Wir messen uns ständig mit anderen Menschen, beobachten deren Reaktionen und fragen uns: Bin ich besser als der Andere? Wie sehe ich dabei aus? "
Elena Jarowaja entwirft die Bühnenbilder und tanzt im Ensemble. Sie spielt das elegante, erhabene Einhorn an der Seite der zerrissenen Figur Anton Adassinskys. Im Gegensatz zu früheren Inszenierungen ist die Kulisse für "DIA GNOSE" reduziert. Sonne und Mond tragen Adassinskys Gesicht, die gespreizten Beine gehören ihm, auch das große Auge am Bühnenrand.
"DIA GNOSE" wird zum Experiment, auch für die Zuschauer. Denn die bekamen von den Russen bisher bezaubernd verstörendes Tanztheater zu sehen. Nun wird es eine Selbstinszenierung sein. Für Saskia Leistner vom Festspielhaus kein Problem. Die Besucher werden trotzdem kommen, denn das Ensemble "DEREVO" ist in Hellerau, neben der William Forsythe Company, mittlerweile eine feste Größe.
" Die Richtung, in die wir uns versuchen zu profilieren, ist, dass es ein künstlerisches Labor wird, wo mit experimentellen Kunstformen, mit interdisziplinären Arbeiten einfach Neues, noch nicht Dagewesenes hier vor Ort auch produziert wird. Und da ist "DEREVO" natürlich, neben Forsythe, neben dem was wir an zeitgenössischer Musik, an Theaterprojekten machen, ein ganz wichtiger Bestandteil. Und das gehört hierher."
Seit über einem Jahr hat die russische Company einen festen Kooperationsvertrag mit dem Europäischen Zentrum der Künste Hellerau, erhält jährlich 50.000 Euro für ihre Arbeit. Eine kulturelle Leistung der Stadt Dresden, die Anton Adassinsky schätzt.
" Dresden ist für uns ein sehr wichtiger Ort, weil wir hier einen freien Geist und einen freien Atem spüren. Die Stadt selbst trägt diesen freien Atem, und keiner hier redet uns in unsere künstlerische Arbeit hinein. Und diese künstlerische Freiheit ist für uns sehr wichtig. "
Service:
Am 27. Dezember 2007 ist die Premiere. Weitere Aufführungen von "DIA GNOSE" sind am 28. und 29. Dezember im Dresdner Festspielhaus Hellerau. Im Januar ist "DEREVO" in Leipzig und Chemnitz zu Gast, im Februar und März geht es dann nach Russland und Spanien.
Im Hintergrund zwei überdimensionale, gespreizte Beine, links eine riesige Sonne, gegenüber der Mond. Eine männliche Gestalt taucht langsam aus dem Nebel auf – kahlgeschorener Kopf, langer Ziegenbart, blutbeschmierte Beine, weiße Fellhose, nackter Oberkörper. Das Gesicht schmerzverzerrt, der Körper verkrampft. Unrhythmisch zuckend bewegt sich der Mann langsam über die Bühne – auf Knien, Füßen, Händen.
Aus dem Schoß der gespreizten Beine tritt ein weibliches Einhorn, ebenfalls kahlgeschoren, nackt, hager. Tänzelnd galoppiert es über die Bühne, bleibt abrupt stehen, läuft weiter. Beide Figuren bewegen sich wie Marionetten ohne Fäden. Starren Momenten folgen hektische Verrenkungen. Endzeitstimmung. "DEREVOS" neue Inszenierung "DIA GNOSE" beschreibt die Suche nach dem Ich und nach dem Sinn des Seins.
" Es ist ein sehr persönlicher Ansatz. Man muss sehr unvoreingenommen sein, um so etwas zu schreiben. Das Objektive, die Außenwelt, ist für mich im Moment nicht interessant. Ich möchte sehr subjektiv sein. Das ist schmerzhaft. Es geht um das, was in mir ist. Das möchte ich nach außen tragen. Es ist so, als würde ich mein Innerstes nach außen kehren. Bisher haben die Dinge immer von außen auf uns gewirkt, und wir haben versucht, das zu verarbeiten. Diesmal ist der Prozess genau andersherum. "
Kein großes Konzept, keine übernatürlichen Bilder. Eine einfache Geschichte vom Mond und der Sonne, von Frauen und Männern, dem Tag und der Nacht. Zwei Seiten, die in jedem von uns schlummern, meint Anton Adassinsky, der kreative Kopf und das Herz von "DEREVO". Der Regisseur ist gleichzeitig die zentrale Figur auf der Bühne, das neue Stück "DIA GNOSE" für ihn ein Rückblick auf Inszenierungen der vergangenen Jahre. Es ist seine Autobiografie und eine persönliche Kritik am zeitgenössischen Theater, an den Geschichten, die er und andere Künstler erzählen.
" Ich hatte in diesem Jahr wirklich viele Gelegenheiten, Arbeiten von anderen Künstlern zu sehen. Und ich musste feststellen, dass ich vieles nicht verstanden habe. Das beängstigt mich, weil ich nicht begreife, was diese Leute mir sagen wollen. Deshalb ist für mich jetzt der richtige Zeitpunkt, wieder die einfachen Dinge auf die Bühne zu bringen und einfache Geschichten zu erzählen. Die Besucher sollen ganz genau verstehen, worum es geht und warum ich als Künstler, als Tänzer auf der Bühne stehe. "
"DEREVOS" Welt ist kompliziert, sinnlich und zugleich martialisch, farbenfroh und düster, schön und verstörend. Gefühle und Gedanken werden zu einem Chaos voller Licht und Schatten, einem Kampf, den wir weder gewinnen noch kontrollieren können.
Diesen Kampf verarbeitet das Ensemble in einer Mischung aus Akrobatik und Leichtigkeit neben tiefen emotionalen Bildern und fast depressiven Momenten. Der Mensch geht mit gesenktem Haupt durchs Leben, gefangen in gesellschaftlichen Zwängen. Obwohl er jederzeit ausbrechen könnte, tut er es nicht, meint Elena Jarowaja, Gründungsmitglied der Gruppe, zu der mittlerweile über zehn Tänzer gehören.
" Es ist ein wenig so, wie wenn du dir einen Wettkampf in einem Stadion anschaust. Menschen rennen im Kreis, Runde für Runde für Runde. Und da sind Menschen, die dabei zusehen. Die Läufer legen aber keine wirklichen Entfernungen zurück, weil sie sich nur im Kreis bewegen. Sie könnten aus dem Stadion hinauslaufen, aber sie tun es nicht. Sie versuchen einfach nur schneller zu sein als die Anderen. Das ist ein Kampf wie im wirklichen Leben. Wir messen uns ständig mit anderen Menschen, beobachten deren Reaktionen und fragen uns: Bin ich besser als der Andere? Wie sehe ich dabei aus? "
Elena Jarowaja entwirft die Bühnenbilder und tanzt im Ensemble. Sie spielt das elegante, erhabene Einhorn an der Seite der zerrissenen Figur Anton Adassinskys. Im Gegensatz zu früheren Inszenierungen ist die Kulisse für "DIA GNOSE" reduziert. Sonne und Mond tragen Adassinskys Gesicht, die gespreizten Beine gehören ihm, auch das große Auge am Bühnenrand.
"DIA GNOSE" wird zum Experiment, auch für die Zuschauer. Denn die bekamen von den Russen bisher bezaubernd verstörendes Tanztheater zu sehen. Nun wird es eine Selbstinszenierung sein. Für Saskia Leistner vom Festspielhaus kein Problem. Die Besucher werden trotzdem kommen, denn das Ensemble "DEREVO" ist in Hellerau, neben der William Forsythe Company, mittlerweile eine feste Größe.
" Die Richtung, in die wir uns versuchen zu profilieren, ist, dass es ein künstlerisches Labor wird, wo mit experimentellen Kunstformen, mit interdisziplinären Arbeiten einfach Neues, noch nicht Dagewesenes hier vor Ort auch produziert wird. Und da ist "DEREVO" natürlich, neben Forsythe, neben dem was wir an zeitgenössischer Musik, an Theaterprojekten machen, ein ganz wichtiger Bestandteil. Und das gehört hierher."
Seit über einem Jahr hat die russische Company einen festen Kooperationsvertrag mit dem Europäischen Zentrum der Künste Hellerau, erhält jährlich 50.000 Euro für ihre Arbeit. Eine kulturelle Leistung der Stadt Dresden, die Anton Adassinsky schätzt.
" Dresden ist für uns ein sehr wichtiger Ort, weil wir hier einen freien Geist und einen freien Atem spüren. Die Stadt selbst trägt diesen freien Atem, und keiner hier redet uns in unsere künstlerische Arbeit hinein. Und diese künstlerische Freiheit ist für uns sehr wichtig. "
Service:
Am 27. Dezember 2007 ist die Premiere. Weitere Aufführungen von "DIA GNOSE" sind am 28. und 29. Dezember im Dresdner Festspielhaus Hellerau. Im Januar ist "DEREVO" in Leipzig und Chemnitz zu Gast, im Februar und März geht es dann nach Russland und Spanien.